Streit um Wahlen
Von Julieta Daza, CaracasVor allem die Präsidentschaftswahlen vom 28. Juli haben in Venezuela das Jahr 2024 geprägt, nach offiziellen Ergebnissen wurde Amtsinhaber Nicolás Maduro für eine weitere sechsjährige Amtszeit wiedergewählt. Zweiter wurde demnach Edmundo González, wichtigster Kandidat der rechten Opposition und Vertreter der Politikerin und Oligarchin María Corina Machado. Trotz eines weitgehend friedlichen Wahltags war die Abstimmung nicht reibungslos verlaufen. So hatte es eine Hackerattacke gegen das automatisierte Wahlsystem gegeben. Zudem begannen am Tag nach den Wahlen in mehreren Städten Proteste. Sie folgten zum Teil dem Schema der sogenannten Guarimbas, die die rechte Opposition schon seit mehreren Jahren praktiziert: gewaltsame Aktionen wie Straßenbarrikaden und Angriffe gegen Einrichtungen und Personen, die mit der Regierung verbunden werden. Laut Bilanz der Generalstaatsanwaltschaft von Mitte November sind dabei 25 Menschen ums Leben gekommen und Hunderte öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Gesundheitszentren sowie Verkehrsmittel beschädigt worden. Anfang August sprach Maduro von mehr als 2.000 Festnahmen. 956 Personen sind inzwischen nach einer Mitteilung der Generalstaatsanwaltschaft vom 23. Dezember wieder freigelassen worden.
Opposition nach Drehbuch
Die Proteste entzündeten sich meist, weil die Opposition die Wahlergebnisse nicht anerkannte. Auf mehreren dafür erstellten Websites begann sie nach dem 28. Juli angebliche Wahlakten zu veröffentlichen, die belegten sollten, dass González die Abstimmung gewonnen hatte. Laut Regierung wiesen zahlreiche dieser Unterlagen jedoch Unregelmäßigkeiten auf. Auch schwand der Rückhalt für die Kundgebungen des Machado-Lagers rasch. Wegen der Auseinandersetzung um die Wahlergebnisse hatte Maduro Ende Juli vor dem Obersten Gerichtshof (TSJ) eine Untersuchung beantragt. Im August bestätigte der TSJ den Sieg Maduros, nachdem er alle Kandidaten vorgeladen hatte und diese das Wahlmaterial in ihrem Besitz vorgelegt hatten. Nur González war nicht erschienen. Er und sein Bündnis sowie der unter anderem von der Kommunistischen Partei unterstützte Kandidat Enrique Márquez, der jedoch kein Linker ist, erkennen das Urteil des TSJ weiter nicht an.
Anfang September ging González ins spanische Exil, nachdem ein Haftbefehl unter anderem wegen Amtsanmaßung, Fälschung offizieller Dokumente und Verschwörung gegen ihn erlassen worden war. Bis jetzt sehen die abgewählte US-Regierung und das EU-Parlament ihn als »gewählten Präsidenten«. Außer Italien haben sich jedoch die einzelnen EU-Regierungen nicht entsprechend geäußert. In Lateinamerika schlossen sich Peru, Ecuador, Argentinien, Panama und Costa Rica Washington an. Für Enttäuschung bei den Sympathisanten Maduros sorgten die Stellungnahmen der progressiven Staatschefs Kolumbiens, Gustavo Petro, und Brasiliens, Luiz Inácio Lula da Silva. Sie riefen Venezuela dazu auf, die Wahlunterlagen zu veröffentlichen, um den Sieg Maduros zu beweisen.
Obwohl es gegen die venezolanische Regierung berechtigte Einwände gibt, unter anderem, dass die detaillierten Wahlergebnisse bis jetzt nicht abzurufen sind, folgen die Aktionen der rechten Opposition einem bekannten Drehbuch. Geschehnisse wie ein landesweiter Stromausfall im August, mehrere Festnahmen ausländischer Militärs und Söldner oder die Verhängung neuer Sanktionen beweisen, dass das südamerikanische Land mit den größten Ölreserven der Welt im Visier der internationalen Rechten und des Imperialismus steht.
