100 Tage Sheinbaum
Von Thomas WalterDas zu Ende gegangene »Jahr der Finsternis« hat auch lichtere Momente hervorgebracht. Einer davon ist sicherlich die Wahl von Claudia Sheinbaum zur Präsidentin von Mexiko. Seit sie vor 100 Tagen ins Amt eingeführt wurde, hat sie selbstbewusst ihr eigenes Profil definiert, ohne sich dabei inhaltlich wesentlich von ihrem Vorgänger Andrés Manuel López Obrador abzugrenzen.
López Obrador, selbst Unternehmer, hatte eine insgesamt konservative Wirtschaftspolitik geführt, war aber progressiv im Sozialen. Nach 35 Jahren war der Anstieg des Mindestlohns zum ersten Mal wieder höher als die Inflation, die Kaufkraft stieg um durchschnittlich 24 Prozent. Fünf Millionen Menschen haben es dadurch über die Armutsgrenze geschafft. Die großen Vermögen dagegen hat er nicht angetastet. Was die innere Sicherheit angeht, konnte er seine Versprechen für eine Befriedung nicht umsetzen. Der Krieg gegen die Carteles ist unter seiner Amtszeit weiter eskaliert, den Mord an den 43 Studenten von Ayotzinapa wollte er nicht aufklären, und Mexiko führt nach wie vor die Liste der ermordeten Journalisten weltweit an. Seine bis zum Ende ungewöhnlich große Beliebtheit hat er vor allem seinem ausgeprägten Kommunikationstalent zu verdanken. In seinen täglichen Morgensendungen traf er den Nerv der Leute, seine polemische und oft großspurige Art lieferte leicht verdauliche Freund-Feind-Schemen und einfache Erklärungen.
Sheinbaum führt dessen spitze Rede zwar fort, aber auf einem höheren intellektuellen Niveau und ohne ständig persönlich zu werden. Als Kind von akademischen Eltern, die durch die 68er Bewegung geprägt wurden, wuchs sie in einer durch und durch politisierten Umgebung auf. Obwohl jüdischen Ursprungs, war ihre Erziehung streng laizistisch, sagt sie. »Ich bin tatsächlich ohne Religion aufgewachsen, meine Eltern haben mich so erzogen. Aber natürlich hat man die Kultur im Blut.«
Ihrem Einstieg in die Politik ging eine Karriere als Energieingenieurin voran, mit Spezialisierung auf Klimawandel und Methoden zur Messung von Umweltverschmutzung und Frühwarnsystemen bei der Emission von Treibhausgasen. Die nötige Erfahrung als Politikerin sammelte sie erst als Umweltsekretärin von Mexiko-Stadt, als Mitbegründerin der Partei Moreno und schließlich 2018 als Regierungschefin der Hauptstadt.
Ihr Kabinett, das sie mehrheitlich mit Frauen besetzt hat, soll vorrangig sechs Maßnahmen umsetzen. Zwei davon hat sie von der Regierung ihres Vorgängers übernommen, nämlich eine Reform der Justiz und die Anerkennung der indigenen und afromexikanischen Ethnien als Rechtssubjekte. Ein Zeichen, was das praktisch bedeuten kann, hat sie auch gleich gesetzt: Am 20. Dezember wurden 2.178 Hektar Land an zwei indigene Dörfer in Chihuahua zurückerstattet. Die weiteren Initiativen sind: finanzielle Zuschüsse für Frauen über 60 Jahre, die Erweiterung der Stipendien für Grundschüler, eine Reform im Sozialversicherungssystem für Staatsbedienstete und schließlich die Eliminierung der Möglichkeit der Wiederwahl für öffentliche Ämter.
International scheint sie sich zunehmend als Pragmatikerin zu profilieren. Nach einem anfänglichen Schlagabtausch mit President-to-be Donald Trump, wo sie auf dessen Ankündigung, sämtliche Mexikaner ohne Aufenthaltsgenehmigung aus den USA abzuschieben, mit der Drohung konterte, dann auch die eine Million illegal in Mexiko lebenden US-Bürger auszuweisen, hat sie auf weitere verbale Ausbrüche Trumps eher lässig reagiert. Von dessen lautstarken Ansagen bezüglich künftiger Einfuhrzölle sichtlich unbeeindruckt, sieht sie die Zukunft der mexikanischen Wirtschaft weiterhin im Verbund mit den USA und Kanada. Eine Einladung, sich mit den BRICS zu assoziieren, lehnte sie höflich ab. Auch ihr Verhältnis zu Lateinamerika scheint sie eher realpolitisch gestalten zu wollen. So konnte sie offensichtlich ihren kolumbianischen Amtskollegen Gustavo Petro überzeugen, entgegen dessen ursprünglicher Ansage doch eine niederrangige Abordnung zur Amtseinführung von Nicolás Maduro am 10. Januar zu schicken, und damit dessen umkämpfte Wahl indirekt anzuerkennen.
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