Suche nach den Lücken
Von Kristian StemmlerAuch zum Jahreswechsel befasste sich die Politik mit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg. Im Fokus steht nach wie vor, ob der Attentäter, der aus Saudi-Arabien stammende Psychiater Taleb A., hätte gestoppt werden können und ob es Lücken im Sicherheitskonzept gegeben hat. Antworten auf diese Fragen könnte ein Untersuchungsausschuss im Landtag von Sachsen-Anhalt geben, den die Fraktionen von Die Linke, FDP und AfD am Dienstag einem Bericht des MDR zufolge forderten. SPD und CDU zeigten sich grundsätzlich für einen solchen Ausschuss offen, setzen aber zunächst auf eine Aufarbeitung der Ereignisse im Innenausschuss des Landtags.
Linksfraktionschefin Eva von Angern erklärte gegenüber dem MDR, mit einem Untersuchungsausschuss könne geklärt werden, wieso der Täter trotz diverser Hinweise auf seine Gefährlichkeit noch im Maßregelvollzug habe arbeiten dürfen. Außerdem könne man prüfen, ob die Sicherheitskonzepte des Weihnachtsmarktbetreibers, der Stadt Magdeburg und der Polizei eingehalten worden seien. Für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses genügt die Zustimmung eines Viertels der Landtagsabgeordneten. CDU-Fraktionschef Guido Heuer verwies darauf, dass sich zunächst der Innenausschuss mit dem Anschlag befassen solle. Alle Sachverhalte müssten »lückenlos aufgeklärt werden«.
Bei der nichtöffentlichen Sitzung des Innenausschusses des Bundestags am Montag waren offenbar viele Fragen offen geblieben. So konnte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ihre Zusage, eine Chronologie zu Taleb A. und seinen Kontakten zu Behörden vorzulegen, nicht einhalten. Laut einem Bericht der Welt erklärte Faeser: »Wir sind noch nicht soweit.« Parteiübergreifend zeigten sich die Abgeordneten nach der Sitzung bestürzt über die Details der Todesfahrt von Taleb A. Bei weiteren Sitzungen soll die Frage im Zentrum stehen, warum die Behörden den Attentäter nicht stoppten, obwohl er viele Male Gewalt angedroht hatte. Mehrere Ausschussmitglieder berichteten laut dpa, dass es rund 80 Hinweise dieser Art gegeben habe.
Gegenüber Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern etwa hatte der Mann bereits 2013 und 2015 Drohungen geäußert, wie das dortige Justizministerium nach Überprüfung früherer Ermittlungen mitteilte. Demnach zeigte er sich im April 2013 in einem Telefonat mit der Ärztekammer unzufrieden über die aus seiner Sicht langwierige Bearbeitung seines Antrags auf Zulassung zur Facharztprüfung und drohte etwas Ähnliches wie den Anschlag auf den Boston-Marathon am Tag zuvor an. Dort waren fünf Menschen getötet und 260 verletzt worden. Bei einer anschließenden Wohnungsdurchsuchung fand die Polizei aber keine gefährlichen Gegenstände.
Faeser betonte nach der Sitzung, viele Fragen könnten nur vor Ort in Sachsen-Anhalt beantwortet werden. Noch ließen die Ermittlungen kein klares Bild erkennen. Der Täter passe in kein gängiges Raster. Er weise psychische Auffälligkeiten auf. Zwei Monate vor der Bundestagswahl kündigte Faeser zudem Konsequenzen an. Klar sei, »dass wir unsere Sicherheitsbehörden stärken müssen«. Bündnisgrüne und FDP forderten, dass jemand die politische Verantwortung für mutmaßliches Behördenversagen übernimmt.
Unterdessen erklärte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg gegenüber dpa, dass Ermittlungen zu möglichen Defiziten beim Sicherheitskonzept noch Wochen dauern können. So müsse die Frage geprüft werden, ob Versäumnisse strafrechtlich relevant seien. Zuletzt lagen mindestens drei Strafanzeigen gegen Verantwortliche der Stadt, der Polizei und der Gesellschaft zur Durchführung der Magdeburger Weihnachtsmärkte vor. Die Generalstaatsanwaltschaft hält es für möglich, dass sich diese Zahl noch erhöht.
Für Empörung in den »sozialen Medien« sorgte ein Vorstoß von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Mit Blick auf Taleb A, der »psychisch krank« sei, hatte er am Montag gegenüber dem Deutschlandfunk erklärt, »für diese Typen« gebe es kein Raster. Es reiche »nicht aus, Register für Islamisten und Rechtsextremisten anzulegen«, sondern das müsse eben »in Zukunft auch für psychisch Kranke gelten«.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (3. Januar 2025 um 00:16 Uhr)Was »der Mann« an »Drohungen geäußert« hat, ist völlig irrelevant. Man hat solche Veranstaltungen vor dieser Art von Risiko zu schützen (Risiko ist die Möglichkeit des Eintretens eines unerwünschten Ereignisses in der Zukunft). Betonblöcke, fest aufgestellte und bewegliche, die für Rettungsfahrzeuge zur Seite und wieder zurückgeschoben werden können, erfüllen sehr wohl den Zweck der Risikominderung. Man darf sich bei der Planung und Aufstellung halt nicht zu dämlich anstellen. Dafür, wie man das Linnemann-Risko eindämmen kann, habe ich leider keine so konkrete Vorstellung.
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