Markt hält Preis hoch
Von Wolfgang PomrehnDie deutschen Treibhausgasemissionen sind im vergangenen Jahr nur um 18 Millionen Tonnen zurückgegangen, wie der Thinktank Agora Energiewende am Dienstag berichtete. Demnach betrugen sie 2024 insgesamt 656 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Knapp 600 Millionen Tonnen davon war CO2 (Kohlendioxid), das durch die Verbrennung fossiler Energieträger freigesetzt wird und von dem etwa die Hälfte für mehrere Jahrtausende in der Atmosphäre verbleibt. Der Rest setzt sich aus anderen, meist kurzlebigeren Gasen zusammen, deren Mengen entsprechend ihrer Klimawirksamkeit umgerechnet werden. Im Vergleich zum Ende der 1980er Jahre haben sich die Emissionen damit annähernd halbiert. Allerdings müsste der Rückgang erheblich schneller erfolgen, wenn Deutschland einen angemessenen Beitrag zur Eindämmung der globalen Klimakrise leisten würde. Laut Klimaschutzgesetz sollen die Emissionen bis 2030 auf 438 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente jährlich sinken. Auch dieses unzureichende Ziel wird beim jetzigen Tempo nicht erreicht werden.
Der Rückgang ist vor allem auf den verminderten Einsatz von Kohlekraftwerken zurückzuführen. In den Sektoren Gebäude und Verkehr wurden die mit den anderen EU-Staaten vereinbarten Klimaziele erneut verfehlt. Die Ampelkoalition hatte im vergangenen Jahr eigens das Klimaschutzgesetz aufgeweicht, damit diese Arbeitsverweigerung für die verantwortlichen Ministerien folgenlos bleibt. Der geringere Beitrag der Kohlekraftwerke wurde durch einen weiteren Anstieg der Grünstrommenge sowie durch vermehrte Importe ausgeglichen. Der Anteil von Wind, Sonne, Biomasse und Wasserkraft an der inländischen Stromerzeugung lag nach den Daten des »Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme« (ISE) 2024 bei über 62 Prozent. Auch der Importstrom wurde nach Angaben von Agora Energiewende zu fast 50 Prozent von erneuerbaren Energieträgern zur Verfügung gestellt.
Der größte Teil des Solar- und Windstroms wird in Deutschland, so will es das Erneuerbare-Energien-Gesetz, an der Leipziger Strombörse verkauft. Das führt dazu, dass dort an Tagen mit viel Sonne oder Wind die Preise in den Keller gehen und an anderen, an denen wenig Grünstrom ins Netz eingespeist werden kann, in die Höhe schießen. Besonders berüchtigt sind die sogenannten Dunkelflauten. Die an diesen Tagen zu erzielenden hohen Preise bescheren auch den Betreibern der Kohlekraftwerke einen satten Extraprofit. Das könnte für sie einen Anreiz darstellen, das Angebot preistreibend knapper als nötig zu halten. Ob das bei der jüngsten Dunkelflaute Anfang Dezember geschehen ist, untersucht gerade, wie berichtet, das Bundeskartellamt. Vergangene Woche sprach das Amt von einer besonderen Marktmacht des RWE-Konzerns an solchen Tagen.
Trotz der Ausreißer während der Dunkelflauten ist der Börsenstrompreis im vergangenen Jahr weiter zurückgegangen und lag nach Angaben des ISE mit umgerechnet durchschnittlich rund 7,8 Cent pro Kilowattstunde fast 1,6 Cent unter dem Niveau von 2021. Mit anderen Worten: An der Börse wird trotz aller Klagen über zu hohe Energiepreise für die Industrie der Strom inzwischen günstiger gehandelt, als unmittelbar vor der großen Preisexplosion 2022.
Bei den privaten Verbrauchern ist von den abnehmenden Beschaffungskosten allerdings bisher nicht viel angekommen. Nach den Angaben des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) betrug 2024 der durchschnittliche Strompreis bei einem Jahresbedarf von 3.500 Kilowattstunden immer noch 40,95 Cent pro Kilowattstunde, wobei der Grundpreis anteilig eingerechnet wurde. Das waren zwar nicht ganz fünf Prozent weniger als 2023, aber immer noch fast acht Cent mehr als 2021. Nach den BDEW-Daten berechnen Versorger noch immer für Beschaffung und Vertrieb etwas mehr als doppelt so viel wie 2021. Entsprechend ist auch die Mehrwertsteuer höher, und zusätzlich sind auch die mit der Stromrechnung zu bezahlenden Netzentgelte in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.
