Wir sagen ja zur modernen Welt
Von Martin Büsser* Julijana Ranc: Alexandra Ramm-Pfemfert. Ein Gegenleben. Edition Nautilus, Hamburg 2004, 592 Seiten, 44 Euro
Wie, Ihnen sagt der Name Alexandra Ramm-Pfemfert nichts? Kein Wunder, denn dieses Schicksal teilt Alexandra Ramm-Pfemfert mit zahlreichen Frauen, die in den Geschichtsbüchern gerade mal unter der Fußnote »Frauen berühmter Männer« Erwähnung gefunden haben. Der »berühmte Mann« heißt in diesem Fall Franz Pfemfert und war Herausgeber der dezidiert antinationalen Zeitschrift Die Aktion. Die Kulturwissenschaftlerin Julijana Ranc hat sich jedoch nicht auf die Suche nach Daten über ihn, sondern über seine Lebensgefährtin gemacht – und dies nicht ohne Grund. Viele intellektuelle Frauen des 20. Jahrhunderts werden in der männlich dominierten Kultur gerne bloß als »Muse« ihrer berühmt gewordenen Gatten gehandelt, waren aber oft – wie im Fall von Alexandra Ramm-Pfemfert – weitaus mehr, brachten die Memmen überhaupt erst dazu, sich an den Schreibtisch zu setzen, oder erklärten ihnen gar, was sie zu schreiben hatten. Ohne die geistigen Impulse von Alexandra Ramm-Pfemfert hätte es das Lebenswerk von gleich zwei Männern womöglich gar nicht gegeben: Franz Pfemferts Aktion und Trotzkis Autobiographie. »Daß es bislang dennoch keine einzige Arbeit über Alexandra Ramm-Pfemfert gibt«, stellt die Biographin ernüchtert fest, »ist indessen nicht erstaunlich.« Alexandra Ramm-Pfemfert hat selbst nämlich fast nichts Eigenes veröffentlicht. Wie so viele Frauen ist sie Akteurin im Hintergrund geblieben, allerdings mit enormer Wirkung.
Mit 18 Jahren hatte die aus jüdisch-orthodoxer Familie stammende Russin ihre Heimat verlassen und siedelte sich in der Berliner Boheme an, machte sich dank ihres Temperaments und ihres politischen Rigorismus schnell einen Namen im Kreis rund um linke Vordenker wie Rosa Luxemburg, Carl Einstein und
Erich Mühsam. Es spricht vieles dafür, daß ihr späterer Mann Franz Pfemfert erst durch sie politisiert wurde. »Zu Beginn unserer Freundschaft«, schreibt Alexandra Ramm-Pfemfert, »war ich mir nicht im klaren, wofür sich Franz mehr interessierte – für Politik oder für Lyrik. Zuerst glaubte ich, für die Lyrik.« Und so ist es zumindest teilweise ihr zu verdanken, daß Die Aktion eine der wenigen deutschen Publikationen werden sollte, die sich während des Ersten Weltkriegs offen gegen jenen Hurrapatriotismus aussprach, der auch viele Linke oder Avantgardisten wie Arnold Schönberg und den Dichter August Stramm erfaßt hatte. Obwohl Julijana Ranc zu Recht davon abrät, dem Klischee von »der Frau an seiner Seite« das von »der starken Frau hinter ihm« entgegenzusetzen, entsteht der Eindruck, daß der introvertierte Aktion-Herausgeber dank ihr zu einem politisch wesentlich schärferen Ton gefunden hat.
