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Aus: antifa/antimilitarismus, Beilage der jW vom 05.07.2006

Kein netter Land

Linkspartei-Politiker wollen einfach mal genießen, Abgeordnete von SPD und Grünen zeigen sich selbst an und VVN will es noch einmal wissen
Von Wera Richter
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Das Land ist netter denn je« war das Geleitwort des Spiegel zur Fußball-Weltmeisterschaft. Als Beweis dafür muß das ungenierte Tragen und Schwenken von schwarz-rot-goldenem Tuch herhalten. Geht es so weiter, folgt bald der Gesinnungstest für alle, die noch ohne Banner durch die Gegend laufen, und Erwerbslose, die kein Schwarz-Rot-Gold am Körper tragen, müssen mit der Kürzung ihrer Bezüge rechnen.
Stimmen oder Aktionen gegen diesen nationalen Wahn wie Julia Bonks »Tausche Antifa-Shirt gegen Deutschlandfahnen« ernten Empörung. Jetzt bloß nicht ins Abseits stellen, muß sich Peter Porsch, Vorsitzender der Frak­tion die Linke.PDS in Sachsen, gedacht haben: »Den Ball flach halten, die WM genießen, der politischen Verantwortung gerecht werden... in Schwarz-Rot-Gold paßt kein Hakenkreuz«, wies er die Aktion seiner Fraktionskollegin und Genossin Bonk zurück. Wenig später sah sich der sächsische Landesvorstand der Linkspartei.PDS ebenfalls genötigt, sich von der Antifakampagne zu distanzieren: »Auch wenn Patriotismuskritik ein Bestandteil einer pluralen Linken ist, ist die Aktion wegen des gewählten Zeitpunktes kontraproduktiv für die Vermittelbarkeit linker Politik in breiten Bevölkerungskreisen.«
Bei so viel Anti-Antifa in der sächsischen Linkspartei erfreut ausgerechnet eine Aktion von Grünen-Chefin Claudia Roth und Niels Annen, ehemaliger Juso-Vorsitzender und heute Mitglied des Bundestages. Die beiden haben sich selbst angezeigt – wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, genauer wegen des Tragens eines Buttons mit durchgestrichenem Hakenkreuz. Hintergrund der Selbstanzeigen ist die Klage gegen einen schwäbischen Versandhändler, der solche Anti-Nazi-Symbole vertreibt. Die Staatsanwaltschaft hat nach Angaben einer Sprecherin zwar verstanden, daß »mit den veränderten Hakenkreuzen Protest gegen Rechtsextremismus zum Ausdruck gebracht werden soll«. Dennoch: Die Symbole verstoßen gegen das Verbot der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Basta. Als nächstes will das Landgericht Stuttgart überlegen, ob nicht ein Hakenkreuz, das auf einer Darstellung in einen Papierkorb geworfen wird, auch ein Straftatbestand sein könnte.
Bei so viel Hartnäckigkeit der Gerichte ist das Unterfangen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN/BdA), die Forderung nach dem NPD-Verbot erneut auf die Tagesordnung zu setzen, vielleicht gewagt. Die richtige Antwort ist es trotzdem – einer Partei gegenüber, die laut VVN-BdA »nicht nur Hauptträgerin der Kontinuitätslinie zum historischen Faschismus ist, sondern die sich in den letzten Jahren zum gefährlichen Kristallisationskern des gesamten Neofaschismus entwickelt hat«. Die neue Qualität sieht die antifaschistische Dachorganisation darin, daß die NPD-Führung ein Bündnis mit den gewaltbereiten Kameradschaften geschlossen habe, das es in der Form noch nicht gegeben habe. Die Forderung, das Verbotsverfahren wieder aufzunehmen, ist aber auch die richtige Antwort einem Staat gegenüber, dessen Verfassungsschutz nicht nur links und rechts gleichsetzt, sondern in der Praxis der Rechten den Rücken stärkt. Die VVN erinnerte daran, daß das NPD-Verfahren nicht aus Sachgründen geplatzt ist, sondern wegen einer formalen Entscheidung der Richter. Ihnen waren einfach zu viele V-Männer des Verfassungsschutzes in den Vorständen der NPD. Das war im März 2003. Über drei Jahre später wird man wohl fragen dürfen, wie viele es heute sind – in diesem netten Land.

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