Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 03.01.2025, Seite 5 / Inland
Jahresrückblick Chemische Industrie

Verblichener Glanz

Jahresrückblick 2024. Heute: Chemieindustrie. Kostendruck, Stellenabbau, Abwanderung – die einstige Vorzeigebranche stellt Standort in Frage
Von Klaus Fischer
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»Es regieren Kostenkeule und Kapazitätsabbau«: Produktionsanlagen des Chemiekonzerns BASF in Ludwigshafen

Der Wirtschaftsstandort Deutschland verharrte auch 2024 in der Krise. Neben Automobilindustrie, Maschinenbau, Stahlerzeugung oder Bauwirtschaft hat auch die chemische und pharmazeutische Industrie als drittstärkste Branche mit zahlreichen hausgemachten und globalen Problemen zu kämpfen. Und das sagen nicht nur Börsenakteure oder Lobbyisten, sondern inzwischen auch die zuständige Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Diese bescheinigt der Branche eine »dramatische Lage«.

»Investitionen fließen ab, es regieren Kostenkeule und Kapazitätsabbau. Wir bezahlen das mit massiven Arbeitsplatz- und Wohlstandverlusten«, sagte IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis zum Jahreswechsel der Nachrichtenagentur dpa. Kein Wunder, dass die Stimmung unter den Beschäftigten schlecht ist. So ergab eine Umfrage unter rund 4.500 Gewerkschaftsmitgliedern, dass sich viele ernsthafte Sorgen um die Zukunft machen. Auf die Frage, wie der Standort Deutschland in fünf Jahren im internationalen Vergleich dastehen werde, antworteten knapp 80 Prozent mit »eher oder deutlich schlechter«. Und ganze 68 Prozent glauben nicht, dass es in den nächsten fünf Jahren gelingen wird, den Industriestandort »klimagerecht« zu transformieren und gleichzeitig zu modernisieren.

Letzteres ist eines der Hauptpro­bleme, mit dem nicht nur die Chemieindustrie weiter konfrontiert ist. Wie die Auto- und Stahlindustrie ist auch die Chemieindustrie im Produktionsprozess energieintensiv und benötigt eine stabile Stromversorgung zu konkurrenzfähigen Kosten. Ein erheblicher Teil der von Konzernen wie BASF, Bayer, Boehringer, Fresenius oder Evonik hergestellten Erzeugnisse wird exportiert – in die EU und viele Staaten weltweit. Noch rangiert die BRD-Chemieindustrie im weltweiten Vergleich hinter China, den USA und Japan auf dem vierten Rang nach Umsatz und ist Marktführer in der EU. Aber der Vorsprung schmilzt.

Die Krise – manche beschönigen den Zustand als Stagnation oder Schwächeperiode – ist hauptsächlich durch zurückliegende politische Entscheidungen befeuert worden. Sowohl das Backfire der EU- und NATO-Sanktionen gegen Russland als auch die zunehmende feindliche Haltung der EU-Staaten gegenüber ihrem Hauptwarenlieferanten China haben die seit 2007/2008 offen ausgebrochene globale Krise des Kapitalverwertungsprozesses weiter verschärft.

Ein signifikanter Teil dieser politischen Eingriffe ist jener erwähnte EU-weite Transformationsprozess. Bei dessen Umsetzung hat sich Deutschland einen ganz speziellen Spitzenplatz gesichert: mit der Stillegung der Atommeiler, der Schließung auch moderner Kohlekraftwerke und der Kappung günstiger Erdgaslieferungen aus Russland, ohne dass eine funktionierende Ersatzlösung auch nur in Planungsweite sichtbar ist. Im abgelaufenen Jahr musste so viel Strom importiert werden wie nie zuvor. Eine konstante Energieversorgung gilt als gefährdet, weil inzwischen auch die ausländischen Zulieferer an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen.

Na und, mögen manche sagen. Zumindest, solange sie nicht betroffen sind. Allerdings berührt das Auf und Ab der Wirtschaft alle. Zulieferer, Servicefirmen, Groß- und Einzelhandel und nicht zuletzt die Verbraucher von Waren und Dienstleistungen. Das ist es, was den arbeitsteiligen und wertschaffenden gesellschaftlichen Reproduktionsprozess beinahe zu einer Force majeure macht. Nicht nur die Profite und die Löhne der Beschäftigten sind tangiert, sondern auch das Aufkommen an Abgaben und Steuern, die Preisbildung, Renten, Gesundheitswesen und letztlich all das, was vereinfacht als Wohlstand bezeichnet wird.