Täglich die Prawda
Im Jahr 1929 nahm Alexandra Ramm-Pfemfert erstmals brieflichen Kontakt mit Trotzki auf. Auch hier agierte sie als Impulsgeberin: Ihre Ermutigungen als deutsche Übersetzerin von »Mein Leben« und »Geschichte der russischen Revolution« haben möglicherweise erst für das Zustandekommen von Trotzkis Spätwerk gesorgt. Nicht nur, daß sie ihn ständig aus der Ferne motivierte, sie versorgte ihn von Berlin aus auch mit Büchern und Broschüren. Unter anderem schickte sie ihm täglich die Prawda ins türkische Exil. Alexandra Ramm-Pfemferts Engagement für Trotzki macht bereits deutlich, daß sie sich schon früh vom stramm stalinistischen Kurs abgewandt hatte. »Der Versuch, jemanden gewissermaßen von Staats wegen mundtot zu machen, zu verfolgen und zu diffamieren«, nahm sie für Trotzki ein und korrespondierte mit der Haltung der Aktion, in der Texte von Trotzki – zum Teil kritisch kommentiert – publiziert wurden. Gegenüber den Verhältnissen in Rußland äußerte sich Alexandra Ramm-Pfemfert bereits 1926 »schockiert, welch eine Angst dort herrscht«.
Hauptsache abgeklärt
Als Kommunistin, die sich nicht dem Stalin-Kurs unterwarf, erhielt Alexandra Ramm-Pfemfert Einreiseverbot nach Rußland und war zugleich eine der ersten Personen, die in Deutschland den Machtwechsel der Nazis zu spüren bekamen: Unmittelbar nach den Reichstagswahlen plünderte die SA die Wohnung der Pfemferts inklusive Bibliothek, Möbel und Hausrat. Alexandra und Franz waren zu diesem Zeitpunkt bereits geflohen.
Was sich in Julijana Rancs Biographie anschließt, ist die traurige Geschichte des Umherirrens im Exil, geprägt von der Einsamkeit des Franz Pfemfert, der deutschen Nationalismus zwar haßte, sich aber weigerte, eine Fremdsprache zu lernen. Im Pariser Exil eröffnete er ein Fotostudio – die Konversation mit der Außenwelt mußte seine Frau erledigen.
Nach ihrer Flucht 1940 aus einem französischen Internierungslager gelangten die Pfemferts über Spanien und Portugal nach New York und schließlich nach Mexiko, jenem Land, das im Gegensatz zu den USA Personen aufnahm, die als Kommunisten oder Anarchisten galten. Doch auch in den USA hätten die Pfemferts bleiben können: Der seinerzeit schon berühmte und zum amerikanischen Staatsbürger avancierte Albert Einstein, der viele deutsche Antifaschisten in die USA holte, hatte den US-Behörden seine »moralische Eideserklärung« für die Pfemferts vorgelegt.
Wie sehr Franz Pfemfert in Mexiko vereinsamte und kurz vor seinem Tod nur noch die Katzen liebte, gehört ebenso zu den traurigen Kapiteln dieses Buches wie Alexandra Ramm-Pfemferts Rückkehr nach Deutschland im Jahre 1955. Gegenüber der
Wirtschaftswunder-Gesellschaft und deren Verdrängung der Nazivergangenheit empfand sie nur Ekel: »Die Hauptsache: abgeklärt, aber modern. Man hört hier kein Wort so oft wie modern. Das Rosenthal-Porzellan, Picasso etc. sind so ›modern‹, so selbstverständlich, wie die Bibel einmal war, und wie die Bibel keinen Zweifeln bei Gläubigen unterlag, unterliegen jetzt bei den Spießern (...) Rosenthal-Porzellan, Picasso und Rock’n’Rollen keiner Kritik.«
Nichts zu rütteln
Ganz und gar nicht modern oder zeitgeistig ist es dagegen, im Jahre 2004 eine knapp 600 Seiten umfassende Biographie über eine Persönlichkeit wie Alexandra Ramm-Pfemfert zu veröffentlichen. Man mag sich darüber streiten können, ob eine solche Veröffentlichung nun anachronistisch ist oder möglicherweise ihrer Zeit um einige Jahre voraus – an der Notwendigkeit dieses Buches gibt es jedoch nichts zu rütteln. Nicht nur der biographische Teil, sondern auch der Apparat – einschließlich Briefwechsel mit Trotzki – machen es zu einem historischen Dokument dessen, was nicht besser hätte untertitelt werden können: eines »Gegenlebens«.
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