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Aus: Ausgabe vom 27.12.2024, Seite 16 / Sport
Schach

»Ich genieße die späten Erfolge«

Über das Schachjahr ihres Lebens und das Double aus EM- und WM-Titel in der Altersklasse 65 plus. Ein Gespräch mit Brigitte Burchardt
Von Sören Bär
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Brigitte Burchardt (l.) und Sylvia Wolf vom SSV Rotation (Berlin, 1.12.1998)

Die dreifache DDR-Meisterin Brigitte ­Burchardt spielt das Schachjahr ihres Lebens. Bei der EM in der Altersklasse 65 plus in Lignano Sabbiadoro (Italien) errang sie Anfang November zum zweiten Mal nach 2018 den Titel. Die Krönung ihrer Karriere folgte einen knappen Monat später bei der WM 65 plus im portugiesischen Porto Santo: Sie wurde Weltmeisterin und erhielt dafür den Großmeistertitel der Frauen (WGM) – mit 70 Jahren

Herzlichen Glückwunsch zu den Siegen bei der EM und WM sowie zum WGM-Titel! Wie ordnen Sie die Erfolge ein?

Der mit dem WM-Sieg verbundene WGM-Titel ist ein absoluter Höhepunkt meiner Karriere. In diesem Jahr spiele ich in gewisser Weise das Schach meines Lebens. Insbesondere mit meiner Leistung bei der EM, die wir zusammen mit den Männern bestritten, bin ich äußerst zufrieden. Bei der WM traf ich fast in allen Partien auf Gegnerinnen der Altersklasse 50 plus und habe mich gut geschlagen. Nachdem ich 1976 beim WM-Interzonenturnier in Tbilissi dabei war, durften wir aufgrund des Beschlusses der DDR-Sportführung nicht mehr an der WM und an Schacholympiaden teilnehmen. In der Weltrangliste vom 1. Juli 1982 befand ich mich dennoch auf Platz 14. Das zeigt, was möglich gewesen wäre. Erst 1990 in Novi Sad und 1992 in Manila bestritt ich für die Schachverbände der DDR und der BRD meine ersten Schacholympiaden. Ähnlich wie Rainer Knaak genieße ich die späten Erfolge einfach. Ich fühle mich in der Schachfamilie wohl, es macht mir Spaß, mit 70 Jahren auf hohem Niveau um Titel zu kämpfen – sowohl in der Mannschaft als auch im Einzel.

Wie vollzog sich Ihre schachliche Entwicklung in Kindheit und Jugend?

Ich bin in Weißenfels geboren und begann in einer Schul-AG. Mit neun Jahren trat ich bei Empor Weißenfels in die Sektion Schach ein. Man erkannte mein Talent, und so wurde ich in das DDR-Leistungszentrum für Frauenschach nach Halle delegiert. Gemeinsam mit Marion Heintze, Mädchenname Worch, und Annett Wagner-Michel, die heute noch meine wöchentliche Trainingspartnerin ist, erfuhr ich eine starke Förderung. Ich war jedes Wochenende zu Wettkämpfen unterwegs und bestritt teilweise ca. 100 Partien pro Jahr. Von der BSG Buna Halle-Neustadt wurden von 1967 bis 1987 jährlich internationale Frauenturniere im »Haus des Lehrers« am Thälmannplatz organisiert, an denen ich bereits als junges Mädchen teilnehmen durfte. So verbesserte ich mich schnell. Schon mit 15 Jahren nahm ich 1970 an meiner ersten DDR-Meisterschaft teil und errang gleich die Bronzemedaille. Bei den DDR-Jugendmeisterschaften spielten Mädchen und Jungen meist an einem Ort, was enorm angespornt und auch zu einem guten Verhältnis untereinander geführt hat. Toll war, dass es in der DDR eine Frauenoberliga gab, in der an sechs Brettern gespielt wurde. Zusätzlich durfte ich auch zwei Jahre in der Männermannschaft in der DDR-Sonderliga mitspielen und habe durch die Partien und die Analysen mit männlichen Kollegen viel gelernt.

Hatten Sie Vorbilder?

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Der Kulminationspunkt: Brigitte Burchardt sperrt mit 49...Lg1! den weißen Turm auf h1 ein

Nein, aber ich bewundere die mittlerweile 83jährige Nona Gaprindaschwili, die von 1962 bis 1978 Weltmeisterin war und als erste Frau überhaupt den GM-Titel der Männer errang. Mich beeindruckt, dass sie immer noch auf so hohem Niveau spielen kann und die Reisestrapazen bewältigt. In gewisser Weise hat sie mir in der letzten Runde auch zum WM-Sieg und zum Frauen-GM-Titel verholfen, als ihre Partie remis ausging. Dadurch blieb sie nach Feinwertung hinter mir auf dem Silberrang.

Wie würden Sie Ihren Stil charakterisieren?

Ich sehe mich eher als Taktikerin. So gelang mir beispielsweise auch bei der WM ein schneidiger Angriffssieg gegen die Polin Elena Krasenkowa. Doch in Halle schärften mir GM Burkhard Malich und IM Heinz Liebert früher ein, dass ich nicht jede Partie taktisch entscheiden müsse. Deshalb bin ich besonders stolz, dass ich bei der EM die Internationalen Meister Craig Pritchett und Nils-Gustaf Renman jeweils schön im Endspiel besiegen konnte.

