Autowunderland China
Von Klaus FischerKaum noch jemand kauft Elektroautos, heißt es jetzt allenthalben. In europäischen, aber insbesondere in deutschen Medien, ist jedenfalls nach einer jahrelangen Welle der gepuschten Euphorie inzwischen Ernüchterung eingekehrt. Der Absatz schrumpft und viele beklagen, dass die angebotenen Modelle zu teuer seien. Die drei großen Hersteller im »Autoland« BRD, VW, Mercedes-Benz und BMW haben – obwohl unterschiedlich stark durch den Käuferstreik betroffen – Konsequenzen angekündigt: Sparprogramme werden aufgelegt, Stellen gestrichen. Viele Milliarden an Investitionen in die Entwicklung und den Bau von E-Fahrzeugen stehen in Gefahr, abgeschrieben zu werden – angedrohte Werksschließungen scheinen allenfalls verschoben. Ganz im Gegensatz zu China. Dort rast die Branche von Rekord zu Rekord.
In der Volksrepublik scheint zudem der Durchbruch des Elektrischen als dominierende Antriebsart bei Pkw geschafft. Beinahe jedenfalls. Auf dem weltgrößten Absatzmarkt für Automobile wurden 2024 aller Voraussicht nach mehr als 30 Millionen Autos produziert. Das hat Ferdinand Dudenhöffer errechnet. Der frühere Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen, in den Medien damals gerne als »Auto-Papst« bezeichnet, gilt auch nach seiner Pensionierung mit seinem Bochumer Institut Ferdi Research GmbH als Topexperte.
Nach Dudenhöffers Hochrechnung hat China damit nicht nur einen Allzeitrekord als Produktionsstandort erzielt. Mit dem Konzern BYD besitzt die »Werkstatt der Welt« zudem einen Hersteller, der allein fast so viele E-Autos bzw. Hybride baut, wie alle BRD-Konzerne zusammen. Und der Clou dabei: Das Unternehmen, dessen englischer Handelsname BYD von »Build Your Dreams« abgeleitet wurde – was zugleich Rückschlüsse auf die Exportstrategie gibt – baut ausschließlich Plugin-Hybride und reine Elektrofahrzeuge. Im vierten Quartal 2024 hat BYD zudem Tesla als größten E-Autohersteller der Welt abgelöst. Obwohl laut Dudenhöffer im vergangenen Jahr die Hybridfahrzeuge stärker zulegten, lag der Anteil reiner Elektrofahrzeuge an der Produktion immerhin noch bei 42 Prozent.
Doch nicht nur quantitativ läuft Chinas Industrie dem Rest der Welt den Rang ab. Auch bei der Konzipierung der mobilen Zukunft setzen BYD, SAIC und andere Hersteller inzwischen das um, was westliche Technologiekonzerne bis heute nur als Marketingidee oder allenfalls als erste Prototypen aufzuweisen haben: die sogenannten Software-Defined Vehicles. Bereits Anfang 2024 sagte Dudenhöffer dem österreichischen Industriemagazin: Dies ist »das Fahrzeug der Zukunft. Das heißt, wir werden in der Zukunft Sprachsteuerungen in unseren Fahrzeugen haben. Wir werden teilautonomes Fahren haben. Wir werden dieses Smart Cockpit haben, was die Leute unterhält, was den Leuten Informationen gibt. Und da kommt wirklich sehr, sehr viel aus China.«
Für Deutschlands Autobranche – bisher das Herzstück der Industrie und der Exportwirtschaft – sieht der Experte keine rosige Zukunft. In einem Gespräch, das die Augsburger Allgemeine am Freitag veröffentlichte, sagte er: »Deutschland wird in den nächsten Jahren in der Autoindustrie viel verlieren.« Heute würden hier rund 4,1 Millionen Autos gebaut. »Allein VW nimmt jetzt 700.000 Autos raus, sprich: Wir laufen auf 3,4 Millionen zu«, zitiert ihn das schwäbische Blatt.
Bei der Frage nach den Ursachen wird der »Auto-Papst« allerdings politisch sehr unkorrekt: »Wir schalten die Atomkraftwerke ab«, weil »Angela Merkel nach dem Unglück in Fukushima schlecht geschlafen« habe. »Und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat mit Milliarden Euro Batteriefabriken gefördert, zwischendrin aber den Elektroautos den Stecker gezogen und die Förderung eingestellt.« Seine düstere Prognose: »Neue Werke entstehen vielleicht in Polen, in Spanien, in Amerika oder China, aber nicht mehr in Deutschland.« In China arbeite man unterdessen an 30-Jahresplänen, wie man Energie liefert oder die Mobilität neu aufstellt.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (5. Januar 2025 um 22:16 Uhr)Ich würde in der jW gerne etwas über chinesische Konzepte/Planungen zum öffentlichen (Schienen-)Verkehr lesen. Nach meinen eingeschränkten Kenntnissen tut sich da allerhand, den Individualverkehr sozialverträglich auf einen Kollektivverkehr umzulenken. Güterverkehr?
- Antworten
-
Leserbrief von Joachim Seider aus Berlin (6. Januar 2025 um 12:35 Uhr)Lieber Heinrich H., als erstes würde ich das Buch von Uwe Behrens »Der Umbau der Welt«, edition ost 2022, empfehlen. In dem geht es zwar vorrangig um die riesigen Verkehrsprojekte der Seidenstraße, aber wer sich mit den enormen (und zum Teil schon realisierten) Vorhaben vertraut macht, dem dürfte der Mund vor Staunen offenstehen, wie zielstrebig und großflächig in China solcherlei Dinge angegangen werden. Und ja: Vielleicht kann die jW den Autor davon überzeugen, einen Artikel über den Wandel der innerchinesischen Transportsysteme nachzuschieben. Auch da dürfte das Staunen darüber sehr groß sein, welche verblüffenden Veränderungen stattgefunden haben und weiter stattfinden, ohne dass der hiesige Mainstream auch nur einen Piep davon vermeldet.
- Antworten
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (6. Januar 2025 um 13:49 Uhr)Lieber Joachim Seider, vielen Dank für den Lesetipp! Von Uwe Behrens habe ich bisher nur »Feindbild China, Was wir alles nicht über die Volksrepublik wissen« gelesen. Mein Wissen zu innerchinesischen Transportsystemen habe ich aus: »Wolfram Elsner, China und der Westen, Aufstiege und Abstiege« (PapyRossa, 2022). Dem habe ich entnommen, dass in der Volksrepublik dem Individualverkehr aus ökologischen Gründen (Klimaschutz) politisch zu Leibe gerückt werden und z. B. schnelle Eisenbahn- statt Flugverbindungen geschaffen werden sollen. Gerade Informationen über die politische Herangehensweise würden mich interessieren, ein paar weitere Leser der jW vielleicht auch.
- Antworten
Regio:
Mehr aus: Kapital & Arbeit
-
Günstige »Top Talents«
vom 06.01.2025