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Aus: Ausgabe vom 02.01.2025, Seite 8 / Inland
Überwachung mit KI

»Man wird zum gläsernen Menschen«

Überwachung mit KI: In Hessen werden die Befugnisse der Polizei ausgeweitet. Ein Gespräch mit Simone Ruf
Interview: Gitta Düperthal
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Alles im Blick: Anlage zur Videoüberwachung in Frankfurt am Main (15.1.2024)

Die CDU-SPD-Regierung in Hessen hat Mitte Dezember 2024 mit sogenannten Sicherheitsgesetzen die Befugnisse der Polizei ausgeweitet. Was bedeutet es, wenn bei der Videoüberwachung demnächst künstliche Intelligenz, KI, zum Einsatz kommt?

Dazu gehört zum Beispiel eine Form der Videoanalyse, die aktuell schon in Hamburg und in Mannheim eingesetzt wird. Das System soll Bewegungsmuster erkennen und etwa bei Tritten oder Schlägen an die Polizei melden: Hier könnte etwas Gefährliches passieren. Problematisch ist, dass wir nicht wissen, welches konkrete Verhalten ein Signal auslöst. Das Gesetz macht dazu keine genauen Vorgaben. Es hängt also davon ab, wie die Software trainiert wurde. Gerade für Menschen, die sich vermeintlich atypisch im öffentlichen Raum verhalten, zum Beispiel obdachlose Menschen, ist das schwierig. Außerdem sollen in Hessen Muster in Bezug auf Waffen, Messer und gefährliche Gegenstände von der Software entdeckt werden. Das ist relativ unspezifisch und geht sehr weit. Darunter können auch Alltagsgegenstände fallen. Weiterhin gibt es erstmals in Deutschland eine Befugnis zur biometrischen Echtzeit-Fernidentifizierung im öffentlichen Raum, um Menschen auf Überwachungsvideos live zu identifizieren. Dazu gehört der Einsatz von Gesichtserkennungssoftware.

Die Polizeiarbeit tendiert zu mehr biometrischer Gesichtserkennung. Im Jahr 2023 gab es dazu 117.894 Abfragen über die Landeskriminalämter, das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei; rund 26.000 mehr als noch 2022.

Dabei handelte es sich im Vergleich zur neuen Befugnis in Hessen um nachträgliche Abgleiche, also nicht Echtzeit. Beides schränkt Grundrechte erheblich ein. Wenn die Polizei weiß, wo ich mich mit wem getroffen habe, können Rückschlüsse auf meine politische Einstellung, meinen Gesundheitszustand oder auch meine sexuelle Orientierung gezogen werden. Anonymität im öffentlichen Raum wird unmöglich. Man wird zum gläsernen Menschen. Das hat auch Auswirkungen auf das Ausüben der Grundrechte: Wenn ich weiß, dass ich überall identifiziert werden kann, passe ich mein Verhalten natürlich an. Hinzu kommt, dass die Systeme fehleranfällig sind. Gerade nichtweiße Menschen werden oft falsch identifiziert.

Gibt es weitere Polizeibefugnisse in Hessen?

Ja. Polizisten dürfen zum Beispiel bei Einsätzen Bodycams tragen und sie auch in Wohnungen einschalten. Es gibt mehr Möglichkeiten, Menschen in Gewahrsam zu nehmen. Präventivhaft darf länger dauern. Elektronische Fußfesseln können häufiger eingesetzt werden. Verstöße gegen Aufenthaltsverbote werden unter Strafe gestellt. Die Polizeisoftware »Hessendata« des US-Konzerns Palantir soll nun explizit KI einsetzen dürfen, um unterschiedliche polizeiliche Datenbanken zu analysieren. Vieles davon bedeutet für marginalisierte Gruppen und Communitys mehr Überwachung und Grundrechtseingriffe.

Ist das nicht gerade in Frankfurt problematisch, wo die Polizei wegen rechter Netzwerke in den Schlagzeilen war?

Erweitert der Gesetzgeber polizeiliche Befugnisse, muss er sie klar formulieren, darf eben keine großen Spielräume lassen. Außerdem spielt Kontrolle eine wichtige Rolle, um Missbrauch vorzubeugen: Gerade bei heimlich ausgeführten Befugnissen können Betroffene in der Regel keinen Rechtsschutz erlangen, weil sie gar nicht wissen, dass sie betroffen sind. Datenschutzbeauftragte sollten regelmäßig Kontrollen durchführen. Das setzt ausreichende Dokumentation seitens der Polizei voraus.

Gegen wen sind die neuen Regelungen hauptsächlich gerichtet?

Betroffen davon können potenziell alle Menschen sein. Beispielsweise werden bei der Gesichtserkennung von allen mit Kameras aufgenommenen Menschen personenbezogene Daten verarbeitet. Mehr Überwachung wirkt aber einschüchternd auf Aktivismus. Für Aktivisten ist die Wahrscheinlichkeit, ins Visier zu geraten, deutlich höher. Diejenigen, die bereits in einer polizeilichen Datenbank gelandet sind, sind besonders betroffen.

Simone Ruf ist Juristin für die Gesellschaft für Freiheitsrechte

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