»Schattenflottenjagd«
Von Knut MellenthinSeit voriger Woche halten die finnischen Behörden den Tanker »Eagle S« unter dem Vorwurf fest, am 25. Dezember mit schleifendem Anker ein Stromkabel beschädigt zu haben, das zwischen Finnland und Estland verläuft. Beweismittel soll eine fast 100 Kilometer lange Schleifspur auf dem Meeresboden sein. Das Schiff fährt unter der Flagge der südpazifischen Cookinseln, gehört angeblich einem intransparenten »Cluster« russischer Unternehmer und soll russisches Erdöl an Bord haben.
Seither hat die Politiker- und Medienkampagne gegen die russische »Schattenflotte« noch mehr Schwung, Schärfe und System gewonnen. Im internationalen Recht kommt der Begriff nicht vor. Die Website Lloyds List, das mit Abstand beste Informationsmittel zu diesen Vorgängen, definiert einen Tanker als Teil der »Schattenflotte«, wenn er mindestens 15 Jahre alt ist, der Eigentümer unbekannt ist oder sich hinter Konstruktionen verbirgt, die die Besitzverhältnisse verschleiern sollen, wenn er ausschließlich im sanktionierten Ölhandel eingesetzt wird und wenn er an mindestens einer der Praktiken zur Umgehung der westlichen Sanktionen beteiligt ist, die in einer Richtlinie des US-Außenministeriums vom Mai 2020 aufgelistet sind.
Westliche Politiker und Medien unterstellen, dass diese Schiffe drei Funktionen verbinden: Erstens dienen sie zur Umgehung der westlichen Sanktionen, die mit internationalem Recht nichts zu tun haben, sondern ihm eher widersprechen. Zweitens verüben sie Sachbeschädigung, indem sie Stromkabel und Datenleitungen auf dem Meeresboden unterbrechen. Und drittens nehmen sie angeblich auch noch Spionageaufgaben wahr.
Was die Zerstörung unterseeischer Kabel angeht, präsentierte der Spiegel am Montag einen »Sicherheitsexperten« namens Johannes Peters, der rundum versicherte, es gebe davon so viele, dass ausreichend Reservekapazität vorhanden sei und jeder Schaden schnell überbrückt werden könne. Auf die Frage der Journalisten, warum Russland dann überhaupt so auffällige Aktivitäten betreibe, antwortete Peters, es wolle »Unsicherheit schüren, sowohl in den Bevölkerungen als auch bei Behörden und Militärs«.
Das mag glauben, wer »den Russen« grenzenlose Dummheit zutraut. Denn die voraussehbaren Folgen derartiger Vorkommnisse sind verstärkte Überwachungsmaßnahmen der NATO und noch mehr antirussische Stimmungsmache aller westlichen Massenmedien, um die »Kriegsertüchtigung« auch auf diese Weise zu flankieren und voranzutreiben. Prompt kündigte NATO-Generalsekretär Mark Rutte am 28. Dezember an, dass die westliche Allianz »ihre Präsenz in der Ostsee steigern« werde. Genaueres konnten die Journalisten dem NATO-Hauptquartier nicht entlocken. Die Vizechefin der EU-Kommission, Kaja Kallas, teilte mit, die Union bereite zusätzliche Sanktionen gegen die »Schattenflotte« vor, die »die Sicherheit und die Umwelt bedroht und Russlands Kriegshaushalt finanziert«. Die frühere estnische Premierministerin, eine ausgesprochene Fanatikerin in Sachen Russland-Feindlichkeit, repräsentiert seit dem 1. Dezember die EU-Außenpolitik. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, die ihr in diesem Punkt kaum nachsteht, nahm die aktuellen Vorgänge um die »Eagle S« als »dringenden Weckruf an uns alle« auf und forderte »mehr Investitionen in den nationalen Schutz« bei gleichzeitigem Ausbau der Zusammenarbeit in NATO und EU.
Die Nase vorn hat trotzdem das EU-Parlament, das schon am 14. November – also gut einen Monat vor der inszenierten Affäre um die »Eagle S« – eine umfassende Resolution verabschiedet hatte. Gefordert werden mehr gezielte Maßnahmen zur Durchsetzung der EU-Sanktionen ebenso wie deren Ausweitung auf alle Personen, Firmen und Institutionen, die mit der »Schattenflotte« in Verbindung gebracht werden können. Außerdem will das Parlament mehr Überwachung aller russischen Öltanker, die »EU-Gewässer« durchfahren, einschließlich gezielter »Inspektionen« an Bord. Und nicht zuletzt sollen alle Importe von Erdöl und Erdgas in die Länder der EU verboten werden.
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