Silvester
Von Jürgen RothVor einiger Zeit erklärte mir der Große Malaka, es sei ein Unterschied, ob man jemanden als Malaka oder als Arschloch tituliere. Wolle man ein echtes Arschloch beleidigen, müsse man denjenigen oder diejenige auch mit »Du Arschloch!« anfahren. »Du Malaka!« sei eher eine Liebkosung.
An Silvester, einem Tag, den ich noch nie leiden konnte, war ich nachmittags um halb zwei im Seven Bistro, um die nötige vorbauende Bettschwere zu erlangen, um nachher um zwölfe gewisslich zu pennen (dreimal »um« in zwei Nebensätzen, Respekt!).
Der Fernseher war abgehängt. Die kahle Wand schaute mich merkwürdig an, und, seltsam, mir fehlten die dämlichen Endlosschleifenimpressionen von Meerbusen und halbnackten Weibern – als sei die Welt nunmehr zur Gänze abhanden gekommen.
Er habe den Bildschirm demontieren müssen, damit er einen neuen großen Spielautomaten habe ins Nebenzimmer bugsieren können, sagte Forti. Aber wenn der André da sei, werde zusammen mit ihm alles wieder in Ordnung gebracht.
Steve daddelte mit einem Kumpel im Hauptraum. In der ersten gesetzlich verordneten Intermission erzählte er mir, dass er gestern zum Marco gefahren sei, bei ihm geklingelt und ihn, nachdem dieser geöffnet hatte, ansatzlos herg’fotzt habe. »Tür auf und bamm!« Das Arschloch sei zu Boden gegangen und habe keinen Mucks mehr gemacht.
Marco hatte Steve vor kurzem seine ansehnliche Frau Nicole ausgespannt, da habe er sich mal revanchieren müssen. Und als er wieder im Seven Bis-tro gewesen sei, sei sein Mitbewohner André, warum auch immer, mit einem Teleskopstock auf ihn losgestürmt. Er habe die Attacke pariert, André gepackt, niedergeworfen und in den Polizeigriff genommen.
Herrje, das sind eben so »persönliche Amonositäten« (Mitri Sirin, ZDF-Malaka), und da »dominiert man seine Stärke« (Lena Kesting, ZDF-»Morgenmagazin«).
Unbedingte Friedfertigkeit ist ohnehin nicht das Gebot der Stunde der Tagesordnung (so ähnlich einst H. Kohl). »Wir klopfen uns halt gern. Des is’ Freundschaft«, sagte Steve.Dann berichtete er, dass André neulich den Maurer Stefan herg’spachtelt habe, weil der ein Arschloch sei, klaue und dem halben Ort mittlerweile fast zwanzigtausend Euro schulde. »Ja«, warf Gerhard ein, »gud g’logen had der immer.«
Der Maurer ist spurlos verschwunden. Gegenüber bauten sie hinter einem Absperrband ein Campingzelt und eine Bumsmusikanlage auf. Das TV-Gerät war zwischenzeitlich wieder installiert worden, ein abgefilmter Feuerwerkshimmel reihte sich an den anderen.
Am Morgen, als ich gerade das Frühstück herrichtete, hatte meine Mutter gesagt: »Es is’ Silvester. Ich denk’ über des Jahr nach.«
Jetzt dachte ich über das Jahr nach. Ein Scheißjahr. Besorgnis. Zwischendrin bierbankbasierte Vollidiotie in Frankfurt. Dann Trauer. Dann usw. Ich erinnerte mich daran, wie mein Vater seine Lebensbilanz aufgeschrieben hatte. Ich weiß nicht, ob meine Mutter das auch schon getan hat.
Man sollte die Wehmut für sich behalten (Schriftsteller sind Plappermäuler).
Ich ging raus. Auf dem Rauchertisch im Flur hatte jemand sein Feuerzeug liegengelassen. Auf dem stand (der Hersteller hatte womöglich Gertrude Stein gelesen): »Love is love is love.« Ich nahm es nicht mit.
Später hörte ich »Africa« von Toto. Niemand schmähe dieses überirdisch schöne Stück Musik.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (3. Januar 2025 um 16:56 Uhr)»Arsch« in allen Variationen geht immer, mag sich der Seven-Bistro-Stammgast gedacht haben. Schon am 2.Januar 2024 viermal, heute 3. Januar 2024 gleich fünfmal.
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