Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 02.01.2025, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Prekäre Beschäftigung

Atypisch ist für viele normal

Junge Lohnabhängige und Frauen besonders häufig prekär beschäftigt. Atypische Arbeitszeiten überdurchschnittlich oft in Sachsen-Anhalt
Von Gudrun Giese
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Extraschichten: Ackern, rackern, wenn andere schlafen oder freihaben (Berlin, 5.12.2004)

Das Lamento aus Politik und Unternehmenskreisen über den »Fachkräftemangel« ist groß. Gleichzeitig werden immer mehr Beschäftigte in prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungen. Dazu gehört die Arbeit zu atypischen Zeiten, also spätabends sowie an Wochenenden und Feiertagen. Nach aktuellen, von der Gruppe Die Linke im Bundestag veröffentlichten Daten liegt Sachsen-Anhalt dabei weit vorne: 19,8 Prozent der Beschäftigten in diesem Bundesland müssten an Wochenenden arbeiten, was rund 184.000 Menschen entspricht. Vor allem »für die Beschäftigten im Einzelhandel, in Gaststätten und Hotels bedeuten Feiertage wie Weihnachten und Silvester vor allem Stress, Zusatzschichten am Wochenende und jede Menge Überstunden«, konstatierte Monika Hohmann, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im sachsen-anhaltischen Landtag, in einer Erklärung am Montag. Auch der Anteil der Beschäftigten mit regelmäßiger Nachtarbeit sei mit zirka 51.000 oder 5,5 Prozent überdurchschnittlich hoch. Trotz der besonderen Belastung zahle sich die Arbeit zu atypischen Zeiten nicht einmal materiell aus, so Hohmann. Die seit 2021 regierende Koalition aus CDU, SPD und FDP nehme Armutslöhne und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse weitgehend hin. So bleibe Sachsen-Anhalt »weiterhin das Land der Billiglöhne und der prekär Beschäftigten«, heißt es von der Linksfraktion. Weder die Tarifbindung sei gestärkt noch die Pflicht zur Arbeitszeitverfassung in den zurückliegenden Jahren umgesetzt worden. Die minimale Erhöhung des Mindestlohns sei längst von der Inflation überkompensiert worden.

Der Arbeitsmarkt verändert sich auch in anderen Bundesländern. So hat das Statistische Landesamt Nordrhein-Westfalen bei der Auswertung des Mikrozensus 2023 zwar einen geringfügigen Rückgang atypischer Beschäftigung ermittelt. Doch liegt der Wert mit rund 1,56 Millionen der insgesamt 7,75 Millionen Kernerwerbstätigen auf einem anhaltend hohen Niveau. Ihr Anteil betrug 20,2 Prozent, was im Vergleich zu 2022 einem Rückgang von 1,3 Prozent entspricht. Zur atypischen Beschäftigung zählen Teilzeit mit bis zu zwanzig Wochenarbeitsstunden, befristete oder geringfügige Beschäftigung sowie Leiharbeit. Die Auswertung belegte einmal mehr, dass Frauen weitaus häufiger als Männer atypisch beschäftigt sind, wozu insbesondere die hohe Teilzeitquote beiträgt. Während 22,5 Prozent der erwerbstätigen Frauen in Teilzeit mit bis zu zwanzig Wochenstunden arbeiteten, waren es nur 4,2 Prozent der Männer. Auch geringfügige Beschäftigung war bei Frauen mit 8,8 Prozent stärker vertreten als bei Männern mit 2,8 Prozent.

Junge Erwerbstätige in der Altersgruppe bis zu 25 Jahren sind in NRW besonders oft befristet, geringfügig oder in Leiharbeit beschäftigt. Wer keinen bundesdeutschen Pass hat, arbeitet häufiger in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis, der Anteil lag mit 34,1 Prozent fast doppelt so hoch wie bei den Bundesbürgern mit 17,7 Prozent. Ausländische Erwerbstätige aus Nicht-EU-Staaten waren sogar zu einem Anteil von 36,8 Prozent atypisch beschäftigt. In dieser Gruppe bedeutete das am häufigsten Teilzeitarbeit, eine befristete Anstellung oder geringfügige Beschäftigung. Auch von Leiharbeit sind ausländische Erwerbstätige in NRW mit 8,8 Prozent gut sechsmal häufiger betroffen als Erwerbstätige mit deutschem Pass.

Die Beispiele werden auch durch den Sozialbericht der Bundeszentrale für politische Bildung untermauert. In dem Anfang November 2024 veröffentlichten Papier heißt es, dass der »deutsche Arbeitsmarkt in den zurückliegenden Jahrzehnten heterogener geworden« sei. Es gibt mehr prekäre und atypische Arbeit, denn: »Arbeitsverträge werden in geringerem Umfang auf Basis von Flächentarifverträgen geregelt. Teilzeitbeschäftigung und geringfügige Beschäftigung (Minijobs) haben zugenommen. Erwerbsformen, die Unternehmen mehr Flexibilität geben, wie befristete Beschäftigung oder Leiharbeit, haben an Bedeutung gewonnen.« Wer solche Bedingungen schafft, sollte sich über »Fachkräftemangel« eigentlich nicht wundern.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (3. Januar 2025 um 16:07 Uhr)
    Wann wird »atypisch« »typisch«? War es nicht zu gewissen Zeiten »typisch« dass ein Ernährer eine Familie ernähren konnte? Da hat doch ein wirtschaftstheoretisierender Philosoph vor geraumer Zeit über »Verelendung« gegrübelt. Stimmt dessen Theorie vom tendentiellen Fall der Profitrate doch?

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