Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Donnerstag, 19. Dezember 2024, Nr. 296
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: literatur, Beilage der jW vom 20.03.2003

Die Weltidee

Der Eulenspiegel-Verlag hat die Werke von Peter Hacks in 15 Bänden herausgebracht
Von Arnold Schölzel

* Peter Hacks: Werke in fünfzehn Bänden. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2003, ca. 5000 Seiten, gebunden: 450 Euro (Subskriptionspreis bis 31. März: 380 Euro), broschur: 360 Euro (Subskriptionspreis bis 31. März: 290 Euro), Einzelband 30 Euro bzw. 24 Euro

Jetzt, wo alles zum Schlechtesten geraten sei, schreibt Hacks in »Die Schwärze der Welt im Eingang des Tunnels«, verfaßt im September 1990, stellten sich die Fragen neu. »Manche stellen sich gar nicht mehr, etwa die nach einer ständig sich verschlechternden Zukunft. Den Nordamerikanern gehört der Persische Meerbusen, auf einen räudigeren Hund kann die Welt nicht kommen. Sehen Sie, wenn man einmal unten ist, ist man durch.«

Der Standort des vollständigen Elends, fährt der Autor fort, sei freilich für den Künstler weniger beschwerlich einzunehmen als für die übrigen Elenden: »Fortan kann er fast nichts anfangen, das nicht eine Besserung bewirkte, im Leben oder doch in der Kunst.« Zum »guten und unverhofften Schluß« teilt er daher mit: »Das von vielen erwartete und von allen gespürte Weltende hat stattgefunden – und war wieder einmal nicht das Weltende und war wieder einmal bloß das Ende der Zivilisation. Vorher sieht eben alles schlimmer aus.«

In den 15 Bänden »Hacks. Werke« findet sich kein Text, der nach dem Jahr 2000 verfaßt wurde. Mögliche Erklärung: Das Ende hält an, jedenfalls vorläufig. Hacks hat 1980 in »Saure Feste. Zu ›Pandora‹« beschrieben, wie und warum Jahrhundertwechsel Unwohlsein hervorrufen können: »Als das neunzehnte Jahrhundert begann, wurde Goethe übel.« Neben vielerlei klimatischen, sexuellen, Krankheits- und anderen Umständen waren die Ursachen für die Verstimmung, wie Hacks aus dem Tagebuch eines Goethe-Vertrauten zitiert, »politica und das Hundegebell«. Zu den »politica« zählte um 1800 die heraufziehende Herrschaft des deutschen Bürgertums, also eine trostlose Angelegenheit. Bei Hacks steht: »Der korsische Artillerist zerschoß das weimarische Treibhaus, und die Kälte des Kapitalismus zog eisig durch die zerbrochenen Scheiben. Goethes Träume über eine nähere Zukunft hinaus versickerten in der langen Nacht einer bürgerlichen Gegenwart... Das Zeitalter, mit dem sein Genie bis dahin immer irgendwie fertig geworden war, ließ sich nicht länger überlisten, und die Weltidee, sechs Jahre bevor sie in Jena zu Pferde erschien, erschien nun in Goethe in der Gestalt eines Nierensteins.« Die Zweitauflage der Einführung deutsch-bürgerlicher Herrschaft beim Anschluß der DDR war ähnlich unangenehm. Um 1800 brachte sie immerhin ein Napoleon über den Rhein. Diesmal waren es so hoffnungslose Figuren wie Gorbatschow und Bush senior samt ihren Hilfstruppen in der DDR.

In den 15 Bänden, die der Eulenspiegel Verlag in Festeinbänden und in echter Broschur herausgab, ist ein Zeitalter zusammengefaßt, inklusive Epilog-Jahrzehnt von 1990 bis 2000. Das Zeitalter ist abgeschlossen, und die Verarbeitung, die es durch Hacks erfahren hat, ist universell. Es handelt sich um ein Ganzes. Das ergibt: Ein Band Gedichte, ein Band frühe Stücke (1953 bis 1957), vier Bände Dramen (1959 bis 1986), zwei Bände späte Stücke (1991 bis 1999), ein Band Erzählungen, ein Band Kindergedichte und -dramen, ein Band Kindermärchen, ein Band Romane für Kinder sowie in drei Bänden »Die Maßgaben der Kunst« (1959 bis 2000). Die Jahreszahlen stimmen zum Teil mit den Daten wichtiger politischer Ereignisse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überein – ungefähr vom Tod Stalins bis zum Ende des Sozialismus in Ost- und Mitteleuropa. Das muß nicht weiter erklärt werden: Wer eine Epoche überschaut, hält sich an den wesentlichen Verlauf. Erst recht, wenn er meisterhaft schreibt.

Die Periode ungefähr zwischen dem 20. Parteitag der KPdSU und der Beseitigung der DDR ist demnach die der Dramen, nicht der Stücke. Diese gehören zum Übergang davor und zum Abgang danach. Zu letzterem äußert sich Hacks auch in Gedichten, häufig sehr kurzen, und in »Die Maßgaben der Kunst«. Er schlägt hier oft einen noch grimmigeren Ton an als in der Vergangenheit. Die Gnadenlosigkeit seiner politischen und ästhetischen Analysen kann ihn nicht populär machen. Mehr Realismus, also auch Kenntnis der Zukunft, kann allerdings kaum aufgeboten werden. Etwa seine Deduktion der möglichen »Unerträglichkeit des Imperialismus« aus drei Übelständen: Dem von Bebel so genannten »großen Kladderadatsch«, dem Weltkrieg (mit dem Einschub: »Das Spiel, beiläufig, welches der Imperialismus zum Jahrhundertende gegen den Sozialismus gewonnen hat, war kein Krieg. Möge das nun als ein erfreuliches oder bedenkliches Zeichen zu nehmen sein, aber einen Krieg haben wir bisher nicht verloren, nicht einen.«) und der Nichtübereinstimmung von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften. In den Worten von Hacks: »Der Imperialismus stirbt daran, daß er nichts mehr kann und alles kaputtmacht.« Der letzte Teil des Nebensatzes ist besonders ernst zu nehmen. Gemeint ist aber nicht nur die Unfähigkeit, anders als durch Vernichtung von Menschen zu existieren, sondern auch die Oberfläche, der Alltag. Nie habe es, so Hacks, eine gesellschaftliche Ordnung gegeben, der ihre Unbrauchbarkeit so offen auf die Stirn geschrieben stand: »Wovon ich rede, sind seine Eisenbahnen, die gegen die Autobahnbrücken donnern, seine Transatlantikflugzeuge, die neben ihrer Startbahn aus der Luft fallen, seine Autos, die die Fabriktore verlassen, um in die Reparaturwerkstätte gerollt zu werden. Seine Marsautomaten erreichen den Mars nicht. Seine Telegramme benötigen mehr Zeit als seine Briefe. Weltzeitungen schämen sich nicht mehr bei Druckfehlern. In seiner Wurst befindet sich kein Fleisch, in seinen Marmeladen ist keine Himbeere. Das Essen ist so schlecht, daß sich heute schon sagen läßt, der deutsche Mittelstand habe nichts zu essen.«

Krise, Krieg und Scheitern bei der Gütererzeugung – mehr läßt sich über das Gegenwärtige nicht sagen. Fraglich, ob überhaupt mehr gesagt werden muß. Auf Termine für historische Veränderungen kommt es nicht an, wohl aber darauf, daß die Fragen neu gestellt werden. Die 15 Bände geben eine Idee davon, wie die lauten müßten.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!