Demokratie ausverkauft
Von Niki UhlmannSeit drei Jahren gibt es das Lobbyregister. »Wer, in wessen Interesse, mit welchem Budget und welchen Argumenten« Einfluss auf »politische Entscheidungen« nimmt, soll es laut Webseite offenlegen und dadurch die »Glaubwürdigkeit« demokratischer Institutionen stärken. Bearbeitet wird dort ein zentrales Problem jeder Klassengesellschaft, die Legitimation von Herrschaft. Der Verein »Bürgerbewegung Finanzwende« (BF) zieht jährlich Bilanz. Seit Mitte 2024 listet das Lobbyregister auch, welche Gesetze wie beackert wurden oder werden sollen, ferner die »Seitenwechsel von der Politik in die Finanzlobby«.
Zuerst stellt BF in der am Freitag veröffentlichten Studie fest: »Die Finanzlobby ist ungebrochen (zu) mächtig.« Von den hundert meistzahlenden Lobbys sei jede zehnte eine Bank, eine Versicherung oder ein Fonds. 2024 hätten allein für diese Top-Zehn 442 Lobbyisten mit fast 40 Millionen Euro geschmiert. Einsame Spitze sei der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Pressesprecher Christian Ponzel teilte auf Anfrage der jW mit, dass dem GDV besonders viel an der samt Ampel gescheiterten Reform der Riester-Rente lag. Dass Versicherte die Wahl haben sollten, sich ihre Rente bis zum 85. Lebensjahr auszahlen zu lassen, sahen Versicherungen, die einen Teil verbliebener Renten einstreichen, als Geschäftsrisiko. Durchgesetzt habe man sich nicht, aber: »Wir waren insgesamt ganz zufrieden mit dem Gesetzentwurf.« Bei insgesamt 86 Gesetzen und Verordnungen schrieb der GDV laut BF mit, die Bankenverbände bei 75.
Banken hätten vor allem an einer Rückkehr der Verbriefung, das heißt des Handels mit zu Wertpapieren gebündelten Kleinkrediten gefeilt. Diese hatten die Finanzkrise 2008 mitverursacht und sind seitdem verboten. Haufenweise Stellungnahmen oder Gutachten würden erstellt, ständig Gespräche gesucht. »›Dauerberieselung‹ durch die Finanzlobby« habe ein Mitarbeiter des Bundestags es genannt. Für SPD, Grüne und FDP seien »exklusive Workshops« über Verbriefung organisiert worden. »Die Bankenlobby hat das Thema Verbriefungen inzwischen gut bei den Abgeordneten plaziert«, so der Mitarbeiter des Bundestags. Dabei sind die Argumente an den Haaren herbeigezogen. Ohne Verbriefung kein Klimaschutz, hieße es bei der Bankenlobby. Dass 2024 kumuliert etwa 120 Milliarden Euro an Aktionäre ausgeschüttet und 1,5 Billionen Euro somit nicht investiert wurden, unterschlage sie derweil.
Dass die Lobby krankmacht, wird am Beispiel von »investorengeführten medizinischen Versorgungszentren«, deutlich. Private-Equity-Fonds in der Medizin wollten Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) und Bundesrat strenger regulieren. Denn dort blieben unrentable Maßnahmen oft zulasten der Patienten aus. Der Spitzenverband der Versorgungszentren habe aber, geführt von der ehemals im Bundestag von FDP sowie Union beschäftigten Alexandra Gutwein, dafür gesorgt, dass alles beim alten blieb. Auch Insiderwissen ist käuflich. Bei Lobbyagenturen können ehemalige Politiker wie Daniel Holefleisch (Die Grünen) oder der Exstaatsminister Bayerns Werner Schnappauf (CSU) angeheuert werden.
BF fordert schließlich, beim Lobbyregister weiter nachzuschärfen. So sei der »exekutive Fußabdruck«, der verpflichten würde, bei Gesetzesbegründen zu kennzeichnen, wer »›wesentlichen‹ Einfluss« genommen hat, noch »nicht wirksam«. »Flächendeckende Transparenz« sei das Ziel. Das stimmt bedingt, insofern es überhaupt ermöglicht, die letztlich undemokratische Willensbildung nachzuvollziehen. Mit dem Wissen, dass Industrie und Politik unvernünftig zum Vorteil einiger weniger organisiert sind, sollte man sich aber nicht zufriedengeben, erst recht keine Glaubwürdigkeit aus der endlich entlarvten Lüge vom demokratischen Gemeinwesen ableiten. Statt Kritik am Kapitalauswuchs Lobby wäre Klassenkampf angezeigt. Schon Lenin soll gesagt haben: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Und letztere gibt es nur mit den Produktionsmitteln.
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