Todernste Drohungen
Von Matin BarakiDie große Sünde Julian Assanges habe darin bestanden, die Wahrheit gesagt zu haben, schreibt der britische Regisseur Ken Loach im Vorwort zu einem Buch, das der Geschichte von Wikileaks nachgeht und damit indirekt auch eine Außenpolitik der USA dokumentiert, die sich auf Gewalt und Krieg gründet. Rund fünfzehn Jahre lang recherchierte die italienische Journalistin Stefania Maurizi dazu.
Mit dem mehrfach ausgezeichneten Buch »Secret Power«, 2022 zuerst in englischer und nun in deutscher Sprache erschienen, liegt die Geschichte eines mutigen, lange Zeit inhaftierten Journalisten vor, der gnadenlos verfolgt wurde, weil er sich getraut hatte, die Verbrechen einer Weltmacht für eine globale Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Für die deutsche Ausgabe verfasste Maurizi längere Ergänzungen, die den Weg zu Assanges Freilassung nachzeichnen, der hier als Erfolg einer internationalen Solidaritätskampagne gewürdigt wird.
Die Autorin beschreibt detailliert die Arbeitsweise von Assange und die »Gegenmaßnahmen« Washingtons, die dazu führten, dass er fünf Jahre und zwei Monate in Haft im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh verbringen musste. Seine Zeit unter anderem im Botschaftsasyl mitgerechnet, kam er erst »nach 14 Jahren willkürlicher Festsetzung« endlich frei. Zum Vergleich: Der britische Labour-Innenminister Jack Straw ließ einst den chilenischen Exdiktator und Massenmörder Augusto Pinochet aus dem Londoner Hausarrest wegen angeblicher medizinischer Gründe ausreisen. Pinochet verließ London in einem Rollstuhl, aus dem er sich noch am Flughafen in Chile wie ein junger Mann erhob. Assange dagegen wurde durch die britische Polizei aus der Botschaft von Ecuador gezerrt und eingesperrt. Ihm drohte die Auslieferung an die USA.
Dort waren einflussreiche Leute der Meinung, man solle ihn »erschießen«. Die ehemalige Gouverneurin von Alaska und Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin schlug vor, Assange »wie einen Al-Qaida-Führer zur Strecke zu bringen«. Und das war kein Scherz. Die CIA spielte den Plan durch, Assange »zu entführen oder sogar zu töten«. Auch gegen den Whistleblower Edward Snowden, dessen Enthüllungen 2013 einen Einblick in das Ausmaß der weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken der USA und Großbritanniens gaben, wurden ähnliche Drohungen ausgestoßen. Der ehemalige CIA-Chef James Woolsey wollte Snowden »aufhängen lassen, bis er tot ist«. Stefania Maurizi resümiert, dass die Überlegungen, Assange umbringen zu lassen, »keine hohle Phrase« waren, sondern »todernst«.
Für Chelsea Manning, Angehörige der US-Armee und Geheimdienstanalytikerin, waren die brutalen Verhörmethoden in den von den USA kontrollierten irakischen Gefängnissen so unerträglich, dass sie beschloss, Wikileaks Kopien von streng geheimen Videos und Dokumenten zuzuspielen. Die Dokumente, auf die damals große Medien durchaus erpicht waren, enthüllten die Einsatzregeln im Irak und in Afghanistan, die Lageranweisungen von Guantanamo, die Videos von Verhören. Was die Medien indes kaum registrierten, waren die Anfänge von alldem in Afghanistan, etwa die Errichtung vergleichbarer Lager auf dem nördlich von Kabul gelegenen Flughafen in Bagram. Die dortigen Haftbedingungen sowie die Verhör- und Foltermethoden hatten Modellcharakter für Guantanamo.
»Wir haben die Wahrheit über Zehntausende von verheimlichten Kriegsopfern und andere ungesehene Schrecken, über Programme zur Ermordung, Überstellung, Folter und Massenüberwachung herausgefunden und veröffentlicht. Wir haben nicht nur aufgedeckt, wann und wo diese Dinge geschehen sind, sondern häufig auch die Politik, die Vereinbarungen und die Strukturen dahinter«, sagte Julian Assange 2024 in einer Rede vor der parlamentarischen Versammlung des Europarates. Das umfangreiche Werk lässt sich kaum knapp rezensieren, denn kein Satz darin erscheint überflüssig. Pflichtlektüre ist es schon deshalb, weil es dem Leser das ganze Ausmaß der US-Verbrechen in Bagram, im irakischen Gefängnis Abu Ghraib sowie in Guantanamo erneut vor Augen führt. Eine Bitte an den Verlag: Für eine zweite Auflage empfiehlt sich unbedingt ein Namensregister.
Stefania Maurizi: Secret Power. Der Angriff auf Wikileaks und Julian Assange. Papyrossa, Köln 2024, 463 Seiten, 28 Euro
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