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Aus: Ausgabe vom 25.01.2025, Seite 14 / Leserbriefe

Aus Leserbriefen an die Redaktion

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Oberflächliche Lektüre

Zu jW vom 20.1.: »Die große Lüge«

Zu dem Beitrag von Helmut Donat zu meinem Buch (»Der Erste Weltkrieg – ein Verteidigungskrieg?« Duncker & Humblot, Berlin 2023, jW) sind einige kritische Anmerkungen notwendig, denn seine Interpretationen sind zum Teil recht willkürlich und auch falsch. Ich habe nicht – und schon gar nicht wie Christopher Clark – »die gesamte innerdeutsche Kritik an der kaiserlichen Kriegs- und Katastrophenpolitik« ausgeblendet und so getan, »als hätte es eine solche Opposition gar nicht gegeben«. Eine ausführliche Darstellung der innerdeutschen Opposition war schlicht und einfach nicht das Thema des Buches. Dazu hätte man ein weiteres schreiben müssen. Zentrales Thema war die detaillierte Darstellung der Kriegszieldiskussion innerhalb des deutschen Kaiserreiches und aufzuzeigen, dass der Krieg geführt wurde, weil einflussreiche Kreise des Kaiserreiches annexionistische Kriegsziele verfolgten. Dabei wird auch die Frage der Kriegsschuld ausführlich behandelt.

Es ist völlig schleierhaft, wie Donat da zu gegenteiligen Aussagen kommt. Detailliert und anhand zahlreicher Dokumente wird der Widerstand der SPD und der Sozialistischen Internationale beleuchtet. Auch wird ausführlich diskutiert, welch katastrophale Folgen die Aufgabe der Antikriegshaltung durch die SPD hatte, denn aller Wahrscheinlichkeit nach hätte der Krieg doch noch verhindert werden können. Doch davon ist in Donats Beitrag nichts zu finden. Er schreibt nur, dass sich der Kriegsverlauf »auch in der SPD niederschlug«. Mein Eindruck ist, dass Donat das Buch nur sehr oberflächlich gelesen hat. Aber der Leser kann sich ja ein Bild machen.

Der Ukraine-Krieg wird tatsächlich nicht behandelt. Dies hätte den Rahmen des Buches ebenfalls gesprengt. Aber in der Tat: Zwischen den beiden Kriegen gibt es mehrere Parallelen und Gemeinsamkeiten. Deshalb ist es auch sehr sinnvoll, sich ernsthaft mit dem Ersten Weltkrieg auseinanderzusetzen.

Bernhard Sauer, per E-Mail

Das Außen da draußen

Zu jW vom 11./12.1.: »Das notwendige Außen«

Daniel Bratanovic konstatiert die fortbestehende Aktualität von Rosa Luxemburgs falscher Zusammenbruchstheorie. Hier sei daran erinnert, dass schon Marx in seiner sachlichen und materialistischen Argumentation gegen mechanistische Zusammenbruchstheorien meinte, dass eine Gesellschaft nicht untergeht, ehe sie nicht alle Produktivkräfte entwickelt hat, deren sie fähig ist. Offensichtlich haben sich innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise seither ungeahnte Produktivkräfte entwickelt, die sich manche Kapitalismuskritiker nicht vorstellen konnten. Das hängt auch mit der kapitalistischen Akkumulation zusammen, die immer wieder ökonomische Schranken überwindet.

Die kapitalistische Akkumulation als extensiv erweiterte Reproduktion stützt sich auf die Produktion des absoluten Mehrwerts. Daraus ergibt sich auch der expansive Charakter des Kapitals. Das notwendige Außen wird dabei immer wieder in die kapitalistische Produktion hineingezogen. Aber es wird auch manchmal ein Außen neu geschaffen. Wenn ein Kapital in der eigenen Branche an Expansionsgrenzen stößt, kann es die Branche wechseln. So geschehen bei Mannesmann, wo aus einem Stahlkonzern ein Mobilfunkanbieter wurde, ehe er von einem noch größeren Kapital geschluckt wurde. Auch der heutige Reisekonzern TUI war früher ein Stahlkonzern, der sich sein notwendiges Außen faktisch selbst geschaffen hat.

Auf diese Weise ist kapitalistisches Wachstum möglich, indem das notwendige Außen immer weiter nach außen verlagert wird. Heutzutage gibt es Projekte, Rohstoffe auf dem Mond oder auf Kometen abzubauen; das notwendige Außen erlangt kosmische Dimensionen. Aber neben der extensiv erweiterten Reproduktion funktioniert innerhalb des Kapitalismus die intensiv erweiterte Reproduktion auf der Grundlage der Produktion des relativen Mehrwerts, die zur Stabilität beiträgt. Die intensiv erweiterte Reproduktion ist die adäquate Produktionsweise der kommunistischen Gesellschaft. In der DDR wurde die intensiv erweiterte Reproduktion, die eben kein notwendiges Außen braucht, politisch oft gefordert, aber praktisch nicht erreicht. Die Quelle des notwendigen Wachstums bei intensiv erweiterter Reproduktion ist die Steigerung der Produktivität der lebendigen Arbeit.

Bernd Vogel, Leipzig

»Worte, aber kein Programm«

Zu jW vom 18./19.1.: »Bündnis mit­ Widersprüchen«

»Sag mir, wo du stehst und welchen Weg du gehst« – dieser programmatische Satz aus einem in der DDR sehr bekannten Lied von Hartmut König kam mir unwillkürlich in den Kopf, als ich die Thema-Seiten las. Es geht darin um die »erste ernsthafte Krise der jungen Partei« nach ihrem »beeindruckenden Start«. Sebastian Friedrich und Ingar Solty zählen in ihrer Analyse zentrale Widersprüche auf, »die das BSW seit seiner Gründung begleiten«: den Widerspruch zwischen marktpolitischer Ausrichtung und wirtschaftlicher Vernunft, und als Hauptwiderspruch die Anti-Establishment-Haltung und die Absicht, Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Ich erinnere mich an ein erstes Kennenlernen der damals in der Öffentlichkeit noch wenig bekannten Sahra Wagenknecht bei ihrem Auftritt auf einem Pressefest der UZ. Auf meine Frage nach ihrer Stellungnahme zum Klassenstandpunkt und den Eigentumsverhältnissen antwortete sie eindeutig marxistisch. (…)

Kriegsbeteiligung, soziale Krise und Migration hängen unmittelbar zusammen und sind inhaltlich nicht zu trennen. Seit Anfang des BSW-Gründungsprozesses fehlt mir eine diesbezügliche persönliche Stellungnahme. Die muss sie als Namensgeberin ihrer Partei abgeben. Denn darauf beruhen die Widersprüche, die dem BSW zu Recht vorgeworfen werden. »Vernunft und Gerechtigkeit« sind Worte, aber kein Programm. Wenn diese neue Partei in der kapitalistischen Gegenwart Regierungsverantwortung übernehmen will, muss sie sich fragen lassen, wie sie in einer Koalition mit konservativen Parteien soziale (oder gar sozialistische?) Vorhaben durchsetzen will, ohne – wie zum Beispiel in Thüringen – eigene Ziele aufzugeben. Solange ein politisch eindeutiger Standpunkt fehlt, ist diese Partei für mich nicht wählbar.

Eva Ruppert, Bad Homburg

TUI war früher ein Stahlkonzern, der sich sein notwendiges Außen faktisch selbst geschaffen hat.

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