Wie bewerten Sie den Stand des Frauenschachs in der BRD?

Eine Frauenoberliga wie in der DDR gab es in der BRD nicht. So brachten wir bei der Gründung der Damenbundesliga 1991 ein Erfolgsmodell in die Vereinigung beider Schachverbände ein. Damals konnte sich noch niemand vorstellen, dass einmal Sponsoren Frauenteams unterstützen würden, wie es heute völlig normal ist. So hat sich auch die Anzahl der Mädchen und Frauen in Schachvereinen deutlich erhöht – ein überaus positiver Effekt.

Craig W. Pritchett – Brigitte Burchardt, Senioren-EM, Runde 6, Lignano Sabbiadoro, 30.10.2024, Sizilianisch – Najdorf-Opocensky-Variante

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.Le2 e5 (Im Stile der klassischen Najdorf-Opocensky-Idee gespielt, während Garri Kasparow immer den Übergang in die Scheveninger Variante mit 6…e6 präferierte.) 7.Sb3 Le6 8.O-O Le7 9.Le3 O-O 10.Te1 (Viele Jahre galt der Geller-Karpow-Plan als das Nonplusultra, wie in Karpow-Nunn, Amsterdam 1985: 10.Dd2 Sbd7 11.a4 Tc8 12.a5 Dc7 13.Tfd1 Tfd8 14.De1! Dc6 15.Lf3 Lc4 16.Sc1! h6 17.S1a2 Sc5 18.Sb4 +/=. Weiß kontrolliert das Feld d5.) 10…Sbd7 11.a4 b6 12.h3 Dc7 13.Sd5?! (Besser sind 13.f4 oder 13.Dd3. Nach dem Abtausch auf d5 ist die Schwäche d6 plombiert. Schwarz erlangt nun die Initiative.) 13…Sxd5 14.exd5 Lf5 15.c4 Sc5?! (Präziser ist sofort 15…a5!) 16.Sc1? (16.a5! hätte die schwarze Idee verhindert.) 16…a5! 17.Sa2 Ld7 18.Sc3 f5! 19.f4?! (Dies kommt zu spät und schwächt die schwarzen Felder im weißen Lager.) 19…Lf6 20.Dc2 Tae8! 21.Sb5 Lxb5 22.axb5 exf4! 23.Lxf4 g5! 24.Lg3 Se4! 25.Lh5 Te7 -/+ (Nach einer Sequenz zehn starker Züge in Folge verfügt Schwarz bereits über deutlichen Vorteil.) 26.Lf2 Tc8?! (Konkret funktionierte sofort 26…Sxf2! 27.Dxf2 Dxc4 -+, denn 27.Kxf2 Dc5+ 28.Kg3 Txe1 29.Txe1 Dd4 30.Kh2 Dh4! 31.Dd1 g4! -+ überlebt Weiß nicht lange.) 27.Tac1! Sxf2 28.Dxf2 Txe1+ 29.Txe1 Tf8! 30.Kh1 (30.Dxf5?? Ld4+ -+) 30…Le5 31.Dd2 Dg7 32.Tb1 Dh6! 33.Le2 Dh4! (Es droht der tödliche Mattangriff 34…Dg3.) 34.De3 Dg3?! (Der Damentausch entlastet Weiß etwas. Mittels 34…g4 35.Lf1 f4! 36.Dxb6 f3! -+ ließ sich die Königsbastion sprengen.) 35.Dxg3 Lxg3 36.Ld3 Kg7 37.Kg1 Le5 38.Kf2 h5 39.b3 Kf6 40.Le2? (40.Te1!) 40…h4 41.Ke3 Te8 42.Kd3 Lf4 43.Lf3? g4! 44.hxg4 h3! -+ (Wieder hat Schwarz mit einer Serie präziser Züge die Oberhand.) 45.gxf5 h2?! (Zuerst 45…Te3+ gewinnt rasch, weil nach 46.Kd4 h2! unmittelbar 47…Txb3 droht und auf 46.Kc2 hxg2 47.Lxg2 Te2+ -+ den Lg2 gewinnt.) 46.Tf1 (46.Le4!) 46Lg3 (46…Te3+!) 47.Le4! Th8 48.Th1 Lf2 49.Ke2 Lg1! (Mit dem eingesperrten Th1 ergibt sich eine malerische Position.) 50.Kf3 Kg5 51.Kg3 (51.g3) 51Te8 (51…Th4! -+) 52.Kf3 Te5 53.g4 Te8 54.f6 Tf8 55.Lf5 Txf6 56.Kg3 Tf8 57.Le6 Ta8 (57…Tf2 -+) 58.Ld7 a4 59.bxa4 Txa4 60.Lc6 Txc4 61.Ld7 Tc3+ 62.Kg2 Tc5 63.Lc6 Kxg4 64.Ld7+ Kf4 65.Lc6 Tc2+ 66.Kh3 Kf3 67.Ld7 Tc7 (Nach 68.Lf5 Kf4 69.Lb1 Tc5 -+ verliert Weiß die Bauern am Damenflügel, noch ärger ist 68.Lc6?? Th7#.) 0:1

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