Jetzt bloß nicht stillhalten
Von Jörn BoeweIch kann mir vorstellen, daß in zwei bis drei Monaten die Wut
der Menschen deutlich wachsen könnte«, ließ sich
SPD-Bundespräsidentschaftskandidatin Gesine Schwan Ende April
vom Münchner Merkur zitieren und wurde postwendend
abgewatscht. »Die Bundeskanzlerin teilt diese Sorge
nicht«, ließ Angela Merkel durch ihren Sprecher
ausrichten. Ob dies, falls es stimmte, eine gute Nachricht
wär, ist schwer zu sagen.
Die Rezession dauert bis Mitte 2009, prognostizierten die
wirtschaftswissenschaftlichen Koryphäen der EU-Kommission noch
bei Ausbruch der akuten Krise im Spätsommer/Herbst vergangenen
Jahres. Das wäre dann also in vier bis acht Wochen. Was die
Professoren nicht erwähnten: Nach der Rezession kommt die
Depression, und die kann lange dauern.
Die »sozialen Unruhen«, vor denen die Politologin
Schwan »warnen« wollte, sind mehr als wahrscheinlich,
wenn auch vielleicht nicht im von ihr avisierten Zeitraum. Es kann
gut sein, daß es der Regierung gelingt, schlimmere
Krisenfolgen durch Kurzarbeitergeld u.ä. bis nach der
Bundestagswahl zu verschieben. Man kann darüber streiten, ob
der Motor der kapitalistischen Akkumulation noch stottert oder
schon abgesoffen ist – jedenfalls ist nicht absehbar,
daß er auf wundersame Weise plötzlich wieder in Gang
kommt. Wenn sich in den nächsten Monaten nicht neue,
nachfragekräftige Absatzmärkte auftun (aber wo?) oder
eine bahnbrechende Zaubertechnologie vom Himmel fällt, wird
dem Kapital nichts anderes übrigbleiben, als zum
nächstliegenden Mittel zu greifen, um die Profitrate zu
reanimieren: eine drastische Absenkung der Reallöhne,
einschließlich sämtlicher »Lohnnebenkosten«,
Steuersenkungen für das obere Drittel der Gesellschaft,
Zurückfahren der Staatsausgaben für
»Sozialklimbim«, kurzum: eine deutliche Verschiebung
des Kräfteverhältnisses zwischen den Klassen zugunsten
des Besitzbürgertums.
Ob und wie dies gelingt, ist offen. Politische Führung und
Unternehmerfunktionäre können bis dato auf die
jahrzehntelang eingeübte »Sozialpartnerschaft« der
Gewerkschaften bauen. Daß sie sich darauf nicht
ausschließlich verlassen wollen, hat die rabiate Linie
gegenüber den Anti-NATO-Protesten Anfang April gezeigt –
auch auf Aufstandsbekämfung ist man vorbereitet.
Die Organisationen der Lohnabhängigen indes hoffen auf die
unwahrscheinlichste aller denkbaren Optionen – eine
Spontanheilung des Systems, dessen Kreislauf bis dahin mit
Infusionen wie der »Abwrackpräme« stabilisiert
werden soll. Letztere übrigens eine Erfindung der IG Metall,
die SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier verkünden
durfte. Auch ver.di, die zweite Großgewerkschaft der
Republik, übt derzeit den Schulterschluß mit dem
ehemaligen Kanzleramtschef jener Regierung, der wir Hartz-Gesetze
und »Agenda 2010« zu verdanken haben.
Niemand kann vorhersagen, wie sich die Krise konkret entwickeln
wird. Vielleicht ist, wie die »Wirtschaftsweisen« der
Bundesregierung in ihrem Jahresgutachten glauben machen wollen,
nächstes Jahr alles wieder gut und vergessen. Wenn nicht, wird
eine Lösung kaum möglich sein ohne tiefgreifende
Veränderungen, die zu Lasten dieser oder jener Klasse gehen
müssen. Die Oberen oder die Unteren, Kapital oder Arbeit,
Oligarchie oder Plebs müssen dem Gang der Geschichte ihren
Stempel aufdrücken, ihre Logik aufzwingen und ihre Forderungen
vollstrecken. Das Wichtigste für politische Linke,
Gewerkschaften und organisierte Erwerbslose ist deshalb im Moment,
überhaupt zu kämpfen. Jeder Versuch, die Krisenfolgen auf
die breite Mehrheit abzuwälzen, muß nach Kräften
zurückgeschlagen werden, jede Massenentlassung und
Betriebsschließung durch Streik verhindert, jede Demontage
von Produktionsanlagen durch Blockaden und Fabrikbesetzung
unterbunden, jede lokale Auseinandersetzung solidarisch mit anderen
verküpft werden.
Natürlich ist dies kein »Konzept« zur
Überwindung der Krise, aber ohne ein elementares »Ya,
basta«, einen Schuß vor den Bug der herrschenden
Klasse, wird kein noch so intelligentes Konzept mehr irgend etwas
nützen können. Wie der Stuttgarter ver.di-Kollege Bernd
Riexinger sagt: Man muß schrittweise den Generalstreik
vorbereiten. Fürs erste reicht das aus.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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