Vinologische Parallelwelten
Von Rainer BalcerowiakDas zu Ende gehende Jahr hatte dem Weinfreund zweifellos einiges zu bieten. Trockene deutsche Weißweine des Jahrgangs 2005 brachten vielfach die Stärken der hiesigen Anbaugebiete zur Geltung. Anders als oftmals sprittige, künstlich aufgesäuerte oder säurearme Erzeugnisse aus dem vermeintlichen »Jahrhundertjahrgang 2003« brillieren sie mit opulenter Frucht, gemäßigten Alkoholwerten und stabiler Säure. Das gilt aufgrund des langen, warmen Herbstes auch für edelsüße Spezialitäten, besonders aus der Rieslingtraube . Die teilweise zweifellos außergewöhnlichen deutschen Rotweine des extrem heißen und trockenen Jahrgangs 2003 entfalten erst jetzt so langsam ihre Qualitäten, und das gilt beileibe nicht nur für teure Spitzenweine, sondern beispielsweise auch für die preiswerten Produkte einiger badischer und württembergischer Genossenschaften. Wohl dem, der noch ein paar saftige 2003er Spätburgunder oder Lemberger im Regal hat.
Vom Gerede über »Jahrhundertjahrgänge« werden wir wohl künftig verschont bleiben. Extreme Wetterverläufe scheinen so langsam die Regel zu werden, und das nicht unbedingt zum Vorteil der in Deutschland angebauten klimaangepaßten Reben. Einiges spricht dafür, daß guter trockener Riesling in einigen Jahrzehnten nicht mehr von der Mosel, sondern aus Schweden kommen könnte und Deutschland dafür ein Cabernet-Sauvignon-Eldorado wird.
Jenseits der Sphäre des Genusses gibt es eine fast alles beherrschende Parallelwelt globalisierter Weinproduktion, deren Auswüchse immer absurder werden. Durch das Anfang des Jahres in Kraft getretene Weinhandelsabkommen zwischen den USA und der EU dürfen nunmehr auch offiziell künstlich produzierte »Weine« ohne entsprechende Kennzeichnung vertrieben werden. Most- und Weinbestandteile wie Zucker, Säure und Aromen können beliebig zusammengefügt werden, Reifung wird mit Enzymen und Schimmelpilzen simuliert, Holzchips ersetzen die Faßlagerung, Wasser darf entzogen und hinzugefügt werden, um nur einige der »neuen önologischen Verfahren« zu nennen, die teilweise inzwischen auch innerhalb der EU für die Weinproduktion zugelassen sind.
Auf dem deutschen Markt dominieren zunehmend Billigstprodukte. Der durchschnittliche Verkaufspreis für eine Flasche liegt deutlich unter zwei Euro mit weiter fallender Tendenz. Was nicht einmal auf diesem Level verkauft werden kann, wird – sofern es sich um Produkte aus der EU handelt – auf Kosten des Steuerzahlers zu Industriealkohol versprittet. 1,3 Milliarden Euro läßt sich das die EU pro Jahr kosten und fördert damit eine sinnlose Überproduktion, besonders in südeuropäischen Ländern.
Doch niemand muß schlechten Wein trinken, auch dann nicht, wenn der Geldbeutel weniger prall gefüllt ist. Wer sich etwas informiert und vor allem probiert, wird fündig werden und kann auch in der Preislage zwischen vier und sieben Euro gute gebiets- und sortentypische Weine in großer Vielfalt entdecken. Und wenn’s ein bißchen mehr sein darf oder kann, ist das keine dekadente Verschwendung, sondern Freude am Hochgenuß, was natürlich nicht heißt, daß jeder 100-Euro-Kultwein sei Geld wert wäre.
Jedenfalls lassen wir uns die Laune von den Panschern und Billigheimern nicht verderben. Wir würdigen in dieser Beilage einige Winzer, die bei ihren Produkten auf Qualität und Transparenz bauen. Wir singen – wie immer – das Lob des Elblings und der Auster und – erstmalig – der großen Schlemmerregion Burgund. Dazu noch ein paar gute Bücher und fertig ist das jW-Weinmenü. Guten Appetit.
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