Viel Lärm um nichts
Von Andreas MüllerEin Staatsminister für Sport und Ehrenamt demnächst im Bundeskanzleramt, wie es CDU und CSU werbewirksam zur nächsten Bundestagswahl am 23. Februar versprechen? Oder gar ein eigenes Sportministerium? Was derzeit neue Nahrung bekommt, ist ein uralter Ansatz. Ein Wunschminister(ium), das in gutem Amtsdeutsche als sportpolitische Wiedervorlage bezeichnet werden kann. Ähnliche Äußerungen machte ein Mann, der von 2005 bis 2009 dem Sportausschuss des Bundestages vorsaß und im November 2022 verstarb. »Wir haben sehr viele Defizite aufzuarbeiten. Mein Traum ist ein eigenständiges Bundesministerium für Jugend und Sport«, so Peter Danckert in einem Interview für das Sporthilfe-Magazin im Frühjahr 2008. Und weiter: »Für den Sport brauchen wir klare Strukturen, Verantwortlichkeiten und einen Konsens. Das ist so signifikant, dass ich mir immer mal wieder an den Kopf fasse und mich frage, warum wir nicht schon viel weiter sind. Wir brauchen eine Generaldebatte über den Sport in all seinen Facetten. Es wäre fatal, dieses Feld nur auf den Spitzensport zu reduzieren.«
Sätze, wie sie nach nunmehr fast 17 Jahren immer noch volle Gültigkeit haben und illustrieren: Über den grundsätzlichen Stellenwert des Sports in diesem Land wurde seither immer nur gefaselt, statt diese gesellschaftliche Größe ersten Ranges auch in Euro und Cent endlich in glaubwürdiger Form wertzuschätzen. Stillstandhausen in Reinkultur. Wer ein überzeugendes Beispiel dafür finden will, wie dieses Land über Dekaden hinweg im Tiefschlaf verharrte und dauerhaft das Mikadoprinzip – bloß nicht bewegen! – vorherrschte, der Umgang mit dem Sport und seinem Platz hierzulande liefert es frei Haus. Sieben vergeigte Olympiabewerbungen, die dem Sport selbstverständlich nichts brachten. Zwei großangelegte Reformen für den Spitzensport scheiterten in der jüngeren Vergangenheit krachend. Ein von der Bundespolitik angelegter »Entwicklungsplan« für den »kleinen Sport« endete im Vorjahr skandalös. Das Papier wurde vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) mit seinen gut 87.000 Vereinen und aktuell rund 28,7 Millionen Mitgliedschaften in kleine Schnipsel zerrissen. Die Präsentation nach harscher Kritik hatten Vertreter der Landessportbünde (LSB) einhellig boykottiert.
Den Protest gegen den »Entwicklungsplan Sport« fasste Präsident Thomas Weikert auf der DOSB-Vollversammlung am 7. Dezember in Saarbrücken noch einmal in Worte: »Es sollte nach unserer Vorstellung eine Strategie sein, wie die Rahmenbedingungen für Sport in Deutschland ressortübergreifend verbessert werden, ganz konkret, mit finanziellen Mitteln unterlegt. Nach unserem Verständnis ein Dekadenprojekt und nicht mit der Kürze einer Legislaturperiode vereinbar. Das logische Ergebnis: reine Zustandsbeschreibung. Nichts, was Aufbruchstimmung erzeugt hätte. Die pure Enttäuschung.« Die federführenden Bundesministerien des Innern (BMI) und für Gesundheit hätten bei diesem Unterfangen »unambitioniert und pflichtschuldigst eine Aufgabe abgearbeitet«. Eine öffentliche Watschn für die Bundespolitik, wie diese sie vom Dachverband äußerst selten erlebt.
Und nun soll ab der nächsten Legislaturperiode, soll nach der Wahl des 21. Bundestages alles besser werden? In Saarbrücken plädierte auch der DOSB für einen Lobbyisten direkt im Zentrum der Macht. »Wir brauchen jemanden, der sich am Kabinettstisch exklusiv für die Interessen des Sports einsetzen kann«, erklärte Thomas Weikert. Darum fordere der Dachverband »einen Staatsminister oder eine Staatsministerin für Sport im Bundeskanzleramt«. Wobei es zuletzt mit Olaf Scholz einen Premier gegeben hat, der auch ohne speziellen Sportberater im Vorzimmer Einblicke in diesen Bereich hätte haben können wie niemand vor ihm als Premier. Warum? Seine Ehefrau Britta Ernst war von September 2017 bis April 2023 in Brandenburg als Ministerin für Bildung, Jugend und Sport am Start. Sie hätte ihrem Mann jenen Tag am Frühstückstisch haarklein erzählen können, was von Spitzen- bis Breitensport nottut. Mit Hilfe ihrer Erkenntnisse aus den regelmäßigen Sportministerkonferenzen der Länder hätte sie ihrem Gatten seit Herbst 2021 sogar aus erster Hand einen bundesweiten Überblick verschaffen können.
Eine derart beruflich-private Konstellation hätte für den Sport natürlich nur fruchten können, wenn der werte Kanzler auf diesem Ohr nicht taub wäre. Leider, so Leute, die ihn besser kennen, ist Olaf Scholz kein Fan des »Gesamtkunstwerks Sport«. Er ist keiner, der dessen wirkliche Größe und die ungeheure soziale Kraft dieses Gebildes ermessen und ihr die nötige Aufmerksamkeit zuwenden mochte. Sein Verhältnis gegenüber diesem Sportganzen glich dem von Chefredakteuren. Sie betrachten das Sportressort in ihren Zeitungen als bloßes Anhängsel und kennen über den Fußball hinaus wenig. Hauptsache, dieser Teil der Zeitung ist jeden Tag irgendwie vollgeschrieben.
Was lehrt die Episode Scholz? Es braucht nicht zuerst neue Staatsminister für dieses Ressort oder ein eigenes Sportministerium. Für die neue Draufsicht auf das nationale Kulturgut Sport braucht es keine zusätzlichen ministeriellen Planstellen, sondern zuallererst ein grundlegendes Verständnis der politischen Entscheidungsträger darüber, was Sport als gesellschaftliches Medium ist, kann und soll. Wenn Politikerinnen und Politiker dies über Parteigrenzen hinweg verinnerlicht haben, werden sie gar nicht umhinkönnen, dem Sport mit all seinen Puzzleteilen die gebührende Aufmerksamkeit und pekuniäre Unterstützung zu gewähren. Und sich nicht länger in den – leider gesetzlich verbrieften – Irrglauben flüchten, Sport sei, mit Ausnahme des Spitzensports, einzig Sache von Ländern und Kommunen.
Im übrigen hat Gerhard Böhm, der vormalige Chef der Abteilung Sport im BMI, schon Ende 2017 in der Zeitschrift der Deutschen Olympischen Gesellschaft dem Wunsch nach einem Sportministerium eine deutliche Absage erteilt. Persönlich halte er das »für keine gute Idee«, sagte er dem Olympischen Feuer. »Wenn der Innenminister am Kabinettstisch Platz nimmt, dann sitzt dort ein politisches Schwergewicht. Der Sport ist gut beraten, wenn es bei dieser Konstellation bleibt. Ein eigenes Sportministerium wäre ein kleineres Ministerium unter vielen. Auf diese Weise würde der Sport meines Erachtens deutlich verlieren.«
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