»Statt Forschung gibt es noch mehr Polizeipräsenz«
Interview: Jamal IqrithSie organisieren für die kommende Woche in Frankfurt am Main eine Konferenz zum Thema Palästina. Worum genau soll es bei der Veranstaltung gehen?
Es handelt sich um eine wissenschaftliche Konferenz, die vom 16. bis 17. Januar stattfindet. Sie wird von Studierenden und Wissenschaftlern organisiert und verfolgt das Ziel, Räume zu eröffnen, um über aktuelle Forschung zu Palästina im Kontext des Völkermords in Gaza und Repressionen gegen diese zu reden.
Anders als beispielsweise der Palästina-Kongress, der vergangenes Jahr in Berlin stattfand, setzen Sie auf einen akademischen Charakter. Warum?
Wir sind als Lehrende, Forschende und Studierende Teil des wissenschaftlichen Betriebes und halten eine Auseinandersetzung mit Menschenrechtsverletzungen und den systematischen Grundlagen von Unterdrückung und Völkermord für unabdingbar. Jedoch sind insbesondere deutsche Universitäten zunehmend von einem Klima der Einschüchterung gekennzeichnet. Statt sich mit den empirischen Tatsachen der israelischen Besatzung zu befassen, wird der Diskurs über die Situation in Palästina mit einer Instrumentalisierung des Vorwurfs von Antisemitismus unterbunden.
Eine Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung der Palästinenser und eine davon getragene Forschung zu den Verbrechen und der strukturellen Gewalt des Staates Israel fehlt größtenteils in der deutschen universitären Landschaft. Statt dessen wächst die Polizeipräsenz auf dem Campus. Wir sind der Meinung, dass die Universität ein Ort des kritischen Denkens und Diskurses sein muss.
Welche Rolle spielt die Wissenschaft in der Auseinandersetzung mit Palästina in Deutschland?
Ähnlich wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen steht auch die Wissenschaft in Deutschland vor großen Herausforderungen, wenn es um Palästina geht. Beispiele wie die sogenannte Fördergeldaffäre rund um die ehemalige FDP-Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger oder die öffentlichen Diffamierungen von Wissenschaftlern durch die Springer-Presse zeigen, wie stark akademische Diskurse eingeschränkt werden. Das ist besonders alarmierend, da in einer bürgerlichen Demokratie Wissenschaftsfreiheit normalerweise einen hohen Stellenwert hat.
Die zunehmenden Einschränkungen in diesem Bereich zeigen den Rückgang demokratischer Rechte und die Dringlichkeit, diesem entgegenzuwirken. Zudem pflegen viele deutsche Universitäten Partnerschaften mit israelischen Institutionen und rechtfertigen unter anderem durch Forschung und Kooperationen militärische Strategien, die zur Zerstörung Gazas beitragen.
Welche Themen stehen bei der Konferenz im Mittelpunkt?
Wir haben internationale Gäste eingeladen, die unterschiedliche Ansätze und Themenbereiche abdecken. Im Mittelpunkt stehen Fragen der epistemischen Gewalt und des »Scholasticide«, also der gezielten Zerstörung von Wissens- und Bildungssystemen, sowie der Dekolonisierung.
Der Palästina-Kongress in Berlin wurde von der Polizei gestürmt und verboten. Befürchten Sie ähnliches in Frankfurt?
Umfragen zeigen, dass ein Großteil der Deutschen das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen ablehnt. Der deutsche Staat fürchtet, dass Millionen von Menschen die sogenannte Staatsräson hinterfragen und für die Rechte der Palästinenser sogar auf die Straße gehen könnten. Deswegen unternimmt die herrschende Klasse alles in ihrer Macht Stehende, um Solidarität mit Palästinensern und selbst Positionen gegen Genozid zu kriminalisieren. Wir wissen aktuell nicht, zu welchen Schritten der Staatsapparat in Frankfurt bereit sein wird. Die vergangenen 14 Monate heftiger Repressionen und Kriminalisierung der Bewegung gegen den Völkermord an den Palästinensern zeigen, dass es Bereitschaft zu autoritären Maßnahmen gibt.
Gab es aus der Stadtgesellschaft Kritik an der Veranstaltung?
Bisher nur vereinzelt. Der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker (ehemaliger Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, DIG, jW) hat versucht, die Konferenz zu diffamieren. Die Goethe-Universität hat uns kurzfristig Räume verweigert, was die Organisation der Veranstaltung erschwert hat. Abgesehen davon haben wir überwiegend positive Rückmeldungen erhalten. Insbesondere aus der Zivilgesellschaft und von Wissenschaftlern gab es Zuspruch.
Jule Kettelhoit ist Mitglied der Initiative »Talking about Palestine« an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main
Die Konferenz wird live übertragen auf www.talkingpalestine.de
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