Polizei gegen Hochschule
Von Jamal IqrithPolizisten, die zwar wollen, aber nicht dürfen – und eine Hochschulpräsidentin, die sich für die Studierenden einsetzt. Auch so kann eine palästinasolidarische Hochschulbesetzung ablaufen. So geschehen am Montag an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin-Hellersdorf. Zwischen 40 und 50 Personen hatten einen Hörsaal besetzt und das Gebäude gegen 21 Uhr wieder verlassen – ohne polizeiliche Räumung, wie die Hochschulleitung bestätigte. Für Dienstag kündigten die Besetzer ein Programm mit Vorträgen, Filmvorführungen und Workshops zum israelischen Krieg im Gazastreifen an.
In einer Mitteilung fordern sie einen »Boykott israelischer Einrichtungen, welche den israelischen Apartheidstaat stützen«. Auch mit anderen Studentenprotesten weltweit solidarisieren sie sich. An der Freien Universität sowie der Humboldt-Universität in Berlin hatten die Universitätsleitungen Strafanzeige gestellt und die Studierenden räumen lassen. Das löste Kritik in Hochschulkreisen aus.
Während die Besetzer – in Absprache mit dem Präsidium – den Hörsaal am Abend verließen, diskutierte die Präsidentin Bettina Völter mit angerückten Polizeikräften. Die Szene, die auf einem Video zu sehen ist, das in sozialen Medien kursiert, wirkt wie Slapstick. »Wir brauchen Sie nicht. Es tut mir schrecklich leid, wir brauchen Sie nicht«, erklärte die Präsidentin am Eingang der Hochschule einem Polizisten. »Ich bin die Präsidentin der Hochschule. Ich habe Hausrecht. Ich habe Sie nicht gerufen«, fügte sie hinzu. Die Einsatzkräfte in voller Montur beharren auf dem Einsatzbefehl und sagen, dass sie niemanden ins Gebäude lassen. Völter erwidert: »Hier kommt ja auch niemand rein. Wir erleben es als bedrohlich, dass Sie vorn am Eingang stehen.« Darauf der Polizist: »Die Polizei ist für sie also bedrohlich? Ist ja Wahnsinn.«
Wo andere ruhige Kommunikation erkennen mögen, sieht die sogenannte Gewerkschaft der Polizei (GdP) blanke Feindseligkeit. Es sei »nicht das erste Mal, dass aus dieser wissenschaftlichen Einrichtung Polizeihass offenbart wird«, zitiert Bild (Dienstag) den GdP-Sprecher Benjamin Jendro. Es sei »schlimm, dass an der Hochschule Raum für verfassungsfeindliche und antisemitische Parolen geboten« werde. Jendro ging noch weiter. »Wir reden aber auch über Straftaten, bei denen Gefahr im Verzug gilt, und da greift ihr Hausrecht nicht«, erklärte er. »Genau genommen« behindere die Präsidentin die Strafverfolgung, das müsse »Konsequenzen haben«. Unklar blieb, welche Straftaten damit gemeint sein könnten. Eine Sprecherin der Polizei Berlin sagte Bild: »Bislang sind keine Straftaten festgestellt worden, die Unileitung duldet den Aufenthalt der Protestler in dem Gebäude.«
Schützenhilfe kam prompt von der Berliner SPD. Wer lediglich den Diskurs suche, habe »auch keinen Anlass, vermummt aufzutreten«, erklärte der Sprecher für Inneres der Berliner SPD, Martin Matz, in einer Mitteilung vom Montag. »Offensichtlich werden also doch Straftaten beabsichtigt«, argumentierte er in lupenreiner Polizeilogik. Florian Nath wiederum, Pressesprecher der Polizei Berlin, erklärte am Dienstag gegenüber jW, es sei zu »mehreren Straftaten gekommen«, gegen sechs Personen werde ermittelt. Verständigt worden seien die Behörden von bereits anwesenden Polizeidienstkräften einer mobilen Wache vor Ort.
Auch Berlins regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) schaltete sich ein. Es sei »völlig unverständlich«, dass die Rektorin der Hochschule die Polizei als Bedrohung sehe und nicht die »vermummten und gewalttätigen Antisemiten«, so Wegner am Dienstag nachmittag. In einer Stellungnahme zu den Vorgängen erklärte das Präsidium der Hochschule, dass man den Studierenden auch am Dienstag einen »Raum zur Wissensaneignung, zum Austausch und zur kritischen Auseinandersetzung« gewähre. Antisemitismus sowie »Äußerungen, die das Existenzrecht Israels infrage stellen«, hätten »keinen Platz an der Alice-Salomon-Hochschule«. »Umgekehrt« wende man sich aber »entschlossen gegen das Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza, in der Westbank, in Israel und anderen Staaten der Region«.
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