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Aus: literatur, Beilage der jW vom 09.02.2005

Genie gegen Wahnsinn

Zum Einstein-Jahr legt Jürgen Neffe eine neue Biographie des Physikers und Friedensaktivisten vor
Von Harald Neuber

Es ist später geworden als geplant. Nach der Feier zu seinem 72. Geburtstag nimmt Albert Einstein an diesem 14. März 1951 auf der Rückbank einer Ford-Limousine zwischen Frank Eydelotte, einem ehemaligen Direktor des Center for Advanced Studies, und dessen Ehefrau Platz. Dem folgenden Moment ist es geschuldet, daß Einstein bis heute als Kultfigur gilt. Als eine Kamera in das Auto gehalten wird, reagiert der Wissenschaftler gewohnt spontan: Mit weit aufgerissenen Augen und hochgezogenen Augenbrauen streckt er dem Fotografen die Zunge heraus. Nicht überliefert ist, ob die Geste der guten Stimmung nach der Feier geschuldet war. Es hätte auch eine Trotzreaktion gewesen sein können. 1951 findet sich Einstein immerhin schon mitten im Visier des Kommunistenjägers McCarthy und des FBI-Chefs J. Edgar Hoover. Teile der US-Presse forcieren diese Hatz. In diesen letzten Jahren vor seinem Tod 1955 bekommt Einstein ohne Zweifel die negativen Seiten seiner Popularität zu spüren. Gefallen hatte sie ihm ohnehin nie.

Revolution in der Wissenschaft

Jürgen Neffe, Verfasser der neuesten Einstein-Biographie, sieht den Mythos Einstein schon in einer »medialen Kettenreaktion« begründet. Immerhin liegt die Entwicklung der Allgemeinen Relativitätstheorie mit ihrer prominenten Formel e=mc2 schon vier Jahre zurück, als die London Times am 7. November 1919 über den gebürtigen Deutschen und die von ihm initiierte »Revolution in der Wissenschaft« berichtet. Wenige Monate zuvor war es britischen Forschern während einer Sonnenfinsternis in den Tropen gelungen, eine zentrale Theorie Einsteins zu verifizieren; daß große Massen durch eine Verkrümmung des Raums Licht ablenken. Es sollte aber noch zwei Monate dauern, bis auch die deutsche Presse auf Einstein aufmerksam wird. Mitte Dezember berichtet die Berliner Illustrierte Zeitung über den gebürtigen Ulmer. Einstein hat sichtlich Probleme damit, so plötzlich im Rampenlicht zu stehen. Er komme sich vor »wie ein Götzenbild«, schreibt er Max Planck 1920. In der britischen Presse wird er aufgrund seiner dortigen Einbürgerung 1901 mitunter als »Schweizer Jude«, in der deutschen Presse hingegen als »deutscher Gelehrter« bezeichnet. Es dauert aber nur wenige Jahre, bis der Physiker in seinem Geburtsland nicht mehr wohl gelitten ist.

1932 bricht Einstein zu einer Reise in die USA auf, von der er nicht mehr nach Deutschland zurückkehrt. Aus der Ferne verfolgt er das Geschehen: die Machtergreifung 1933, die beginnende Judenverfolgung. Er selber hat sich, abgesehen von einer kindlichen Phase, nie als religiös verstanden. Einsteins Bezug zum Judentum basiert eher auf seinem ausgeprägten sozialen Bewußtsein. »Bis ich nach Berlin kam und die Not vieler Juden sah«, sagt er, sei er sich des Judentums kaum bewußt gewesen. In Einsteins Geburtsjahr 1879 hatte der rechtsextreme Historiker Heinrich von Treitschke sein Traktat über »Die Judenfrage in Deutschland« veröffentlicht, um darin zu dem Schluß zu kommen: »Die Juden sind unser Unglück.« Jener Satz findet sich ab 1927 als Fußleiste auf der Titelseite des antisemitischen Hetzblattes Der Stürmer von Julius Streicher wieder. Zwar herrschte in der Familie Einsteins nach Bekunden seiner Schwester Maja ein »in religiöser Beziehung dogmafreier Geist« und kein ausgeprägt jüdisches Selbstverständnis, doch berichtet der Physiker im Rückblick von antisemitischen Angriffen schon während der Schulzeit. Später, 1901, zwanzig Jahre vor der Verleihung des Physiknobelpreises, denkt er darüber nach, eine Assistenzstelle in Mailand anzunehmen, weil das Antisemitismusproblem dort geringer sei als in Deutschland. Trotz der persönlichen Betroffenheit durch die allgegenwärtige Judenfeindlichkeit hält Einstein politisch an sachlichen Analysen fest. Als er 1923 zu seiner einzigen Reise nach Jerusalem aufbricht, bezeichnet er die betenden orthodoxen Juden vor der Klagemauer als »stumpfsinnige Stammesbrüder« und »Menschen mit Vergangenheit ohne Gegenwart«. Wohl auch deswegen wendet sich Einstein gegen die Gründung eines israelischen Staates: »Meinem Gefühl für das Wesen des Judentums widerspricht der Gedanke eines jüdischen Staates mit Grenzen, einer Armee und sekulären Machtmitteln.«

Die Axt in der Hand

Trotz seines späteren friedenspolitischen Engagements vertritt Einstein keinen bedingungslosen Pazifismus. Als in seinem US-Exil die ersten Nachrichten vom Massenmord an Juden in Deutschland bekannt werden, wendet er sich 1939 an den amtierenden Präsidenten Franklin D. Roosevelt, um ihn von den rüstungsindustriellen Möglichkeiten der nuklearen Kettenreaktion in Kenntnis zu setzen. Obwohl Einstein nie aktiv an der Entwicklung der Atombombe mitgewirkt hat, treibt ihn die gleiche Motivation an wie viele der unmittelbar Beteiligten. Die Atombombe in der Hand Nazideutschlands sei »wie die Axt in der Hand eines pathologischen Verbrechers«. Später jedoch bereut er seinen Einsatz für die US-Bombe. Als er sich im Frühjahr 1945 erneut an Roosevelt wendet, um den Einsatz der Bombe zu verhindern, ist es zu spät. Der Brief wird am 14. April 1945 ungeöffnet auf dem Schreibtisch des Präsidenten gefunden. Zwei Tage zuvor war der Demokrat gestorben. Sein Nachfolger Harry Truman setzte die Atombombe im August jenes Jahres zweimal gegen Japan ein, die Explosionen kosteten 250 000 Menschen das Leben.

Albert Einstein sieht sich für diesen Einsatz nicht verantwortlich. Aber er wird verantwortlich gemacht. Im Juli 1946 erscheint das Time-Magazine mit dem Foto eines Atompilzes auf der Titelseite. In der atomaren Wolke zeichnet sich eine Formel ab: e=mc2. Der Titel darunter lautet: »Weltzerstörer Einstein«. Zu diesem Zeitpunkt kann der Urheber dieser Formel nicht mehr rückgängig machen. Aber er kann vor den Folgen der neuen Macht warnen. Bei einer Ehrung in der New Yorker Carnegie Hall erklärt Einstein zur politischen Situation der USA im Frühjahr 1948: »Die Militarisierung der Nation bedroht uns nicht nur unmittelbar mit Krieg, sie wird auch langsam aber sicher den demokratischen Geist und die Würde des Individuums in unserem Land untergraben«.

* Jürgen Neffe: Einstein. Eine Biographie. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005, 480 Seiten, 22.90 Euro

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