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Aus: gipfelgeschichten, Beilage der jW vom 11.06.2003

EU am Scheideweg

In Thessaloniki wollen die EU-Chefs über eine Unionsverfassung verhandeln
Von Wolfgang Pomrehn

Europa ist größer, sagen dänische EU-Gegner, wenn sie auf die demokratischeren Alternativen zur realexistierenden Europäischen Union verweisen. Europa wird größer, schreiben hiesige Zeitungen, wenn sie auf die Osterweiterung der Union zu sprechen kommen. Zum 1.Mai 2004 wird die EU von jetzt 15 auf 25 Mitglieder wachsen, wenn nicht bei einer der wenigen noch ausstehenden Volksabstimmungen doch noch die Bevölkerung eines Beitrittsstaates den Prozeß aufhalten sollte. Entsprechend eindringlich forderte Kommissionspräsident Romano Prodi vergangene Woche vor dem Europaausschuß des Bundestages: »Wir brauchen positive Referenden in den Beitrittsländern.« Gründe genug gegen den Beitritt gibt es für Jugendliche wie für Rentner, für Lohnabhängige wie für Bauern in den betroffenen Staaten jede Menge.

In seiner Rede vor den deutschen Parlamentariern nutzte Prodi auch die Gelegenheit, vor einem Scheitern des Verfassungsprozesses zu warnen. Von der Öffentlichkeit der EU-Staaten kaum bemerkt, berät seit Februar 2002 in Brüssel und Strasbourg ein Europäischer Konvent über ein Grundgesetz für die EU, das sie faktisch zu einem Staat, zu einer Föderation machen wird. Ein Staat allerdings, der in vielerlei Hinsicht weit hinter minimale Standards der bürgerlichen Demokratie zurückfällt. So wird die Trennung zwischen Exekutive und Legislative weitgehend aufgehoben. Vor allem aber wird sich dieser merkwürdige siamesische Zwilling aus EU-Kommission und Europäischem Rat (das ist die Versammlung der Staats- und Regierungschefs), dessen Machtvollkommenheit noch weiter ausgebaut werden soll, vor keinem Parlament, weder dem Europäischen noch den jeweiligen nationalen, effektiv zu verantworten haben.

Beide Themen, Erweiterung und Verfassung, werden ganz oben auf der Tagesordnung des nächsten EU-Gipfels stehen, der am 20. und 21. Juni in der Nähe der griechischen Großstadt Thessaloniki stattfinden wird. Einige zehntausend EU-Kritiker und -Gegner – vielleicht auch mehr – werden den Staats- und Regierungschefs sagen, was sie von deren zentralistischem, unsozialem und militaristischem Projekt halten: Nämlich nichts.

Wir wollen mit dieser Beilage einen kleinen Einblick in die vielen Gründe dafür geben.

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