Normalzustand Krieg
Von Sebastian WesselsSeitdem bekannt ist, daß an der staatlichen Repression der Proteste gegen den G-8-Gipfel Anfang Juni in erheblichem Umfang auch die Bundeswehr mitwirkte, besteht zumindest in einem Punkt seltene Einigkeit unter den Oppositionspolitikern von FDP, Grünen und der Linken im Bund: Die Regierung spielt ein falsches Spiel. Noch am 26. April dieses Jahres hatte sie auf eine Anfrage der Linksfraktion hin behauptet, der Umfang des Bundeswehreinsatzes zum Gipfel in Heiligendamm sei noch nicht genau abzusehen, aber polizeiliche Aufgaben werde sie nicht übernehmen. Inzwischen ist jedoch bekannt, daß etwa die Einsätze der Bundeswehr-Tornados bereits im Mai 2006 beschlossen wurden und das Land Mecklenburg-Vorpommern schon im März dieses Jahres die »Fennek«-Spähpanzer anforderte und bewilligt bekam. Offenbar war man im Regierungslager die Diskussionen leid, die immer wieder aufkamen, wenn Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sein Herzensanliegen vorantrieb, Bundeswehreinsätze im Inland zum normalen Bestandteil deutscher Innenpolitik zu machen – denn nun wurden Fakten geschaffen. So kommentierte der FDP-Innenexperte Max Stadler, Schäuble habe die G-8-Proteste »genutzt, um die Bevölkerung weiter daran zu gewöhnen, daß man immer mehr mit dem Militär im Inneren arbeitet«. Die Bundesregierung habe »das Parlament belogen«, klagte die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast gegenüber der Frankfurter Rundschau, und am 27.Juni erklärte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, die Regierung habe das Parlament »vorsätzlich falsch bzw. irreführend informiert«. Am selben Tag beantragte die Linksfraktion beim Bundestagspräsidenten, der Bundesregierung eine Rüge auszusprechen.
Der Fall bildet beispielhaft Trends ab, welche die deutsche Sicherheits-, Innen- und Außenpolitik heute weitgehend beherrschen: eine rasante Militarisierung bei gleichzeitiger Mißachtung gesetzlicher Regeln und Umgehung demokratischer Verfahren. Trotz der Tatsache, daß der US-Angriff auf den Irak 2003 völkerrechtswidrig war, wie das Bundesverwaltungsgericht inzwischen bestätigt hat; trotz der mit rund neun Millionen Menschen größten Friedensdemonstration der Weltgeschichte vor Kriegsbeginn und trotz der Ablehnung dieses Krieges durch rund 80 Prozent der Deutschen leistete ihm die Bundeswehr logistische und der Bundesnachrichtendienst geheimdienstliche Unterstützung – während der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) durch vollmundig bekundete Kriegsgegnerschaft seine Wiederwahl rettete. Obwohl die deutsche Bevölkerung Auslandseinsätzen der Bundeswehr immer wieder ablehnend gegenübersteht, soll sich die gegenwärtige Zahl von 7000 deutschen Soldaten im Ausland bis zum Jahr 2010 auf 15000 verdoppeln. Während gut 60 Prozent der Deutschen für einen Truppenabzug aus Afghanistan sind – Stand Juni 2007 –, wird in Regierungskreisen im Gegenteil die Ausdehnung des Einsatzes betrieben. Am Wochenende sprach sich Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) dafür aus, den Einsatz der Bundeswehr-Tornados auf unbestimmte Zeit zu verlängern; SPD-Fraktionschef Peter Struck stellte die Entsendung weiterer Soldaten in Aussicht.
Darauf hinzuweisen, daß die Bundeswehr dem Grundgesetz zufolge nur zur Landesverteidigung eingesetzt werden darf, wirkt angesichts der politischen Fakten geradezu naiv. Die Bundesrepublik beteiligt sich aktiv an der Militarisierung der EU sowie der »Umwidmung« der NATO von einem vermeintlichen Verteidigungs- zu einem Interventionsbündnis. Die »Battle Groups« der EU sowie die schnelle Eingreiftruppe »NATO Response Force«, an denen die Bundeswehr selbstverständlich beteiligt ist, sind als hochmobile Interventionsstreitkräfte konzipiert. Derweil werden immer unverhohlener Wirtschaftsinteressen als Argumente für Auslandseinsätze ins Feld geführt – das »Weißbuch der Bundeswehr«, im Oktober 2006 per Kabinettsbeschluß verkündet, sieht vor, daß die Bundeswehr deutsche »Interessen« künftig auch »in geographisch weit entfernten Regionen« wahrnimmt. Hierzu gehören etwa ein »ungehinderter Warenaustausch« auf den Weltmärkten sowie eine »gesicherte Rohstoffzufuhr und sichere Transportwege«.
Seit der erfolgreichen Vereinigung von PDS und WASG diskutieren Sozialdemokraten und Linke wieder vermehrt die Option einer gemeinsamen Koalition im Bund. Wenn es aus den Reihen der dort etablierten Parteien heißt, die Linke sei »nicht regierungsfähig«, da sie sich »der Realität« verweigere, ist allen Beteiligten klar, daß damit an vorderster Stelle die Realität kapitalistischer Kriege gemeint ist. Jede Regierungsbeteiligung der Linken im Bund wäre derzeit auch eine Kriegsbeteiligung. Der Preis für das Schulterklopfen aus dem bürgerlichen Lager wäre eine Entfremdung der Linken von ihrer Basis sowie von der Friedens- und anderen sozialen Bewegungen, in denen sie heute viel – wenn auch vorsichtige – Sympathie genießt. Wenn im Vorfeld kommender Bundestagswahlen um diese Richtungsentscheidung gekämpft wird, sind die Kriegsgegner innerhalb der Partei auf Unterstützung durch außerparlamentarische Kräfte angewiesen, damit das Nein der Linken zum Krieg länger hält als das der Grünen.
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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