Lange Leitung
Von Kristian StemmlerDie vorgezogene Bundestagswahl im Februar und das langsame Verdämmern der »Krieg bis zum Sieg«-Erzählungen lockern das zwei lange Jahre im politischen Mainstream der Bundesrepublik durchgesetzte Tabu, über mögliche Wege zu einem Frieden in der Ukraine auch nur zu reden. Die SPD-Kovorsitzende Saskia Esken, die bislang eher nicht durch friedenspolitisches Engagement aufgefallen ist, hat sich zum Jahresbeginn für weitere Telefonate von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgesprochen. Man müsse diese Gespräche »immer wieder auch führen, um eben auch auszuloten, was getan werden kann, damit das Töten, das Sterben endlich ein Ende hat«, sagte sie am Donnerstag gegenüber dpa. Scholz hatte im November nach mehr als zwei Jahren erstmals wieder mit Putin telefoniert und war dafür vom ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij, aber auch von osteuropäischen NATO-Partnern scharf angegangen worden.
Esken lobte das Telefonat dagegen, weil es »Klarheit« hinsichtlich der Haltung Putins gebracht habe. Es sei »0,0 Bereitschaft« zu erkennen, »solche Schritte zu machen, um einen Waffenstillstand ins Auge zu fassen«, will sie aus diesem Gespräch mitgenommen haben. Die russische Aggression gegen die Ukraine sei unvermindert stark. Diese Situation solle man »nicht ausblenden und jetzt über einen Waffenstillstand reden, der gerade im Moment überhaupt nicht im Raum steht, weil Putin dazu nicht bereit ist«, sagte die SPD-Chefin. Ein persönliches Treffen von Putin und Scholz halte sie derzeit ohnehin nicht für zielführend: »Solange die Haltungen so sind, wie sie sind, genügt es sicher, zu telefonieren.«
Esken hob hervor, dass Scholz auch mit Ländern wie Indien oder Brasilien das Gespräch suche, um auf dem Weg zu einem Ende des Ukraine-Kriegs weiterzukommen. Kein Krieg werde auf dem Schlachtfeld entschieden, »sondern am Ende in Verhandlungen«, sagte sie. Dafür müssten aber auch Gesprächsfäden vorhanden sein. Da müsse man wissen, »mit wem man wie rechnen kann«. Als Vermittler zwischen Putin und Selenskij sieht die SPD-Politikerin den Bundeskanzler aber eher nicht. Sie glaube, »dass Vermittler in solchen Situationen meistens nicht Staatenlenker sind, nicht Bundeskanzler, nicht Präsidenten, sondern eher Personen der zweiten Reihe«. Bei der Organisation solcher Gespräche werde Scholz aber mit »Sicherheit eine wichtige Rolle« spielen.
Derweil geht die vorläufig mangels konkreter Ansatzpunkte im luftleeren Raum stattfindende Debatte über den Einsatz einer internationalen »Friedenstruppe« mit einer Beteiligung deutscher Soldaten im Fall eines Waffenstillstands in der Ukraine weiter. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag von dpa sprachen sich 56 Prozent der Befragten für einen solchen Einsatz aus. Dabei unterstützen allerdings nur 23 Prozent eine Beteiligung deutscher Soldaten an einer solchen Truppe. 33 Prozent wollen die Bundeswehr dabei nicht beteiligt sehen. 19 Prozent der Befragten sprachen sich grundsätzlich gegen den Einsatz einer solchen Truppe aus, 25 Prozent machten keine Angaben.
In den NATO-Ländern wird aktuell verstärkt darüber diskutiert, wie ein Waffenstillstand, von dem völlig offen ist, wann und unter welchen Bedingungen er zustande kommt, abgesichert werden könnte. Diese Diskussion ist vorläufig vor allem ein Indiz dafür, dass einzelne NATO-Länder auf eine Beendigung des Krieges orientieren – womöglich nur deshalb, weil ein völliger Zusammenbruch der ukrainischen Armee mittelfristig nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Auch der ukrainische Präsident Selenskij hat versichert, den Krieg in diesem Jahr beenden zu wollen. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) verwies kurz vor Weihnachten in einem Interview der Funke-Mediengruppe darauf, dass sich die Frage einer »Friedenstruppe« erst stelle, wenn die Bedingungen eines Waffenstillstands klar seien. Er sagte aber auch: »Klar ist wohl: Deutschland könnte als größtes NATO-Land in Europa und größte Volkswirtschaft in Europa nicht unbeteiligt an der Seite stehen.« Scholz hatte sich zuvor allerdings gegen eine öffentliche Diskussion über eine »Friedenstruppe« ausgesprochen. Der Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz (CDU), plädierte kürzlich für eine deutsche Beteiligung an einer Stationierung in der Ukraine – allerdings nur unter der Bedingung, dass dafür ein »einwandfreies völkerrechtliches Mandat« vorliege. Das sehe er aber momentan nicht.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (5. Januar 2025 um 19:32 Uhr)Putin ist zwar nicht zu Gesprächen über einen isolierten Waffenstillstand bereit, wohl aber zu Gesprächen über einen Stillstand der Waffen in Verbindung mit einer endgültigen Friedenslösung. Ohne eine Lösung der Grundprobleme würde ein Waffenstillstand nämlich lediglich zu einer Nutzung der Kampfpause für Wiederaufrüstung der Ukraine und sodann zu erneuter Kriegseskalation führen. Das lehrt nicht nur die Erfahrung mit den Minsker Abkommen, die von westlicher Seite nie ernst gemeint waren, denn statt der geforderten direkten west-ost-ukrainischen Gespräche gab es lediglich massenhaft Waffen aus dem Westen, bis Selenskij am 1.12.2021 verkündete, die Ukraine habe die beste Armee der Welt und werde sich mit allen Mitteln (»by all means«, https://www.president.gov.ua/en/news/vistup-prezidenta-volodimira-zelenskogo-u-verhovnij-radi-zi-71805) die Krim und den Donbass zurückholen. Das ist von russischer Seite als eine Art Quasi-Kriegserklärung ernst genommen worden. Zumindest jW hatte am 3.12.21 berichtet. Dem Westen indes war das keiner Rede wert, das folgende russische Verlangen nach Sicherheitsgarantien wurde mit im Kern nichtssagenden Antworten abgetan. Selenskij schob dann noch weitere Kraftmeiereien gen Russland nach, bis hin zur Drohung mit der Atombombe. Das scheinen Esken und Co nicht auf dem Schirm zu haben. Wie bitteschön sollten da deutsche Truppen in der Ukraine einen Waffenstillstand absichern?! Glaubt denn irgendwer im Ernst, dass deutsche Soldaten die kriegslustigen Westukrainer gewaltsam in Schach halten würden? Glaubt irgendwer im Ernst, dass die 30.000 Sicherheitskräfte der Donbassrepubliken Mitte Februar 2022 den Krieg gegen die 200.000 westukrainischen Soldaten an der Kontaktlinie begonnen haben? Wann endlich kehrt mal Realitätssinn im erforderlichen Umfang in die Köpfe unserer Politiker ein?! Wieviel Ukrainer und Russen müssen erst noch sterben, bis man begreift, dass Donbass und Russland sich kein zweites Mal vom Westen übertölpeln lassen wollen?
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