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Aus: Ausgabe vom 15.04.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Studentenproteste in Guatemala

Streit beim »Streik der Schmerzen«

Guatemala: Studentenproteste gegen Diätenerhöhung kämpfen mit internen Konflikten
Von Thorben Austen, Quetzaltenango
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Martialisch und bewaffnet: Die protestierenden Studenten in Guatemala

Tausende Studenten der staatlichen Universidad de San Carlos de Guatemala (USAC) haben vergangenen Freitag am »Streik der Schmerzen« (la Huelga de Dolores) teilgenommen. Bei diesen studentischen Protestumzügen werden seit 1898 am Freitag vor Ostern Korruption und soziale Probleme im Land angeprangert. Zentrales Thema waren dieses Jahr die angekündigten Diätenerhöhungen für Abgeordnete, gegen die bereits seit Wochen demonstriert wird und die schon im Jahr 2024 aufgrund breiten Protests nicht in Kraft getreten waren. Die angestrebten 60.000 Quetzales (etwa 6.865 Euro) seien nicht akzeptabel, liege doch der Mindestlohn bei nur 3.800 Quetzales (etwa 433 Euro), erklärte ein Sprecher der Studenten in Guatemala-Stadt.

In Quetzaltenango, der zweitgrößten Stadt des Landes, kritisierten die Studenten außerdem die aktuelle sozialdemokratische Regierung von Präsident Bernardo Arévalo und spotteten über dessen Gegner in der Staatsanwaltschaft und den örtlichen Bürgermeister. Umgekehrt gibt es Kritik an den Studentenprotesten. Sie seien entpolitisiert, dienten lediglich der Bereicherung der Teilnehmer, hieß es schon 2024 in der Zeitung Prensa Libre. In Großstädten sei es wiederholt zu »wahnsinniger Gewalt« gegen Passanten gekommen. Gewerbetreibende seien erpresst worden, für die Streiks zu spenden. Forderungen mehren sich, die aus Zeiten des Bürgerkrieges stammende Vermummung der Streikenden zu untersagen.

Die »Revolutionäre Studentenbewegung« hatte in diesem Jahr zu einem eigenen Marsch aufgerufen, der etwa zwei Stunden vor dem offiziellen Umzug stattfand. Dahinter stünde, so die Organisatoren gegenüber jW, ein Konflikt an der San-Carlos-Universität. Bei den Wahlen zur Universitätsleitung 2022 habe es Betrug und Ausschlüsse gegeben: »Der De-facto-Direktor Walter Mazariegos gehört zum ›Pakt der Korrupten‹ und will die Universität schrittweise privatisieren.« Darum habe man damals einige Universitätsstandorte besetzt.

Im Februar 2023 sei die Besetzung in Quetzaltenango von etwa 30 Vermummten gewaltsam geräumt worden, berichtete ein Student, der anonym bleiben will. Er vermutet, dass dahinter auch Mitglieder des örtlichen »Huelga de Dolores«-Komitees gesteckt hatten. Bei »normalem Unibetrieb« liefe ihr »Geschäft beim ›Streik der Schmerzen‹« besser.

Der erste »Streik der Schmerzen« fand am 1. April 1898 statt. Der damalige Präsident Manuel Estrada Cabrera hatte freiere Meinungsäußerung ermöglicht. Die Studenten forderten bessere Bildungsmöglichkeiten für Grundschulen. Ab 1903 herrschte Cabrera jedoch wieder autoritär, so dass die Proteste in seiner Amtszeit bis 1920 nicht stattfinden konnten. Untersagt waren sie auch in der Diktatur Jorge Ubico Castañedas von 1931 bis zur Revolution 1944. Anfang der 1980er radikalisierten sich die Studenten und riefen offen zum »bewaffneten Volkskrieg« gegen die wiederum seit dem Putsch 1954 herrschende Diktatur auf. Seitdem wird vermummt demonstriert. Schließlich wurde »Huelga de Todos los Dolores del Pueblo de Guatemala« 2010 auf Initiative des Ministeriums für Kultur und Sport zum nationalen Kulturerbe Guatemalas erklärt.

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