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Aus: erster mai, Beilage der jW vom 30.04.2009

Jetzt bloß nicht stillhalten

Ohne drastische Angriffe auf die arbeitende Klasse wird das Kapital den Motor nicht mehr zum Laufen bringen. Ein Plädoyer für Widerstand, Rebellion und Solidarität
Von Jörn Boewe
Marseille, 29. Januar 2009: Stahlarbeiter des ArcelorMittal-Konz
Marseille, 29. Januar 2009: Stahlarbeiter des ArcelorMittal-Konzerns beim ersten Generalstreiks in diesem Jahr in Frankreich

Ich kann mir vorstellen, daß in zwei bis drei Monaten die Wut der Menschen deutlich wachsen könnte«, ließ sich SPD-Bundespräsidentschaftskandidatin Gesine Schwan Ende April vom Münchner Merkur zitieren und wurde postwendend abgewatscht. »Die Bundeskanzlerin teilt diese Sorge nicht«, ließ Angela Merkel durch ihren Sprecher ausrichten. Ob dies, falls es stimmte, eine gute Nachricht wär, ist schwer zu sagen.

Die Rezession dauert bis Mitte 2009, prognostizierten die wirtschaftswissenschaftlichen Koryphäen der EU-Kommission noch bei Ausbruch der akuten Krise im Spätsommer/Herbst vergangenen Jahres. Das wäre dann also in vier bis acht Wochen. Was die Professoren nicht erwähnten: Nach der Rezession kommt die Depression, und die kann lange dauern.

Die »sozialen Unruhen«, vor denen die Politologin Schwan »warnen« wollte, sind mehr als wahrscheinlich, wenn auch vielleicht nicht im von ihr avisierten Zeitraum. Es kann gut sein, daß es der Regierung gelingt, schlimmere Krisenfolgen durch Kurzarbeitergeld u.ä. bis nach der Bundestagswahl zu verschieben. Man kann darüber streiten, ob der Motor der kapitalistischen Akkumulation noch stottert oder schon abgesoffen ist – jedenfalls ist nicht absehbar, daß er auf wundersame Weise plötzlich wieder in Gang kommt. Wenn sich in den nächsten Monaten nicht neue, nachfragekräftige Absatzmärkte auftun (aber wo?) oder eine bahnbrechende Zaubertechnologie vom Himmel fällt, wird dem Kapital nichts anderes übrigbleiben, als zum nächstliegenden Mittel zu greifen, um die Profitrate zu reanimieren: eine drastische Absenkung der Reallöhne, einschließlich sämtlicher »Lohnnebenkosten«, Steuersenkungen für das obere Drittel der Gesellschaft, Zurückfahren der Staatsausgaben für »Sozialklimbim«, kurzum: eine deutliche Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen zugunsten des Besitzbürgertums.

Ob und wie dies gelingt, ist offen. Politische Führung und Unternehmerfunktionäre können bis dato auf die jahrzehntelang eingeübte »Sozialpartnerschaft« der Gewerkschaften bauen. Daß sie sich darauf nicht ausschließlich verlassen wollen, hat die rabiate Linie gegenüber den Anti-NATO-Protesten Anfang April gezeigt – auch auf Aufstandsbekämfung ist man vorbereitet.

Die Organisationen der Lohnabhängigen indes hoffen auf die unwahrscheinlichste aller denkbaren Optionen – eine Spontanheilung des Systems, dessen Kreislauf bis dahin mit Infusionen wie der »Abwrackpräme« stabilisiert werden soll. Letztere übrigens eine Erfindung der IG Metall, die SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier verkünden durfte. Auch ver.di, die zweite Großgewerkschaft der Republik, übt derzeit den Schulterschluß mit dem ehemaligen Kanzleramtschef jener Regierung, der wir Hartz-Gesetze und »Agenda 2010« zu verdanken haben.

Niemand kann vorhersagen, wie sich die Krise konkret entwickeln wird. Vielleicht ist, wie die »Wirtschaftsweisen« der Bundesregierung in ihrem Jahresgutachten glauben machen wollen, nächstes Jahr alles wieder gut und vergessen. Wenn nicht, wird eine Lösung kaum möglich sein ohne tiefgreifende Veränderungen, die zu Lasten dieser oder jener Klasse gehen müssen. Die Oberen oder die Unteren, Kapital oder Arbeit, Oligarchie oder Plebs müssen dem Gang der Geschichte ihren Stempel aufdrücken, ihre Logik aufzwingen und ihre Forderungen vollstrecken. Das Wichtigste für politische Linke, Gewerkschaften und organisierte Erwerbslose ist deshalb im Moment, überhaupt zu kämpfen. Jeder Versuch, die Krisenfolgen auf die breite Mehrheit abzuwälzen, muß nach Kräften zurückgeschlagen werden, jede Massenentlassung und Betriebsschließung durch Streik verhindert, jede Demontage von Produktionsanlagen durch Blockaden und Fabrikbesetzung unterbunden, jede lokale Auseinandersetzung solidarisch mit anderen verküpft werden.

Natürlich ist dies kein »Konzept« zur Überwindung der Krise, aber ohne ein elementares »Ya, basta«, einen Schuß vor den Bug der herrschenden Klasse, wird kein noch so intelligentes Konzept mehr irgend etwas nützen können. Wie der Stuttgarter ver.di-Kollege Bernd Riexinger sagt: Man muß schrittweise den Generalstreik vorbereiten. Fürs erste reicht das aus.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

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