Die globale Macht wächst
Von Gert HautschDer Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft hat die Entwicklung im vergangenen Jahr vor wenigen Wochen als »besorgniserregend« bezeichnet. Zwar seien die Werbeerlöse der Medienunternehmen um 4,5 Prozent netto gestiegen, aber nur bei digitalen Formaten, und dort wiederum bei wenigen globalen Plattformen. Werbung ist für die meisten Medienbranchen eine wichtige Einnahmequelle. Wenn die Etats von ihnen weg zu Google, Facebook & Co. wandern, bringt das die Strukturen ins Rutschen.
Aus den markantesten Vorgängen im Medienjahr 2024 sticht einer hervor: Erstmals hat mit der Taz eine überregionale Tageszeitung ein festes Datum für den Abschied vom gedruckten Blatt genannt; den Oktober 2025. Die Pressekonzerne Funke und Madsack experimentieren derweil mit Szenarien zum Printausstieg. Auch Springers Welt dürfte sich bald ins Internet verabschieden. Ob Journalismus dort eine Zukunft hat, muss sich noch zeigen. Denn, auch das ist eine Nachricht aus 2024: Die Menschen beziehen ihre »News« vermehrt über Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Youtube (Google).
Ganz ähnlich in der Boomsparte Videostreaming. Dort zeigten sich 2024 erste Sättigungstendenzen, die Zuwachsraten der Abonnements flachten ab. Deshalb kürzten die Plattformen ihre Investitionen ins Programm, das wiederum brachte die Filmstudios in Bedrängnis. Der Trend weg von analogem Fernsehen hin zum Streaming hält jedoch an. Die Sender müssen um die Werbebudgets kämpfen, zumal die Videoplattformen selbst Reklamespots zeigen. Bei Video on Demand beherrschen Netflix, Amazon, Paramount und andere das Geschehen und bauen ihre Macht aus.
Gleichzeitig sah sich 2024 die nichtkommerzielle Alternative, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, einer beispiellosen Kampagne aus der Politik ausgesetzt. Dabei geht es nicht nur um die finanzielle Grundlage (Rundfunkbeitrag), sondern um die Zukunftsfähigkeit auf den digitalen Feldern (Stichwort »Presseähnlichkeit«). ARD und ZDF soll das Wasser abgegraben werden. Die private Konkurrenz wird’s freuen, die AfD ebenso.
Nicht zuletzt haben im vergangenen Jahr Medienunternehmen damit angefangen, sogenannte künstliche Intelligenz auch bei der Produktion von Inhalten einzusetzen. Das zieht sich durch alle Branchen, von Bewegtbild und Radio/Podcasts über Musikproduktion und journalistische Texte bis hin zu literarischen Werken. Für Springer-Chef Döpfner ist »KI-gestützter Journalismus« das Zauberwort, mit dem er seinen Konzern in die oberste Weltliga heben will. Die technische Führerschaft bei KI-Anwendungen kommt aus den USA.
Die Anbieter traditioneller Medien finden bislang gegen die Abwendung des Publikums und die wachsende Macht des globalen Kapitals kein tragfähiges Konzept. Das führt zu Veränderungen auf Unternehmensebene. Die Nummern zwei und drei in der Rangliste, Axel Springer und Pro-sieben-Sat.1 (P7S1), werden Ende 2025 nicht mehr in ihrer bisherigen Gestalt existieren. Das Berliner Medienhaus wird bis zur Jahresmitte aufgespalten, von 3,9 Milliarden Euro Umsatz werden rund zwei Milliarden bleiben. Der Rest – das sind die rentabelsten Konzernsparten – geht an Finanzinvestoren, die dafür ihre Aktienanteile von knapp 50 Prozent zurückgeben.
P7S1 wiederum wird in den Besitz der Familie Berlusconi bzw. deren Konzern MFE übergehen. Die freien Aktionäre erhalten ein Übernahmeangebot, der 3,4-Milliarden-Euro-Kredit dafür steht schon bereit, die Anmeldung zur vollständigen Kontrolle ist erfolgt. MFE möchte ein europäischer Fernseh- und Unterhaltungsriese werden – mit dem deutschsprachigen Markt als Kern und Marktführerschaft in Italien und Spanien. Der Konzern aus Unterföhring wird kein selbständiges Unternehmen mehr sein, sondern unter dem Kommando aus Italien stehen.
Im abgelaufenen Jahr haben sich Prozesse zugespitzt, die schon vorher in Gang gekommen waren und sich fortsetzen. Die globalen, meist US-amerikanischen Digitalkonzerne zerbrechen vorhandene Strukturen und schaffen neue, in denen sie noch mächtiger werden. Das betrifft die Produktion und den Konsum von Medien ebenso wie die beteiligten Unternehmen. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen lassen sich erst in Umrissen erkennen. Schon jetzt sind sie aber wenig erfreulich.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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