Lauter als Gott
Von Frank Schäfer
Der große Rockkritiker Lester Bangs hat diese Geschichte gern erzählt: »Ein Freund von mir hatte einen Plattenspieler, der den Plattenteller in entgegengesetzter Richtung drehen konnte; als wir das erste Album von Blue Cheer, ›Vincebus Eruptum‹, rückwärts spielten, hörte man keinen Unterschied zu vorwärts.« Für Bangs sind Blue Cheer ihrer Zeit weit voraus, »ausgerechnet aus San Francisco kommend«, dem Garten Eden der Hippies, »war dieses Powertrio derartig laut, dass ein Rezensent einer ihrer ersten Konzerte aus Mangel an Worten sie als ›Superdruiden-Rock‹ bezeichnete«. Diese superlativische Verstörung begegnet einem öfter, wenn Zeitgenossen über ihre erste Begegnung mit der Band sprechen. Jim Morrison von den Doors bezeichnete sie einmal als »mächtigste Band, die ich je gesehen habe«, hartnäckig hielt sich das Gerücht, sie seien »lauter als Gott«, und der Journalist Bill Altman erzählt die Anekdote von einem Gig aus dem Jahr 1968, bei dem schon nach wenigen Liedern »ein Großteil des Publikums vor der Bühne« das Weite suchte, weil ihm schlicht die Ohren abfielen.
Man hat sie immer wieder mit dem Psychedelic Sound der Spätsechziger in Verbindung gebracht. Das stimmt schon in gewisser Weise, aber die Haight-Ashbury-Szene ist vor allem der Nährboden, aus dem sich das Monster erhebt. »Zuallererst waren wir eine laute, voll reinhauende Rock-’n’-Roll-Band, Mann«, diktiert Dickie Peterson, der Gangleader, zwei Jahre vor seinem Tod dem Interviewer der Pittsburgh Post in die Feder. »Unser einziges Ziel war es, Musik zu machen, die mindestens genauso ein physisches wie ein akustisches Erlebnis war.« Es sollten die Schlaghosen schlackern.
Auf Vinyl kann man diesen Schalldruck nur erahnen. Die Studiotechnik domestizierte und stutzte damals auch Superdruiden auf kalifornisches Normalmaß zurecht. Deshalb brauchte es auch immer mal wieder einen Wink mit dem Zaunpfahl. So trug das zweite Album den Titel »Outsideinside«, weil einige Songs der Legende nach so höllenmäßig phonstark waren, dass man sie nur draußen aufnehmen konnte. Dabei war »Outsideinside« schon etwas handzahmer als ihr gewaltiger Aufschlag »Vincebus Eruptum«. Die Produktion ist etwas weniger verranzt und mit seinen Echo- und Panning-Effekten zeitgemäß-psychedelischer. Noch dazu schnurren Leighs Stephens’ anarchische Leadgitarrenmatschereien auf ein leichter verdauliches Maß zusammen. Trotzdem klingen sie immer noch wie eine ungeschlachte, brutale Jimi Hendrix Experience.
In Davis, einer mittelgroßen Universitätsstadt zwischen Sacramento und San Francisco, hatte alles angefangen. Dort trifft Sängerbassist Dickie Peterson auf Schlagzeuger Paul Whaley. San Francisco gibt Mitte der Sechziger musikalisch den Ton an, also ziehen sie eine Autostunde runter an die Küste. Zusammen mit Leigh Stephens unterziehen sie jetzt die Hippie-Clubs der Stadt ihrer Krachtherapie und werden gehört. Nicht zuletzt vom Label Philips, das sie sofort ins Studio schickt. Sie haben noch gar nicht genügend eigene Songs, also müssen Coversongs her, Eddie Cochrans »Summertime Blues« erweist sich als Glücksgriff. »Wir haben es ständig verändert, Teile hinzugefügt und entfernt. Es waren auch große Dosen LSD im Spiel«, meinte Peterson später. Wie auch immer, diese wilde, verwahrloste Singleauskopplung bringt es auf Platz 14 der Billboard-Charts, und der Erfolg trägt ihr Debütalbum sogar auf Platz elf.
Die Presse blieb auf Abstand. Das lag auch daran, dass ihr Manager Allen »Gut« Terk ein ehemaliges Mitglied der Hells Angels war. Aber auch ohne Sonny Bargers Putztruppe im Rücken galten sie als unsichere Kantonisten. Sie opponierten zwar gegen den Vietnamkrieg und zeigten der konservativen Regierung einen Stinkefinger, nicht zuletzt wegen ihrer verschärften Drogenpolitik, aber mit den Flower-Power-Traumschlössern wollten sie auch nichts am Hut haben. Wenn irgendwo eine Flasche Whiskey offen war, ein Joint herumging oder ein Glas Acid-Limo gereicht wurde, dann waren zumindest Peterson und Whaley mit von der Partie. Als sie im Fillmore East spielen sollten und der Schlagzeuger den großen Impresario Bill Graham warten ließ, schäumte der vor Wut. Noch Monate später war Graham so verärgert, dass er in einem Fernsehinterview, nach dem Erfolg von Blue Cheer befragt, losblaffte: »Sie haben es nur geschafft, weil sie keine Unterwäsche tragen!«
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