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Aus: Ausgabe vom 27.12.2024, Seite 15 / Feminismus
Flucht und Gewalt

Keine Ruhe, keine Sicherheit

Kein Schutz trotz Gewalt: Geflüchtete Frauen in Deutschland von prekärer Unterstützungssituation noch stärker betroffen
Von Yaro Allisat
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Auch das geplante Gewalthilfegesetz wird geflüchteten Frauen nicht helfen (Köln, 2.8.2018)

Sama hat einen dicken, unsortierten Papierstapel. Bescheide vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über die Ablehnung ihres Asylantrags, Briefe vom Sozialamt, das ihr die Asylbewerberleistungen streichen will, Terminaufforderungen der Ausländerbehörde, eine Aufforderung zur Passbeschaffung, der Bescheid über die Ablehnung des Chancenaufenthalts, alles in schwer verständlichem Behördendeutsch. Einige Briefe sind gar nicht geöffnet. Dazwischen: Briefe von der Polizei – über Aussagen, die sie über ihren Ex machen soll, sowie ein Gewaltschutzantrag vom Gericht, der festlegt, dass er sich ihr nicht nähern darf. Von der Gewaltschutzberatungsstelle wird Sama als sogenannter Hochrisikofall geführt. Das bedeutet, dass ein Femizid, also ein Mord durch ihren Ex, jederzeit passieren könnte. Termine bei der Beratungsstelle nimmt Sama nur sporadisch wahr. Sie hat immer wieder Phasen, in denen sie es psychisch nicht schafft, aus dem Haus zu gehen, oder in denen sie auf ihre kleine Schwester aufpassen muss und nicht kommen kann.

Die Geschichte von Sama hat sich nicht präzise so zugetragen, denn selten kennen Beratungsstellen gewaltbetroffene Geflüchtete, die ihre Geschichte der Öffentlichkeit preisgeben wollen. Dennoch gibt es, auch wenn es mangels Studien kaum belegbar ist, wohl kaum eine geflüchtete Frau, die nicht Gewalt und Menschenhandel erlebt hat.

Was Sama bräuchte: eine Anwältin für den Gewaltschutz, die dran bleibt, ihren Expartner ins Gefängnis zu bringen. Eine Anwältin, die sich mit Migrationsrecht auskennt und ihr dabei hilft, einen gesicherten Aufenthalt zu erreichen. Eine Anwältin für die Sozialleistungen. Eine Stelle, die ihr hilft, Briefe an die Ausländerbehörde zu schreiben, damit sie zumindest ein ordentliches Ausweisdokument erhält und damit ihre Wohnsitzauflage gestrichen wird, so dass sie frei in andere Städte umziehen kann, sollte die Bedrohung durch den Ex weiter zunehmen. Alles nicht machbar aufgrund des fehlenden Geldes. Zudem eine gute psychologische Versorgung, die ihr jedoch mit ihrem aktuellen Aufenthaltsstatus verwehrt wird und auch für Frauen mit vollem Zugang zum Gesundheitssystem nicht gegeben ist. Im Asylbewerberleistungsgesetz sind nur Leistungen bei akuten medizinischen Notfällen vorgesehen.

Wieder ausgeschlossen

Das Gewalthilfegesetz, das der Bundestag noch vor den Neuwahlen beschließen will, wird Samas Situation in keiner Weise verbessern. Im Diskussionsentwurf waren die Aussetzung der Wohnsitzauflage in Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt, eine Einschränkung der Datenweitergabe an Ausländerbehörden zum Schutz Betroffener sowie die Aussetzung der Pflicht zur Teilnahme an Integrationskursen vorgesehen, wie der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (BFF) in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf geschrieben hat. Im Entwurf, der das Kabinett passierte, waren diese migrationsrechtlichen Änderungen gestrichen worden. Laut der SPD-Fraktion sollte der Passus auf Anfrage von junge Welt in einem separaten Gesetz geregelt werden, das nun durch die Neuwahlen nicht mehr ins Verfahren gebracht werden könne.

»Geflüchtete Frauen stehen nicht nur unter der Kontrolle von Tätern«, erklärt Delal Atmaca, Geschäftsführerin der Migrantinnenorganisation Da-Migra e. V. »Sie leben auch in ständiger Angst vor Abschiebung oder werden durch rechtliche Einschränkungen wie die Wohnsitzauflage gebunden. Diese enormen Hürden verhindern oft, dass sie sich aus einer Gewaltspirale befreien können. Dadurch müssen sie häufig über lange Zeiträume physische und psychische Gewalt ertragen – in einigen Fällen mit tödlichem Ausgang durch Femizid.«

Wenn der Aufenthaltsstatus migrierter Frauen an ihren Partner gebunden ist, besteht zudem eine Frist von drei Jahren, bis sie einen eigenständigen Aufenthalt bekommen. Viele wissen nicht, dass dies in Fällen häuslicher Gewalt schon vorher erwirkt werden kann. Die aufenthaltsrechtliche Abhängigkeit wird von den Männern oft als Druckmittel benutzt, wie es in einem Statement von Da-Migra, dem Geflüchtetenverein Pro Asyl und der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser vom vergangenen Donnerstag heißt.

