»Das Gefängnis und der psychische Druck zermürben«
Interview: Gitta DüperthalIn der Nacht zum Montag sollte der Iraner Amirarshia A. aus dem Abschiebeknast im schleswig-holsteinischen Glückstadt über den Flughafen Frankfurt nach Lettland abgeschoben werden. Zusammen mit seinem Bruder war er seit dem 9. Dezember eingesperrt. Was widerfuhr ihm bei der Abschiebung?
In dieser Nacht wurde Amirarshia A. nach Frankfurt am Main verbracht. Von dort aus sollte er nach Lettland ausgeflogen werden. Als er sich widersetzte und zu fliehen versuchte, legte man ihm Fesseln an. Nach seinen Schilderungen wurden ihm dabei Verletzungen zugefügt. Nach einer Nacht in Abschiebehaft in Frankfurt wurde er trotzdem nach Lettland abgeschoben.
Weshalb wurde er von seinem Bruder getrennt?
Amin, der durch seinen Autismus noch extremer unter der Haft im Abschiebeknast Glückstadt litt, wurde einen Tag später abgeschoben. Zu vermuten ist, dass man die Brüder voneinander trennte, um ihren Widerstand zu brechen. Beide waren zuvor elf Tage lang im Hungerstreik.
Warum waren sie aus dem Iran geflohen?
Amirarshia und Amin hatten sich im Iran in der kurdischen Protestbewegung »Jin, Jiyan, Azadî«, auf deutsch: Frau, Leben, Freiheit, engagiert. Sie flohen über Russland, Belarus und Polen, von dort verbrachte man sie nach Lettland. Sie kannten die Dublin-Regelung, wonach ein Asylantrag dort ihnen einen Verbleib in Deutschland verunmöglichen würde. Sie wollten zu ihren hier lebenden Eltern, die pflegebedürftig und auf Unterstützung ihrer Söhne angewiesen sind. Sie waren unter Druck. In Lettland war ihnen angedroht worden, sie – ohne Antrag dort – direkt in den Iran abzuschieben.
Zum Jahreswechsel gab es Proteste vor dem Abschiebegefängnis. Was ist dort los?
Die schlimmen Bedingungen haben sich 2024 noch verschärft. Oft fehlt es den Eingesperrten am notwendigsten: Unterwäsche, Shirt oder Schuhe. Es gibt Selbstverletzungen und Suizidversuche. Mehrfach legten verzweifelte Inhaftierte Brände in Zellen. Solche Vorfälle spielt der Knast als kleine Unfälle herunter. Im ersten Halbjahr sollten dort zwei Sozialarbeiterstellen zur Unterstützung für die Gefangenen mit einer Sozialberatung besetzt werden, was aber nicht geschah, weil sich dazu niemand bereit fand. Der Knast wurde ohne dieses wichtige Angebot, etwa um Kontakte zum Anwalt zu organisieren, weiter betrieben. Seit 2025 gibt es das Recht auf einen Pflichtverteidiger.
Ein Mann, der schließlich nach Marokko abgeschoben wurde, hatte sich zuvor aus Verzweiflung im Knast kochendes Wasser über den Rücken gegossen, was schwere Verbrennungen zur Folge hatte. Als er nach der Krankenhausbehandlung wieder ins Gefängnis kam, sperrte man ihn in eine Isolationszelle. Dieser Umgang mit einem Menschen, der sich in einer drastischen psychischen Ausnahmesituation befindet, ist inakzeptabel. Das Gefängnis zermürbt ebenso wie der psychische Druck der bevorstehenden Abschiebung.
Woher kommen die Inhaftierten?
Inhaftiert sind dort etwa Menschen aus Afghanistan, dem Iran, Syrien oder nordafrikanischen Ländern wie Algerien. Viele sind nicht das erste Mal dort. Sie wurden abgeschoben, kamen wieder, wurden erneut inhaftiert. Auch Osteuropäer, etwa aus Polen, die in Hamburg obdachlos waren, sind in Glückstadt in Abschiebehaft.
Der Bundestagswahlkampf tobt. Die Union setzt auf das Thema Migration. Konnten Sie vor diesem Hintergrund einen Rückgang der Empathie gegenüber Geflüchteten wahrnehmen?
Die politisch vergiftete Debatte, die Abschiebungen und Abschiebehaft als Erfolge feiert, zieht eine Verrohung innerhalb der Gesellschaft nach sich. Seit etwa CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz die Werbetrommel dafür rührt, schwindet das Mitgefühl der Bevölkerung merklich. Nicht überlastete Kommunen, zu wenige Wohnungen und überhöhte Mieten sind Thema: Die Debatte verlagert sich auf Rassismus gegen Migranten und Minderheiten, die keine Lobby haben.
Ela Hazem ist aktiv bei der Kampagne »Kein Abschiebegefängnis in Glückstadt und anderswo!«
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