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Aus: Ausgabe vom 28.01.2025, Seite 5 / Inland
Schattenbericht Armut

Armut wirft ihre Schatten

Mikrozensus offenbart verbreitetes Elend. Betroffene berichten
Von Niki Uhlmann
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Eine Frau und ein Kind gehen von einer Ausgabestelle der Tafel mit gespendeten Lebensmitteln nach Hause (Leipzig, 4.10.2022)

Eine kapitalistische Volkswirtschaft braucht sie dringend, die durchorganisierte Armut in der Bevölkerung. Derzeit spricht die Tagespolitik von den Armen wieder offener als Produktionsfaktor; Leistungskürzungen und Arbeitszwang werden als notwendige Übel verkauft. Die Betroffenen kommen selten zu Wort und finden noch seltener Gehör. Darum haben Aktive der Nationalen Armutskonferenz gemeinsam mit Forschungsinstitutionen und Sozialverbänden am Montag einen »Schattenbericht« über Armut in Deutschland vorgestellt. Dieser wertet Daten des Mikrozensus 2022 anhand europäischer Vergleichsmaßstäbe aus und ergänzt die Erfahrungen armer Menschen.

2022 drohten demnach 17,7 Millionen Menschen in der BRD Armut oder soziale Ausgrenzung. Jeder siebte sei »einkommensarm« gewesen, habe also über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt. Armut trotz Arbeit ist üblich, im Volksmund ist dies gemeinhin als Hungerlohn bekannt. Die Folge: »6,9 Prozent der Bevölkerung oder 5,7 Millionen Menschen waren von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen.« Keine Arbeit ist aber entgegen der oft beschworenen »sozialen Hängematte« auch keine Lösung. Unter Erwerbslosen ist das Armutsrisiko so überdurchschnittlich hoch (46,5 Prozent), dass fast jeder zweite darben muss.

Statistik und Erfahrungen offenbaren zudem, dass Armut maßgeblich von Geschlecht, Familienstand und Herkunft abhängt. Frauen, die man in die Mutterrolle drängt, machten 80 Prozent der überdurchschnittlich armen Alleinerziehenden aus. Das zieht einen Rattenschwanz nach sich, nämlich Altersarmut, weil Renten entsprechend klein ausfallen, und Kinderarmut, die laut Bericht »Familienarmut« sei. Wie Reichtum vererbe sich umgekehrt Armut durch »familiäre Schulden«, ferner durch schlechtere Bildungschancen und geringeren sozialen Status. Die wenigen, die es trotz gelernter Ohnmacht schafften, sich »aus der Armut herauszuarbeiten«, würden oft für die Armut ihrer Familie haften. Ihr Gehalt wird abzüglich eines »geringen Freibetrags« auf das Familieneinkommen angerechnet, solange die Familie als Bedarfsgemeinschaft gilt.

Wer zudem »rassistisch markiert« ist, leidet unter höherem Armutsrisiko. Bei schwarzen Frauen (22 Prozent) und muslimischen Männern (21 Prozent) ist es bis zu »viermal so hoch« wie bei nicht rassistisch markierten Menschen (fünf Prozent). Ein Bericht des beteiligten Project Shelter, einer Initiative für ein selbstverwaltetes migrantisches Zentrum in Frankfurt (Main), schildert die Ursachen: Käme man »ohne eine unbefristete Arbeitserlaubnis«, verlange die Ausländerbehörde »gleichzeitig eine Arbeitserlaubnis und eine Meldeadresse«. Nur bekäme man ohne Arbeit keine Meldeadresse und umgekehrt ohne Meldeadresse keine Arbeit. Zudem würde stets geprüft, ob ein Deutscher dieselbe Arbeit erledigen könnte. Übrig blieben »sehr prekäre Jobs in Hotels, Restaurants oder Krankenhäusern«. Diese Abhängigkeit nutzten manche Unternehmen bewusst aus.

Abgesichert wird die aufgezeigte Klassengesellschaft durch Klassenjustiz. Zwar seien »viele soziale Rechte gesetzlich geregelt«. Durchsetzen könnten Armutsbetroffene sie aber »nur schwer«. Erstens sei Rechtsbeistand teuer, staatliche Beratung zweitens oft mit Diskriminierung verbunden. »Mehr als ein Drittel der Leistungsberechtigten« nehme »ihnen zustehende Leistungen nicht in Anspruch.«

Die Autoren fordern: »auskömmliche Finanzierung« der sozialen Daseinsvorsorge, ein inklusiveres Bildungssystem, »armutsfeste« Löhne, das Übliche. Im beigefügten Interview mit Marcel Fratzscher kommentiert der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung: »Zu viele der Sozialsysteme greifen erst dann, wenn ein Schaden entstanden ist, wenn Menschen krank geworden sind, wenn sie arbeitslos geworden sind, wenn sie soziale Probleme haben.« Statt dessen soll der Sozialstaat proaktiv ausbilden und vorsorgen. Tatsächlich passiert gerade das Gegenteil. »Der Sozialstaat steht unter Beschuss«, weiß auch der Schattenbericht.

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