Aus dem Sarkophag geholt
Von Hansgeorg HermannFrankreichs neuer Ministerpräsident François Bayrou hat an Heiligabend ein Kabinett zusammengeschustert, das von politischen Wiedergängern dominiert wird: Unter ihnen zwei ehemalige Regierungschefs – die früheren Sozialdemokraten Manuel Valls und Élisabeth Borne – sowie frühere Minister aus dem katholisch-rechten Umfeld des inzwischen wegen Korruption verurteilten ehemaligen Staatschefs Nicolas Sarkozy wie der neue Justizminister Gérald Darmanin und der Innenminister Bruno Retailleau. Alle vereint, dass sie seit 2017, in der ersten Amtszeit des amtierenden Staatspräsidenten Emmanuel Macron, ihr politisches Lager gewechselt haben. Bayrou betonte am Dienstag abend, er habe »regierungserfahrene Persönlichkeiten« gewollt und reaktiviert. Nach allgemeiner Einschätzung riskiert er damit allerdings, wie bereits sein Vorgänger Michel Barnier, ohne eigene Mehrheit ein parlamentarisches Misstrauensvotum, das nicht lange auf sich warten lassen wird.
Valls, Borne und auch François Rebsamen gehörten zum rechten Flügel des Parti Socialiste (PS). Während der Amtszeit des sozialdemokratischen Präsidenten François Hollande (2012 bis 2017) war Valls zeitweise Regierungschef, Rebsamen funktionierte als Arbeitsminister. Beide verließen später die Partei, die ihnen zu weit nach »links« abgedriftet schien: Der in Barcelona geborene Valls, um in seiner spanischen Heimatstadt Bürgermeister zu werden, was trotz starker Unterstützung der dortigen lokalen extremen Rechten nicht klappte; Rebsamen, um ebenso erfolglos eine neue, bürgerlich-rechte, sozialdemokratisch angehauchte Partei zu gründen. Während Borne sich Macrons Wahlverein – damals La République en Marche, heute Renaissance – anschloss, verschwanden die von der seit Juni existierenden linken Volksfront (Nouveau Front populaire) als »Verräter« gebrandmarkten Valls und Rebsamen zunächst in der Bedeutungslosigkeit.
Sprecher der Linken reagierten noch am selben Tag entrüstet über Bayrous Rückholaktion. Aus dem Lager der LFI (La France insoumise) kam der Kommentar: »Bayrou hat Valls wohl deshalb nominiert, weil (der biblische) Judas nicht verfügbar war.« Auf den Internetseiten großer Pariser Tageszeitungen wie Le Monde oder Libération war von »Mumien« die Rede, die der selbst schon 73 Jahre alte Bayrou aus ihren Sarkophagen geholt habe.
Tatsächlich war es die Volksfront, die als klarer Sieger der Parlamentswahlen vom 7. Juli von Staatschef Macron die Nominierung eines linken Ministerpräsidenten verlangte. Doch der Präsident hatte nach wie vor das Wahlergebnis ignorierend in der vergangenen Woche Bayrou, einen Vertreter des rechten Zentrums, ernannt. Dieser gilt seit 40 Jahren als unermüdlicher Postenjäger und Steigbügelhalter der unterschiedlichsten Regierungen des katholisch-rechten Lagers.
In der Bildungspolitik setzt er, wie Präsident Macron, auf die Rückführung des öffentlichen in ein privates, vorzugsweise katholisch organisiertes Schulsystem. Dies dokumentiert auch die Nominierung verschiedener männlicher wie weiblicher Regierungsmitglieder, die sich in den vergangenen Jahren als Gegner der LGBTQ-Gemeinde profilierten. Den wachsenden Einfluss französischer Industriemultis und des Finanzkapitals repräsentiert Bayrous neuer Wirtschafts- und Finanzminister Éric Lombard, der als eine Art Gesandter der Bosse immer wieder vom privatwirtschaftlichen in den öffentlichen Sektor und zurück wechselte.
Wie schon bei seinem Vorgänger Barnier entstanden Bayrous Personalentscheidungen ganz offenbar unter dem Druck des ultrarechten Rassemblement National (RN). Die wichtigen Ressorts für Inneres, Bruno Retailleau, und Justiz, Gérald Darmanin, werden auch künftig von RN-kompatiblen Ministern geführt.
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