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Aus: Ausgabe vom 27.12.2024, Seite 8 / Inland
Bundestagswahl 2025

»Es wäre absurd, das jetzt nicht zu tun«

In drei Wahlkreisen treten Kandidatinnen kleiner sozialistischer Organisationen zur Bundestagswahl an. Ein Gespräch mit Inés Heider
Interview: Fabian Linder
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Stimme abgeben: Wahllokal in einer Schule im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg (26.9.2021)

Sie treten zusammen mit zwei anderen unabhängigen Kandidatinnen in drei Wahlkreisen direkt zur Bundestagswahl an. Wie sieht das konkret aus?

Für den Wahlkreis München West/Mitte tritt mit Leonie Lieb eine Hebamme aus München an. Leonie arbeitet in einem Kreißsaal, der geschlossen werden soll und wo das Team sich dagegen organisiert. Franziska Thomas von der Revolutionären Sozialistischen Organisation, RSO, ist Sozialarbeiterin und tritt in Tempelhof-Schöneberg an. Sie hat unter anderem »Social Workers for Palestine« mitgegründet, da es in Friedrichshain-Kreuzberg unter anderem Kündigungen gegen Sozialarbeitende gab, die sich palästinasolidarisch zeigten. Ich trete in Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost an und bin gegenwärtig als Lehrerin in Neukölln tätig. Leonie und ich sind Teil der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO).

Warum beteiligen Sie sich am bundesdeutschen Parlamentarismus?

Einerseits wollen wir im Wahlkampf zeigen, dass wir keine Berufspolitiker sind. Wir gehören zu den Leuten, die die Gesellschaft am Laufen halten und weder korrupt noch privilegiert sind. Deshalb würden wir von unseren Abgeordnetenbezügen auch nur das Gehalt einer Pflegefachkraft annehmen und den Rest an Streikkassen spenden.

Der Kapitalismus hat für die große Mehrheit außer Krieg, Armut und Umweltzerstörung nichts mehr anzubieten. Das gilt auch für seine Parteien, keine stellt sich konsequent gegen diese Phänomene, die Militarisierung, den Genozid in Gaza, Rassismus und Profitgier. Im Wahlkampf wollen wir die Stimmen von Beschäftigten stärken und zeigen: Wir leisten hier Widerstand gegen die Angriffe von Bundes- und Landesregierungen, von unseren Chefs, wenn es um Schließungen und Lohnkürzungen geht, aber auch gegen den Aufstieg der Rechten in Gestalt der AfD. Unsere Kraft liegt in unserer Selbstorganisierung auf den Straßen und den Betrieben. Wir können das Parlament allerdings nutzen. Es wäre absurd, das jetzt nicht zu tun.

Haben Sie drei eine gemeinsame inhaltliche Richtung?

Wir stellen uns alle gegen die drohenden Massenentlassungen, mit denen die Bosse zeigen, dass wir für die Krise zahlen sollen, während sie die Milliarden einnehmen, die von den Beschäftigten erarbeitet werden. In den Vordergrund stellen wollen wir vor allem, dass man gegen diese Schließungen angehen und sie im besten Fall noch verhindern kann, statt nur bessere Abfindungen rauszuholen. Gerade in Berlin hat der Volksentscheid zu Deutsche Wohnen gezeigt, dass es Zustimmung dafür gibt, Großkonzerne zu enteignen. Deshalb können wir hier besonders gut mit der Forderung anknüpfen, dass Unternehmen unter unsere Kontrolle gehören sollen.

Inwiefern grenzen Sie sich von den geschwächten bestehenden linken Parteien ab?

Die Schwächung, die wir etwa bei der Linkspartei sehen, hängt nicht nur mit dem Aufstieg der AfD zusammen, sondern auch mit eigenem Versagen und einem eigenen Rechtsruck. Sie gibt auf zentrale Fragen, etwa den Militarismus oder den Genozid in Gaza keine ausreichenden Antworten. Statt dessen möchte man um jeden Preis mitregieren. Dennoch wollen wir auch weiterhin mit Mitgliedern der Parteibasis zusammenarbeiten. Gerade dort gibt es weiterhin viel Unzufriedenheit mit dem Parteikurs.

Auf welche Erfahrungen aus anderen Ländern bauen Sie auf?

Wir gehören alle internationalen Strömungen an. Ich war anderthalb Jahre in Argentinien, wo ich die Partei der Sozialistischen Arbeiter, PTS, kennenlernen konnte. Mit drei anderen Parteien zusammen organisierte sie sich in der gemeinsamen Wahlfront FIT-U. Daran haben wir uns orientiert. Im Norden des Landes holte ein Genosse von uns immerhin 25 Prozent der Stimmen, insbesondere aufgrund der klaren Positionierung vor Ort. Das zeigte sich auch bei der Revolte im vergangenen Jahr, wo es zunächst um einen Lehrerstreik ging, und sich dann auf den Kampf um soziale Rechte und für den Schutz der indigenen Gemeinschaften ausweitete.

Inés Heider ist Lehrerin, Mitglied in der trotzkistischen »Revolutionären Internationalistischen Organisation« und Kandidatin für die Bundestagswahl 2025 im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost

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