Sozialismus bleibt Ziel
Während die Präsidentschaftswahlen für viel Aufregung sorgten, wird über andere politische Prozesse kaum berichtet. So haben 2024 in Venezuela auch drei Wahlen auf kommunaler Ebene stattgefunden, die über die traditionellen Mechanismen der bürgerlichen Demokratie hinausgehen. Zuerst im April und dann im August haben mehr als 4.500 Kommunen über soziale Projekte abgestimmt. Mitte Dezember wurden zudem etwa 30.000 sogenannte Friedensrichter gewählt, die bei Konflikten vermitteln sollen. »Die Bedeutung dieser Wahlprozesse liegt im Aufbau des Sozialismus des 21. Jahrhunderts als einer von der Volksmacht ausgehenden notwendigen Transformation. Die Menschen haben durch ihre Stimme in einem Prozess der direkten und partizipativen Demokratie die beste Option für ihre kommunalen Gebiete gewählt. Es sind Prozesse, die auch das Bewusstsein stärken und bestätigen, was Comandante Chávez sagte: ›Alle Macht dem Volke‹«, sagte Joselyn Rodríguez, Mitglied der »Comuna Socialista Panal 2021«, gegenüber jW.
Der BRICS-Gipfel, der im Oktober in Kasan stattfand, hatte in Venezuela große Erwartungen geweckt. Die aus einem möglichen BRICS-Beitritt folgenden wirtschaftlichen Beziehungen sah man als eine Alternative, die dazu beitragen könnte, die mehr als 900 unilateralen wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen zu umgehen, die der US- und europäische Imperialismus gegen Venezuela verhängt hat. Daher sorgte die Nichtaufnahme Venezuelas für Enttäuschung. Besonders, weil diese an einem Veto Brasiliens gelegen haben soll. Die Beziehungen zwischen Venezuela und dem BRICS-Gründungsmitglied Russland, dessen Außenminister Sergej Lawrow im Februar Caracas besuchte, wurden allerdings 2024 vertieft. Auch zeigte der Jubiläumsgipfel der seit 20 Jahren bestehenden und von Fidel Castro und Hugo Chávez ins Leben gerufenen Bolivarischen Allianz für die Völker unseres Amerikas – Handelsvertrag der Völker (Alba-TCP) im Dezember in Caracas, dass Venezuela alles andere als isoliert ist. Teilgenommen haben die zehn Mitgliedsländer Lateinamerikas und der Karibik, Repräsentanten aus Haiti, Honduras und Palästina sowie 80 soziale Bewegungen aus 35 Ländern.
Unsicherheitsfaktor Trump
Mit einer gewissen Anspannung wird derzeit der 10. Januar erwartet, an dem die Amtseinführung Maduros in Caracas stattfinden soll. Während die Regierung bereits internationale Gäste eingeladen hat und auf die Mobilisierung der Bevölkerung setzt, behauptete der unterlegene oppositionelle Präsidentschaftskandidat González in einem Interview mit El País, er werde das Amt übernehmen und »von da an die Entscheidungen treffen, die getroffen werden müssen, unter anderem die Ernennung der Regierungsmannschaft«. Wie das genau aussehen könnte, bleibt jedoch unklar, denn schon eine Einreise wäre aufgrund des Haftbefehls gegen González problematisch. In dieser Hinsicht sind die aktuellen Statements Machados in Interviews und Netzwerken zumindest heikel: Sie droht Maduro, sollte er das Amt nicht übergeben, mit einem »gefährlichen Szenario« und die ruft die Militär- und Polizeikräfte dazu auf, angesichts des 10. Januars »furchtlos zu handeln«.
Neben den 2025 anstehenden Regional- und Parlamentswahlen wird derzeit auch über die zukünftige Beziehung Venezuelas zum neugewählten US-Präsidenten Donald Trump spekuliert. Dazu von jW befragt, sagte Vladimir Castillo, Forscher im Bereich internationale Beziehungen, dass in der Geschichte der USA die Regierungswechsel von Demokraten zu Republikanern und umgekehrt keine tiefgreifenden Veränderungen bedeutet hätten. Letztlich seien es die großen Konzerne, die wirtschaftlichen Interessen, der militärisch-industrielle Apparat und einige Lobbys, die in Washington regierten. Trotzdem scheint Trump, der vor allem »auf mehr US-Öl drängen« werde, in Lateinamerika wieder die Monroe-Doktrin durchsetzen zu wollen, »an die er glaubt«, wie er schon während seiner ersten Amtszeit geäußert hatte. Demnach betrachtet Washington weiterhin die gesamte Region als seinen ausschließlichen Hinterhof. Den eigenen Hegemonieanspruch durchzusetzen sei auch relativ einfach, weil viele lateinamerikanische Länder aktuell unterwürfig seien, so Castillo. Trump werde sich weiter »gegen das wenden, was sie die ›Achse des Bösen‹ nennen: Kuba, Nicaragua und Venezuela«. Unter anderem für Venezuela und Nordkorea hat er auch einen speziellen Gesandten für Sondermissionen bestimmt: den früheren US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell. Der wird, glaubt Castillo, jedoch nicht viel Spielraum haben, »weil Trump in seiner Egozentrik alles bestimmen will«.
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