Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 08.01.2025, Seite 2 / Ausland
Regierungsbildung in Österreich

»Das Kapital fährt nun mit offenem Visier«

Österreich: Regierungsauftrag für Kickls FPÖ. Sozialdemokratie wird von Kapitalfraktionen nicht mehr gebraucht. Ein Gespräch mit Tobias Schweiger
Interview: Alieren Renkliöz
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Die »Freiheitlichen« finden noch nicht bei allen Rückhalt. Kundgebung jüdischer Studenten gegen einen Bundeskanzler Kickl (Wien, 6.1.2025)

Die Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ, ÖVP und Neos sind gescheitert. Weil die ÖVP Neuwahlen ausschließt, stehen nun Verhandlungen mit der FPÖ an. Was ist in Österreich zu erwarten?

Die Linksliberalen haben darauf gehofft, dass diese Koalition gelingt, und das trotz des Wissens, was da alles dann an Schandtaten passieren wird. Das ist nachvollziehbar, weil man Angst vor einer rechtsextremen Regierungsbeteiligung hat. Gleichzeitig waren aber auch die Anzeichen da, dass die Österreichische Volkspartei die Verhandlungen nicht besonders ernst nimmt. Auch wir als KPÖ haben uns immer wieder gefragt, ob das doch noch auf rechtsextrem-konservative Regierungsverhandlungen umschwenken wird. Und das ist nun in den letzten Tagen vollzogen worden.

War es letztlich nur eine Farce der ÖVP, sich auf die Koalitionsverhandlungen mit SPÖ und Neos einzulassen, um dann spätere Verhandlungen mit der FPÖ legitimieren zu können?

Ganz bestimmt ist das für Teile der ÖVP immer eine Finte gewesen. Ob das für den scheidenden Kanzler Karl Nehammer auch so gewesen ist, maße ich mir jetzt nicht an, zu beurteilen. Die ÖVP beweist in den letzten Jahren immer wieder, wie wenig Rückgrat sie hat. In Österreich sieht man, dass die großen Kapitalfraktionen, allen voran die Industriellenvereinigungen, sich selbst mit den schaumgebremsten Forderungen der Sozialdemokratie nicht mehr zufriedengeben. Während der Regierungsverhandlungen hat die Sozialdemokratie sogar eingestanden, auf die vermögensbezogenen Steuern zu verzichten.

Die Industrie- und Handelskammer hat schon vor den Nationalratswahlen für eine Koalition zwischen FPÖ und ÖVP plädiert. Warum dieser offene Einsatz für eine extrem rechte Regierungsbeteiligung?

Das passt zur Dynamik der vergangenen Jahre. Der Stresstest begann 2018 mit der Frage nach dem Zwölf-Stunden-Tag. Da war schon relativ deutlich, dass die Gewerkschaften außer einer symbolischen Großdemonstration nicht kampfbereit waren. Das hat dem Großkapital klargemacht, dass es weder die Sozialdemokratie noch die Gewerkschaften braucht, um den Sozialabbau beziehungsweise die Profitsicherung für die Reichen und Mächtigen durchzuführen.

Deswegen ist es nicht besonders überraschend, dass die Industriellenvereinigung die Raubzüge der zurückliegenden Jahre unter noch offeneren Vorzeichen fortsetzen will. Vielleicht waren sich Teile der Österreichischen Volkspartei nicht so sicher darin, ob man die Sozialdemokratie vielleicht nicht doch noch benötigt. Was die großen Kapitalfraktionen angeht, ist es hingegen Konsens, dass man die Sozialpartnerschaft, in welcher Form auch immer, nicht mehr braucht. Man muss die Sozialdemokratie nicht mehr in ein Regierungsprojekt integrieren. Das Kapital fährt nun mit offenem Visier.

Die ÖVP würde als Juniorpartner in diese Koalition eingehen und so die FPÖ zur Regierungsmacht führen. Spielt denn die oft betonte Verantwortung für die österreichische Demokratie gar keine Rolle mehr?

Wir haben mit Österreich einen Vorreiter dieser Entwicklung, aber in Wirklichkeit ist das etwas, was wir europaweit beobachten. Also das war in der ganzen Macron-Debatte Thema. Die letzten Jahre ging es immer darum, Parteien zu wählen, nur damit die Rechtsextremen nicht an die Macht kommen. Dabei befördern die Parteien der sogenannten Mitte mit ihrer Politik all das, was die gegenwärtige rechtsextreme Stimmung befruchtet. Die FPÖ soll nicht an die Macht kommen, aber inhaltlich hat man sich ja komplett angeglichen. Wo soll die ÖVP jetzt noch große Probleme mit dem Programm der FPÖ haben? Sie schreiben ja voneinander ab!

Die gesamte Gesellschaft rückt nach rechts, das zeigt sich in den Auseinandersetzungen der Sozialdemokratie, aber auch in den Beiträgen der grünen Partei. Über diese absolute Perspektivlosigkeit, die mit dem Versuch einherging, die Rechten zu verhindern, gibt es auch kein liberales Projekt mehr, ein sozialdemokratisches sowieso nicht. Das Diktum, dass der Staat nicht von den Rechten verwaltet werden darf, hat alle politischen Projekte innerhalb des bürgerlichen Staats in dieses Fahrwasser des Rechtsextremismus hineingebracht. Die Abgrenzung ist nur noch vermeintlich.

Tobias Schweiger ist Bundessprecher der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ)

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  • Leserbrief von Martin Mair aus Söchau (7. Januar 2025 um 22:10 Uhr)
    Wer die FPÖ immer noch als »rechtsextrem« bezeichnet, verkennt die Modernisierung der Rechten in Richtung »Rechtspopulismus« und verharmlost den klassischen Rechtsextremismus. Die FPÖ hat immerhin mit der SPÖ die Anrechnung des Partnereinkommens bei der Notstandshilfe während einer ÖVP-geführten Regierung geschafft, was die SPÖ als Kanzlerpartei nie ernsthaft in Angriff nahm. Rechtspopulisten haben zwar nach wie vor Affinitäten zum Rechtsextremismus, haben aber kein Problem mehr, auch partiell fortschrittliche Ideen/Anliegen umzusetzen, wenns beim Volk gut ankommt. In der Steiermark hat die FPÖ die Stärkung der direkten Demokratie, die Senkung der Hürden für Volksbegehren usw. hineingeschrieben sowie die Objektivierung der Bedarfszuwendungen an Gemeinden (die bislang eher nach parteipolitischen Kriterien der ÖVP vergeben worden sind). Rechtspopulisten sind einfach pragmatischer und flexibler. Da braucht es eine neue Linke, die ebenfalls mehr aufs Volks schaut und wirklich nachhaltig, auch in vermeintlich kleinen Angelegenheit, agiert. Also Obmann eines Arbeitslosenvereins muss ich leider feststellen, dass bislang außer schönen Worten wenig konkrete Unterstützung für die Basisinitiativen von Erwerbslosen kam. Statt über die Erfolge der Rechtspopulisten zu jammern, möge die »Restlinke« bitte einmal mit dem kritisieren bei sich selbst anfangen. Mit abgehobenem Verbalradikalismus wird für mich leider auch noch die KPÖ unwählbar, weshalb ich als Nichtwähler nur noch wie die 2 alten Herren bei der Muppets-Show die kritischen Einwürfe abgeben kann. Die Parteimenschen sind sich doch irgendwie alle ähnlich. :-(

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