Das Gewalthilfegesetz soll ab 2030 seine volle Wirkung entfalten und jeder Frau sowie inter- und nichtbinären Personen, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, den Anspruch auf einen kostenlosen Frauenhausplatz bieten. Damit soll es erstmals eine rechtliche Absicherung für Beratungsstellen und Frauenhäuser geben – die Deutschland zwar laut Istanbul-Konvention, die seit 2018 in gültiges deutsches Recht umgesetzt wurde, offerieren müsste, der es jedoch bisher in keiner Weise nachkommt. Laut dem kürzlich veröffentlichten ersten »Monitor Gewalt gegen Frauen« des Instituts für Menschenrechte waren im Jahr 2022 die Betten in Schutzeinrichtungen an 277 Tagen komplett belegt, rund 15.000 Mädchen und Frauen konnten nicht aufgenommen werden. Viele Bundesländer verweisen für eine finanzielle Grundlage zur Schaffung von mehr Schutzhäusern auf den Bund, der jedoch mit dem Gewalthilfegesetz keine konkreten Zahlen vorlegt. Lediglich lose sagte Familienministerin Elisabeth Paus in der Bundestagsdebatte am 6. Dezember 2,6 Milliarden Euro bis 2036 zu. Derzeit stehen knapp 6.800 Schutzhausplätze zur Verfügung, 21.100 müssten es laut Istanbul-Konvention sein.

Gesetz mangelhaft

Die SPD-Fraktion bestätigte, dass Verbände das Gesetz insgesamt als »weder hinreichend noch zielführend« einschätzten. Diese Mängel stehen im Kontext zahlreicher Geldkürzungen im sozialen Bereich. Das zeigen die Proteste in Berlin oder die deutlichen Kürzungen in der Demokratiearbeit in Sachsen. Auch der Verein Da-Migra kämpft um den Bestand seiner Arbeit, da wichtige Gelder vom Bund gestrichen werden sollen.

Gerade in ländlichen Gebieten gibt es oft wenig bis keine Schutz- und Beratungsräume. Auch das Umgangs- und Sorgerecht wird nicht reformiert, obwohl der Kindesumgang mit dem Vater ein neuralgischer Punkt der Auseinandersetzung ist. Familiengerichte gewährleisten den gewalttätigen Vätern zu oft den Zugang zum Kind und setzen damit Kind und Mutter weiterhin möglicher Gewalt sowie jahrelangen Rechtsstreiten aus. Zudem ist die Beratung von Minderjährigen, die Zeugen oder Opfer häuslicher Gewalt werden, deutlich unterfinanziert. Beratungsstellen kämpfen gegenüber Polizei und Gerichten immer wieder dafür, dass Kinder in Haushalten mit häuslicher Gewalt überhaupt wahr und ernst genommen werden. Im Gesetz vorgesehen sind auch mehr Regelungen zur Überwachung und zur Arbeit von und mit Tätern. Ein flächendeckender und wirksamer Schutz gewaltbetroffener Frauen ist aber auch damit keineswegs gewährleistet, wie sich aus einer Stellungnahme des BFF ergibt.

Im Januar hat der EuGH entschieden, dass die Flucht vor geschlechtsspezifischer Gewalt wie Zwangsheirat, häuslicher oder sexualisierter Gewalt als Fluchtgrund anzusehen ist. Doch selbst wenn Betroffene über ihre Rechte Bescheid wissen und die psychische Stärke haben, sie dem BAMF gegenüber gerichtlich zu vertreten, sind die Hilfestrukturen in Deutschland weder für Frauen mit gesichertem Aufenthalt noch ohne diesen ausreichend. Zudem ist Anfang November eine Frau mit einem acht- und einem sechsjährigen Kind aus einem Hamburger Schutzhaus abgeschoben worden. Frauenhäuser sprachen von einer Zäsur. »Durch das Vorgehen wird die Sicherheit dieser Schutzräume ernsthaft untergraben«, hieß es in einer Mitteilung der Hamburger Frauenhäuser.

Auch Sama kann abgeschoben werden. Sie kann von ihrem Ex ernsthaft verletzt oder ermordet werden. Das wissen die Sozialarbeiter, die versuchen, ihr die größtmögliche Unterstützung zu bieten. Aber das unterfinanzierte und unzureichende System setzt sie unter permanenten Druck. Oft sind sie am nächsten an den Betroffenen dran, trotzdem werden ihre Einschätzungen von Gerichten und Behörden weniger ernst genommen als polizeiliche oder psychologische Gutachten, denen es an fachlicher Kenntnis mangelt. Zudem bleiben Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen, die zahlreichen Appelle von Schutzhäusern und Beratungsstellen sowie Studien zu Gewaltbetroffenheit wie zuletzt der »Monitor Gewalt gegen Frauen« zu oft ungehört.

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