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Aus: Ausgabe vom 03.01.2025, Seite 8 / Ansichten

Der Wettbewerbsstaat

Lockerung der Schuldenbremse
Von Daniel Bratanovic
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Eine Schuldenfeststellbremse

Die Bewegungsweise des Kapitalismus ist die Krise. Seine offiziösen Verteidiger können das nicht akzeptieren, denn sonst wären sie keine. Ihre Lösungsvorschläge beruhen also auf falschen Annahmen. Weil die Volkswirtschaft nun aber wirklich nicht mehr so läuft, wie sie sollte, hat sich allerdings auch unter Leuten solchen Schlages die Auffassung verfestigt, dass etwas getan werden müsse, was noch bis zuletzt als Verletzung heiliger Prinzipien galt: Inzwischen dämmert noch dem letzten hiesigen Verfechter der kapitalistischen Produktionsweise, außer vielleicht Christian Lindner, dass die bestehende Schuldenbremse dringend reformiert werden sollte. Nachzulesen ist das dieser Tage denn auch in den Wirtschaftsgazetten dieses Landes, die einst unnachgiebig noch die allerhärtesten neoliberalen Standpunkte vertraten. Es geht darum, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland noch eine Zukunft haben soll, Kapital sich also wohlfühlt, woraus der Staat wiederum seinen Reichtum schöpft.

Auf die Weltwirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 reagierten die Industrienationen mit umfangreichen Konjunkturprogrammen und Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung, erhöhten mithin in erheblichem Maße ihre Staatsschuld. Für die Bundesrepublik bedeutete dies einen Schuldenanstieg um weitere 500 Milliarden Euro. Ausufernde Staatsverschuldung kann jedoch zum Problem werden, was sich gegenwärtig in Frankreich studieren lässt. 2009 verfielen deutsche Politiker jedenfalls auf die formidable Idee, der Schieflage mit einer Grundgesetzänderung zu begegnen, die noch strengere Bedingungen enthielt als die Maastricht-Kriterien der Europäischen Union. Spätestens mit dem Verfassungsgerichtsurteil vom November 2023 war jedoch klar geworden, dass sich der deutsche Staat mit seiner im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse in seiner Handlungsfähigkeit selbst eingeschnürt hat.

Begleitet vom Mantra des »schlanken Staates« waren Post und Verkehr, Wasser-, Gas- und Elektrizitätsversorgung, Krankenhäuser und Müllentsorgung privatisiert worden, und wo der Staat sich »verschlankt« und Unternehmen immer geringer besteuert hatte, beschnitt er seinen finanziellen Spielraum. Die neoliberale Austeritätspolitik verzichtete auf Staatsausgaben in die Infrastruktur, deren folgerichtiger Verfall jetzt lauthals beklagt wird, weil eine kaputte In-frastruktur Kapital von Investitionen abschreckt. Soll statt Abschreckung wieder Anziehung herrschen, muss die Staatsschuld, das ist die neueste Volte, wieder steigen.

Schuldenbremse und schuldenbasierte Staatsausgaben dienen dem gleichen Zweck: Sie sind Mittel in der Konkurrenz der Staaten um den besten Standort, woraus sich letztlich auch deren jeweiliges politische Gewicht ableitet. Auf eine gelockerte Schuldenbremse wird dereinst wieder eine verschärfte Austeritätspolitik folgen. Sein Stagnationsstadium dürfte der Spätkapitalismus damit trotzdem nicht verlassen.

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

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  • Leserbrief von Wilfried Schubert aus Güstrow (3. Januar 2025 um 11:19 Uhr)
    Ganz sicher ist nicht die Schuldenbremse Ursache für die Zunahme der erheblichen Schwachstellen des Industriestandortes Deutschland. Alleine 2024 gab es mehr als 22.000 Insolvenzen, Entlassungen und Abwanderung von Industrien ins Ausland. Deutschland wird Zug um Zug deindustrialisiert. Aber über die eigentlichen Ursachen des wirtschaftlichen Niedergangs wird geschwiegen. Ein entscheidender Punkt ist die Sprengung der Nord Stream 2 Pipeline im Auftrag der USA. Damit ist Deutschland von zuverlässiger und preisgünstiger Energielieferung abgeschnitten. Die Bundesregierung vergeudet Milliarden für den Stellvertreterkrieg in der Ukraine, der bereits 2014 begann. Sein Ende wurde 2022 durch den britischen Premier Johnson im Einvernehmen mit den USA verhindert. Deutschland muss sich endlich für eine vernünftige Politik entscheiden. Das wäre der Austritt aus der NATO, die Kündigung des Aufenthaltes ausländischen Militärs in Deutschland, die Einstellung von Waffenlieferungen an Kriegsparteien. Die Gestaltung vernünftiger Beziehungen mit Russland und die Wiederaufnahme russischer Energielieferungen. Um derartige Ziele durchzusetzen, bedarf es eines Politikwechsels. Der aber wird mit den Herren Scholz, Merz, Söder oder mit Frau Weidel nicht realisierbar sein. So wird es auch nach der Bundestagswahl am 23. Februar im alten Stil weitergehen oder noch schlechter werden.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (3. Januar 2025 um 10:51 Uhr)
    »Es geht darum, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland noch eine Zukunft haben soll, Kapital sich also wohlfühlt, woraus der Staat wiederum seinen Reichtum schöpft.« sollte besser lauten: Es geht darum, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland noch eine Zukunft haben soll, Kapital sich also wohlfühlt, woraus der Staat wiederum den Reichtum schöpft, den er von unten nach oben verteilt.

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