SPD ganz bei sich
Von Susanne KnütterDie SPD will es noch einmal allen zeigen. Was Union und FDP können, kann sie schon lange. Am Donnerstag reagierte SPD-Kochef Lars Klingbeil auf Wünsche des Industrieverbands Gesamtmetall und verlangte eine sofortige Deckelung der Stromnetzentgelte. »Unser Vorschlag für eine Deckelung von Netzentgelten und damit mehr Planungssicherheit bei den Energiekosten ist entscheidungsreif«, sagte er in Anspielung auf einen entsprechenden Kabinettsbeschluss von Anfang Dezember. Union und FDP, so Klingbeil, sperrten sich dagegen. Gesamtmetall-Chef Stefan Wolf wiederum hatte zuletzt um Silvester herum seine Wunschliste an die nächste Regierung formuliert – darunter die Senkung der Sozialabgaben und Strompreise. Das verband er mit der Hoffnung auf eine künftige Union-FDP-Regierung.
Hintergrund sind drohende Stellenstreichungen seltenen Ausmaßes. 31 Prozent der Metall- und Elektrobetriebe in Nordrhein-Westfalen planen einen Jobabbau im nächsten halben Jahr, wie die Rheinische Post am Donnerstag unter Berufung auf eine Umfrage des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie NRW berichtete. Damit haben sich die Befürchtungen einer anhaltenden Rezession verfestigt. 40 Prozent der befragten Firmen erwarten in den nächsten sechs Monaten demnach rückläufige Geschäfte, nur fünf Prozent rechnen mit einer Besserung.
Schon in den letzten sechs Monaten haben 27 Prozent der Unternehmen im bevölkerungsreichsten Bundesland Jobs gestrichen. Noch einmal so viele Unternehmen haben ihre Belegschaft in Kurzarbeit geschickt. Auch hier hat die SPD etwas zu bieten. Kurz vor Weihnachten lockerte die Bundesregierung die Regelungen zur Kurzarbeit. Nun kann ein Betrieb bis zu 24 Monate Kurzarbeitergeld erhalten. 39 Prozent der Firmen in NRW haben schon angekündigt, von dem Instrument Gebrauch zu machen. Für die betroffenen Kollegen heißt das: reduzierter Lohn, bezahlt aus den Mitteln der Bundesagentur für Arbeit, Zukunft ungewiss.
Für den Präsidenten von Metall NRW, Arndt Kirchhoff, ist das Umfrageergebnis das »bittere Resultat einer politisch hausgemachten, tiefen Wettbewerbsfähigkeitskrise«. Die gescheiterte Ampel habe ungeachtet aller Warnungen entweder tatenlos zugesehen oder völlig falsche wirtschafts- und sozialpolitische Entscheidungen getroffen. Das trifft insbesondere auf die Energiefrage zu. Nach dem Ausstieg aus der Belieferung mit russischem Gas folgte der Ausstieg aus Gas überhaupt. Bis 2045 sollen Haushalte und Unternehmen von Gas unabhängig sein. Dafür müssten in den kommenden Jahren dreistellige Milliardenbeträge in das Netz investiert werden, wie dpa am Donnerstag unter Berufung auf Energiemarktexperten berichtete. Netzentgelte würden dadurch zum entscheidenden Kostenbestandteil des Endkundenpreises.
Dass sich die Krise am Ende nicht mit der Lockerung von Kurzarbeitergeld und der Deckelung von Netzentgelten lösen lässt, weiß auch ein Lars Klingbeil. Er ist daher zu weiteren Zugeständnissen an Kapitalverbände bereit. Etwa beim Bürgergeld. Wie bereits andere seiner Partei will er das Thema nicht der Union überlassen und sprach sich am Mittwoch für eine Verschärfung der Sanktionen aus. Das ist aus Sicht des Kapitals nur folgerichtig. Wo die Arbeitslosigkeit steigt, müssen die Sanktionen gegen Jobverweigerer härter werden. Die Frage, die sich die SPD allerdings stellen sollte, lautet: Lassen sich so Wahlen gewinnen, wenn ein immer größerer Anteil der Wahlberechtigten erwerbslos wird?
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (3. Januar 2025 um 11:58 Uhr)Ganz nebenbei und am Rande würde ich gerne die Frage stellen, wie sich Netzentgelte »deckeln« lassen sollen. Man könnte die Profite der Netzbetreiber deckeln, die Kostpreise für Betrieb, Unterhaltung und Ausbau bleiben (das ist der kleine Unterschied zwischen Kostenlos und Gebührenfrei …). Das scheue Reh »Kapital« könnte sich daraufhin zurückziehen und den Betrieb der Netzinfrastruktur dem Staat überlassen, was nicht sooo schlecht sein müsste, mit dem Neoliberalismus aber nicht ganz kompatibel ist. Eine recht pauschale und stark vergröbernde Datenuntersuchung zeigt den Knackpunkt: Will man alle (fossile) Primärenergie durch elektrischen Strom ersetzen, müssen die Stromnetze »ertüchtigt« werden. Im Jahre 2022 wurden in Deutschland 11.614 Petajoul Primärenegie verbraucht. Die Netzlast des Stromverbrauchs war 1.824 Petajoul. Nimmt man (pauschal) 35 Prozent als Erzeugungswirkungsgrad für Strom an, ergeben sich 5211 Petajoule Primärenergie für die Stromerzeugung (diese Annahme ist zu hoch, für die grobe Abschätzung ist das aber unerheblich). Also müsste man 11.614 - 5.211 = 6.403 Petajoule an Strom zusätzlich bereitstellen um alle (fossile) Primärenergie durch (»erneuerbaren«) Strom zu ersetzen. Damit das Netz diese Energie transportieren kann, muss seine Kapazität von 1.824 PJ auf 8.227 PJ gesteigert werden, also auf das 4,5-fache. Auf die Frage, mit welchem Deckel Herr Klingbeil den Netzausbau bewältigen will, wird er diffenziert antworten: 1) Es kommt der grüne Wasserstoff, 2) wir machen CCUS mit tausenden Kilometern CO2-Pipelines und 3) E-Fuels bringen den Rest.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (3. Januar 2025 um 09:13 Uhr)»Wo die Arbeitslosigkeit steigt, müssen die Sanktionen gegen Jobverweigerer härter werden.« Allein dieser einzige Satz (wie der gesamte Artikel) zeigt bereits die völlige hilf- und -ratlosigkeit der Vielzahl von selbsternannten wirtschaftspolitischen »Experten«. Eine durch verschärfte Repressionen gegenüber Arbeitslosen erzwungene drastische weitere Ausdehnung des Billiglohnsektors mag zwar der Statistik nützen und auch das Kapital (kurzfristig) erfreuen, dürfte aber wohl ebenso wenig konjunkturfördernd wie problemlösend sein oder gar den Industriestandort Deutschland stärkend.
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