Wachablösungen
Von Marco Bertram
Ein vielversprechender Trailer – ein enttäuschendes Ganzes. Oder aber: Ein wenig ansprechender Trailer – ein überraschendes Ganzes. Was dürfte besser munden? Fall zwei! Allerdings wird es in vielen Fällen nicht zum Genuss des Ganzen kommen, wenn der dazugehörige Trailer nur wenig Appetit macht. Zugegeben, der kursierende Trailer für den Dokumentarfilm »Stasi FC« sprach mich nicht wirklich an, aber man bat mich trotzdem, ein paar Zeilen zu schreiben. Ich wollte bereits müde abwinken. Stasi und der BFC? Wurde diesbezüglich nicht schon alles gesagt? Schublade auf und zu. Die immer wieder aufkochende Diskussion um den »Schandelfmeter« von Leipzig, all die korrupten Schiedsrichter, die gern mal eine Abseitsstellung übersahen, und der über allem stehende bzw. sitzende Erich Mielke mit Hut auf der Ehrentribüne des mittlerweile abgerissenen Jahn-Sportparks. Schwere und arg ermüdende Kost – und das über 35 Jahre nach dem Mauerfall!
Krimsektkorken knallen
Aber gut, ich gab der Doku dennoch eine Chance, nahm mir Zeit, stöpselte die Kopfhörer in die Ohren und hörte genau zu. Beachtete jede einzelne Sequenz. Ließ mich gedanklich zurückfallen in die 80er Jahre, in denen ich selbst noch Kind und am Ende ein Jugendlicher war. Und ja, es hatte sich gelohnt, sich voll und ganz einzulassen. Allzuviel erwartet hatte ich nicht und wurde doch eines Besseren belehrt. Zugegeben, beim ersten Anschauen irritierten mich die Sprünge zwischen Dresden und Ostberlin, doch wurde mir beim zweiten Durchlauf das Ganze klar. Ein wichtiger Aufhänger war die sportliche Wachablösung im DDR-Fußball Ende der 70er Jahre. Mit den Meistertiteln 1971, 1973, 1976, 1977, 1978 war die SG Dynamo Dresden in den 70ern DIE Fußballmacht der DDR. Nach den drei Titeln in Folge hatte Erich Mielke genug, betrat die Dresdner Spielerkabine und hielt eine denkwürdige Ansprache: »Jetzt ist Berlin an der Reihe!«
Gesagt, getan. Am Ende der Saison 1978/79 holte der BFC Dynamo – vor allem dank seiner hervorragenden Nachwuchskräfte – den ersten von insgesamt zehn Meistertiteln in Folge, und Minister Mielke konnte die Krimsektkorken knallen lassen.
Neben Stasi-Chef Mielke der rote Faden der Doku: Exspieler Gerd Weber. Gemeinsam mit Peter Kotte und Matthias Müller war er in Dresden eine feste Größe. Im Januar 1981 wurden alle drei von der Stasi verhaftet. Es wurde zuvor Kontakt zu ihnen aufgenommen, der 1. FC Köln zeigte Interesse, und eine Flucht im Zuge einer Auslandsreise wurde in Erwägung gezogen. Gut möglich, dass es eine Falle der Stasi war – Fakt ist, die Karriere von Gerd Weber war beendet, für elf Monate wanderte er ins Gefängnis, und Dynamo Dresden wurde erheblich geschwächt.
All die Zeitreisen
Mit Gerd Weber, der mit den Tränen zu kämpfen hatte, geht es im anderthalbstündigen Dokumentarfilm sogleich in die vollen. Viel Vorspiel gibt es nicht. Interviews und zahlreiche eingespielte Aufnahmen aus den 70ern und 80ern ziehen einen sofort in den Bann. Möge man meinen, in der Regel sei man übersättigt von all den Zeitreisen in Ton und Bild, so wurde bei »Stasi FC« eine passable Zusammenstellung ausgesucht, die einen 90 Minuten lang auf Trab hält.
Eine definitiv gute Auswahl wurde bei den Interviewpartnern getroffen. Neben dem Dresdner Gerd Weber kommt der einstige BFC-Spieler Falko Götz am meisten zu Wort. Gemeinsam mit seinem Mannschaftskollegen Dirk Schlegel, der ebenfalls seine Sicht der Dinge schildert, nutzte Götz am 2. November 1983 die Gunst der Stunde und setzte sich vor dem Europacup-Spiel bei Partizan Belgrad ab. Götz’ Schilderungen sind für mich der Höhepunkt dieses Filmes. Seine bedachten und sehr ehrlichen Worte gingen mir sehr nahe. Bei der Flucht in Belgrad und der anschließenden Zugfahrt von Zagreb nach München hatte ich das Gefühl, mit im Abteil zu sitzen. Immer wieder fragte ich mich: Wie hätte ich in der DDR als Erwachsener agiert? Nischen suchen? Oder doch die Flucht?