Was letztere angeht, sollte es ab dem 1. Januar immerhin etwas Entspannung geben. Die Bundesnetzagentur hat für Regionen mit starkem Zubau von Windkraft- und Solaranlagen eine spürbare Absenkung der Netzentgelte verfügt. Bei einem Jahresverbrauch von 3.500 Kilowattstunden könnte in einigen Regionen die jährliche Entlastung teilweise über 200 Euro im Vergleich zu 2024 betragen, so die Agentur. Diese empfiehlt daher den Verbraucherinnen und Verbrauchern einen genauen Blick in ihre Abrechnung, die mit den Angaben auf der Internetseite der Agentur verglichen werden sollte.
Hintergrund Dunkelflaute und Stromimport
Die Stromproduktion von Solar- und Windkraftanlagen lässt sich zwar mit Wettermodellen für einige Tage recht gut vorhersagen, aber nicht steuern. Mal liefern die Anlagen reichlich, so wie am 1. und 2. Januar und zu Beginn dieser Woche, als Wind, Sonne, Biomasse und Wasserkraftwerke fast den ganzen Bedarf im öffentlichen Netz abdeckten und ihn zeitweise sogar übertrafen; und mal sorgt ein winterliches Hochdruckgebiet über Mitteleuropa dafür, dass bei wolkenverhangenem Himmel der Wind fast einschläft und somit weder Solaranlagen noch Windräder Strom liefern. Dunkelflaute wird das von Fachleuten, wie berichtet, genannt. Im November und Dezember hatte es mehrfach derartige Ereignisse gegeben. Da auch ein nicht unwesentlicher Teil der Kohle- und Gaskraftwerke – aus welchen Gründen auch immer – nicht lieferte, wurde zeitweise viel Strom aus dem Ausland bezogen. Boulevardmedien versuchten, das zu skandalisieren, aber im Grunde war der Vorgang nicht so außerordentlich wie dargestellt. Grenzüberschreitender Stromhandel ist in der EU gewollt und findet rege statt. Meistens exportiert Deutschland mehr Strom, als es importiert, doch in den vergangenen beiden Jahren war es zum ersten Mal seit 2001 Nettoimporteur. 2024 waren es 24,7 Milliarden Kilowattstunden Strom, die mehr herein- als herausflossen. Das war der höchste Betrag seit mindestens einem Vierteljahrhundert, aber machte lediglich 5,4 Prozent des Bedarfs im öffentlichen Netz aus.
Wie häufig sind nun diese Dunkelflauten? Eine bis 1950 zurückreichende Datenanalyse des Deutschen Wetterdienstes (DWD) kam Mitte Dezember zu dem Ergebnis, dass zwischen Oktober und März im Durchschnitt mit acht bis neun solchen Tagen zu rechnen ist. In sechs Jahren traten solche Wetterlagen überhaupt nicht auf, im Winterhalbjahr 2011/12 waren es hingegen 23 Tage, was das Maximum in den 74 untersuchten Jahren war. Im Durchschnitt dauern solche Flauten vier Tage, das Maximum lag bei zehn Tagen. Die DWD-Autorinnen und -Autoren haben auch untersucht, ob sich Länge und Häufigkeit der Dunkelflauten verändert haben, konnten in den Daten aber keinen Trend feststellen. Außerdem haben sie mit den alten Wetterdaten hypothetische Solar- und Windstromerträge berechnet und konnten auch hier keine langfristigen Trends finden. Ansonsten weisen sie darauf hin, dass ein Hochdruck über Mitteleuropa, also eine hiesige Dunkelflaute, typischerweise zu stärkeren Winden über Skandinavien und Südosteuropa führt. Das wäre dann ein weiteres Argument für den grenzüberschreitenden Stromhandel, sofern dort mehr Windkraftanlagen errichtet würden. (wop)
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (7. Januar 2025 um 21:19 Uhr)Ich vertrete schon immer die Auffassung, dass Wirtschaftslehre weniger eine neutrale Wissenschaft als vielmehr eine Machtideologie ist. Der Markt ist weder frei noch selbstregulierend, sondern ein Instrument derjenigen, die am Marktgeschehen profitieren. Weder der Kapitalismus noch der Markt verfolgt das Ziel, Waren oder Dienstleistungen günstig anzubieten. Vielmehr werden Preise stets so hoch angesetzt, wie es die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten gerade noch erlaubt. Dieser Mechanismus erzeugt einen ständigen Wettbewerb, in dem die Marktteilnehmer gezwungen sind, selbst für Höchstpreise zu zahlen. Genau das ist das eigentliche Grundgesetz des Marktes.
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