Die Unternehmen reagieren. Und nicht nur mit Kürzungen und Stellenabbau. Manche verlegen ihre Produktion einfach dorthin, wo für sie die besten Verwertungsbedingungen geboten werden. Das hat der frühere Dax-Konzern Linde früh erkannt. Der Hersteller industrieller Gase verschwand 2018 sang- und klanglos aus der BRD, als er nach der Fusion mit dem (kleineren) US-Konkurrenten Praxair seine Hauptsitze in die EU-Steueroase Irland und nach Großbritannien verlagerte. Das hat sich offenbar gerechnet: Linde ist aktuell der Chemiekonzern mit dem höchsten Börsenwert weltweit.

Auch der BRD-Platzhirsch BASF befindet sich mit Teilen seiner Produktion im Fluchtmodus. Das 1865 in Mannheim als Badische Anilin- & Sodafabrik gegründete Unternehmen ist der umsatzstärkste Chemiekonzern mit über 50 Fertigungsstätten weltweit. Sein Hauptproduktionssitz in Ludwigshafen gilt als größter Chemieverbundstandort mit beinahe 40.000 Beschäftigten. Doch das könnte sich schnell ändern. Im chinesischen Zhanjiang baut BASF für mehr als zehn Milliarden Euro eine Art neues Ludwigshafen. Der Vorteil: China ist längst der weltgrößte Chemiestandort mit vergleichsweise deutlich geringeren Produktions- und vor allem Energiekosten als in Deutschland. Zudem sind in der Stadt am Südchinesischen Meer durch den Verbund unterschiedlicher Unternehmen ebenso wie in Ludwigshafen hohe Synergieeffekte möglich. Schon deshalb dürfte auch der Bedarf an Fachkräften dort leicht zu decken sein.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (3. Januar 2025 um 13:18 Uhr)
    Meine Leseempfehlung zum »deutschen« Strom: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/09/PD24_334_43312.html . Dort steht: »ergab sich im 1. Halbjahr 2024 ein Importüberschuss von 9,8 Milliarden Kilowattstunden« und: »Im 1. Halbjahr 2024 wurden in Deutschland 220 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt und in das Netz eingespeist.« Weiter: »Zuletzt stammten noch rund zehn Prozent des verbrauchten Stroms aus Gaskraftwerken. Und deren Kosten schlagen dank des Merit-Order-Prinzips voll auf den Börsenpreis durch.« (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/strompreis-preisbildung-101.html am 30.08.2022). Von einer sich marxistisch und materialistisch orientiert nennenden Gazette erwarte ich, dass gelegentlich auch ein Blick auf die Fakten erfolgt und nicht jeder Unsinn nachgeplappert wird, auch wenn er populär ist. Ist wirtschaftlich schädlich, wenn billiger Strom importiert wird? Billiges Gas darf ja nach jW-Meinung auch importiert werden.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (2. Januar 2025 um 23:35 Uhr)
    Stimmungstief und Höhenflüge Willkommen in Absurdistan, wo die Industrie klagt und die Börse tanzt! Während Deutschlands Chemieriesen wie BASF und Co. mit Tränen in den Augen über hohe Energiekosten und Abwanderung jammern, hebt der Dax fröhlich die Sektgläser und klettert über die magische 20.000-Punkte-Marke. Ein Triumph der Marktwirtschaft? Oder eher der Beweis, dass die Realität an der Börse ohnehin nur ein digitaler Scheinfaktor ist? Da fragt man sich, ob die Dax-Konzerne nicht längst mit dem einen Fuß in Zhanjiang stehen und mit dem anderen noch schnell ein paar Dividenden abstauben. »Global kassieren, lokal klagen« scheint das Motto zu sein. Hauptsache, die Aktionäre sind glücklich, während hierzulande das Licht ausgeht – im wahrsten Sinne des Wortes, denn Strom importieren wir mittlerweile mehr als je zuvor. Und die Beschäftigten? Sie blicken besorgt in die Zukunft und fühlen sich wie Statisten in einem Drama, dessen Drehbuch längst in Steuerparadiesen und fernöstlichen Wachstumsoasen geschrieben wird. Aber bitte, immerhin hat der Dax noch ein paar Punkte gutgemacht. Das tröstet doch, oder? Vielleicht sollten wir uns an der Börse einfach einen neuen Index basteln: den Klagen-und-Kursen-Koeffizienten. Dann könnten wir endlich verstehen, wie das zusammenpasst: Industrie am Abgrund, Aktienkurse im Höhenrausch. Aber Vorsicht: Zu viel Nachdenken über diese Logik könnte Kopfschmerzen verursachen – und die sind bekanntlich schlecht für die Produktivität.

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