Abwägen mussten auch René Müller (Lok Leipzig) und Ralf Minge (Dresden), doch kam für beide eine Flucht nicht in Frage, zu wichtig waren die familiären Bande. Obgleich bereits oft erzählt, lassen einen die Flucht (1979) und der tödliche Unfall (1983) von Lutz Eigendorf nicht kalt. Die indirekt ausgesprochene Warnung von Mielke lässt einen erschaudern.
Ein Pluspunkt des Filmes: Zu Wort kommen auch zwei BFC-Fans (Hoolywood-Sven und Rolf Walter), ein ehemaliger Stasi-Offizier, der Historiker Alan McDougall, Bürgerrechtler Roland Jahn und Schiedsrichter Bernd Heynemann. Insgesamt lässt man den Aufstieg und den mit dem Zusammenbruch der DDR verknüpften Abstieg des BFC Dynamo recht gut Revue passieren. Auch wenn zum Ende hin die gezeigten Bilder von Mauerfall und Wende etwas ermüden, darf ich als Fazit weitergeben: Prädikat sehenswert!
»Stasi FC«, Regie: Arne Birkenstock, Daniel Gordon, Zakaria Rahmani, Deutschland 2024, 87 Min., bereits angelaufen
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (31. März 2025 um 10:09 Uhr)Zur Qualität des Films lohnt auch hier – wie schon bei der Vorstellung des Buches »Narrenschiff« - ein Blick in die bürgerlichen Medien. Zeit Online: »›Stasi FC‹: Der meistgehasste Club der DDR (…) Es gelingt Stasi FC gut, die Rücksichtslosigkeit und Willkür des DDR-Überwachungssystems zu vermitteln«; epd-film: »In seiner Dokumentation zeichnet Arne Birkenstock nach, wie die Staatssicherheit den DDR-Fußball zur Farce werden ließ und so auch das Leben vieler talentierter Kicker zerstörte (…) Bekanntlich war die sozialistische Mangelwirtschaft ein dysfunktionales Gebilde. Deshalb produzierte der ostdeutsche Staat kein einziges ›weltmarktfähiges Produkt‹. Mit Ausnahme des Sports. ›Medaillenintensive‹ Disziplinen wie Leichtathletik und Turnen wurden gepusht. Vor allem mit Doping«. BR24: »Der Film ›Stasi F.C.‹ – Wie die Stasi den Fußball manipulierte (…) Wie die Stasi mit Chef Erich Mielke den DDR-Fußball kontrolliert hat, ist erschreckend, das erzählt dieser Film eindrücklich«; nd Journalismus von links: »Bekanntlich war Erich Mielke ein überzeugter Kommunist und rücksichtsloser Tschekist, der einen der erfolgreichsten Geheimdienstapparate der Welt aufgebaut hatte. Und das sollte man auch sportlich merken (…) [Kronzeuge] Falko Götz: ›Wir haben nationale Titel gewonnen, aber international waren wir eine absolute Katastrophe. Für mich gab es nur den westdeutschen Fußball, wo man als Spieler für seine eigenen Leistungen verantwortlich war‹«. Ein bisschen aus der Reihe fällt Jörg Taszman von Deutschlandfunk Kultur: »Der Film arbeitet mit dem Gut/Böse-Schema. BFC sind natürlich die Bösen. Das ist ein ganz einfaches Schema, das der Film da aufmacht (…) Was ich dem Film vorwerfe, dass er mit bekannten DDR-Klischees spielt, dass in den Raum gestellt wird, die DDR hatte nichts zu bieten außer den Sport, und der war natürlich gedopt (…) Und dann hat der Film noch so einen unerträglichen Kommentar (…)«. »Prädikat sehenswert«, Herr Bertram?
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Leserbrief von UD Braumann aus Leipzig (1. April 2025 um 00:00 Uhr)Ich hörte letzten Mittwoch genau die erwähnte Filmkritik von Jörg Taszman auf DLF Kultur und war nun umso mehr erstaunt zu lesen, was Marco Bertram geschrieben hat. Unter https://www.deutschlandfunkkultur.de/filme-der-woche-beating-hearts-und-stasi-fc-100.html kann man Jörg Taszmans gesamte Betrachtungen nachträglich hören.
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