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Aus: Ausgabe vom 18.11.2025, Seite 4 / Inland
Antimilitarismus

Kollektive Verweigerung

Tübingen: IMI-Kongress thematisiert Aufrüstung, Sozialabbau, Repression und Widerstand
Von Matthias Rude, Tübingen
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Der diesjährige Kongress der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) stand unter dem Eindruck einer Republik im Übergang zum Krieg. Unter dem Motto »Militärrepublik? Verweigern!« trafen sich am vergangenen Wochenende rund 150 Antimilitaristen in der Universitätsstadt, um die verbliebenen Möglichkeiten zu diskutieren, sich der Aufrüstung entgegenzustellen. Denn wirtschaftlich, politisch und kulturell befindet sich das Land längst in einer Phase der Kriegsvorbereitung, wie der Kongress deutlich machte.

So wird etwa im Bereich der automobilen Wertschöpfungsketten eine sogenannte Rückwärtskonversion vorangetrieben. Die Gewerkschafterin Antje Blöcker beschrieb diese exemplarisch an Salzgitter als »VW-Region«. Das Projekt »Orte der Aufrüstung« hat inzwischen bundesweit über 50 Standorte erfasst, an denen zivile Betriebe in militärische Nutzung überführt werden.

Ein Schwerpunkt des Kongresses war der »Operationsplan Deutschland«, ein 1.400 Seiten umfassendes, als geheim eingestuftes Konzept, das tief in den zivilen Bereich hineinreicht. Nach dem bislang Bekannten soll die Bundeswehr bereits vor einem offiziellen Spannungs- oder Verteidigungsfall Zugriff auf kritische Infrastruktur erhalten – ein Paradigmenwechsel, der die Trennung zwischen militärischem und zivilem Zuständigkeitsbereich faktisch aufhebt. Kliniken und Blaulichtorganisationen werden Teil der militärischen Logistik. Der »Operationsplan«, der sich jeglicher parlamentarischer Kontrolle entzieht, zeigt sich als ein Schritt hin zur Durchmilitarisierung der gesamten Gesellschaft. Offenbar behandeln die Pläne bereits sehr spezifische Fragen: »Da gibt es tatsächlich Teile, in denen ausdifferenziert wird, was mit russischen Kriegsgefangenen gemacht wird«, so Martin Kirsch.

Immer mehr Geld fließt ins Militär, während beim Sozialen gekürzt wird. Claudia Haydt von der IMI zeigte in ihrem Vortrag, wie eng Rüstung und Sozialabbau auch auf kommunaler Ebene zusammenhängen: Während die Aufrüstung ungebremst voranschreitet, sind Städte und Gemeinden strukturell unterfinanziert, mit Investitionsrückständen von 216 Milliarden Euro. Die Bundeswehr zahlt keine Grund- oder Gewerbesteuer, profitiert aber von kommunaler Infrastruktur. Krankenhäuser, die ohnehin schon am Limit arbeiten, würden inzwischen für eine umgekehrte Triage vorbereitet. So würden die Kommunen »gezielt in massive Spannungen getrieben«.

Wie ein roter Faden zog sich der Rechts- und Repressionsdiskurs durch den Kongress. Der Berliner Jurist Benjamin Düsberg skizzierte einen beim Bundesgeneralanwalt eingereichten Strafantrag gegen deutsche Politiker und Rüstungsvertreter. Der Vorwurf: Beihilfe zum israelischen Genozid an den Palästinensern. Fairouz Qasrawi dokumentierte die »geschlossene Architektur der Repression« zivilgesellschaftlicher und staatlicher Akteure gegen Palästina-Solidarität exemplarisch anhand der Stadt München. Auch die zunehmenden Angriffe auf die Meinungsfreiheit waren Thema: Äußerungsdelikte würden inzwischen »mit einem McCarthyismus in einem Ausmaß, das man nicht mehr für möglich gehalten hätte, verfolgt«, so Düsberg.

Am Ende stand die Frage nach der Praxis: Wie verweigern? Die Antworten waren konkret. Die DFG-VK informierte über die rechtlichen Modalitäten der Kriegsdienstverweigerung. Initiativen wie »Rheinmetall entwaffnen«, »Shut Elbit Down« oder das Medienprojekt »Jugendinfo« zeigten, wie sich Widerstand organisieren lässt. Der linke Social-Media-»Influencer« Simon David Dressler berichtete von seinen Erfahrungen als antimilitaristisches »Feigenblatt« in deutschen Talkshows.

Der Kongress war analytisch, hart in der Diagnose und handlungsorientiert. Die zentralen Botschaften: Verweigerung ist keine individuelle Entscheidung, sondern muss kollektive Praxis werden. Wer sich der Militarisierung entgegenstellen will, muss sie als Klassenfrage begreifen. Im Kriegsfall wird die Bundesrepublik zur Drehscheibe und zum Durchmarschgebiet von NATO-Truppen nach Osten – und wer dann Sand im Getriebe sein will, muss sich jetzt gut vorbereiten.

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