Der Partisan
Von Klaus BittermannDie erste große Rezension, die ich in meiner Geschichte als
Verleger einheimste, hat Jörg Fauser geschrieben. Damit holte
er mich aus der Anonymität, in der man sich nun mal befindet,
wenn man gerade erst angefangen hat. Die Besprechung erschien als
Titelgeschichte im TIP und zog sich großzügig
illustriert über mehrere Seiten. Es ging um ein schmales Werk,
dessen Autor unbekannt ist und das ursprünglich als
mehrteilige Folge Mitte März 1937 in der anarchistischen
Tageszeitung Nosotros abgedruckt war. Der »Einspruch gegen
die Kapitulationen von 1937«, wie das Büchlein
hieß, stammte von einem Insassen einer Strafkolonie, der elf
Jahre saß, weil er einen »Dorfbonzen«
getötet hatte, und zu den »Unkontrollierten der
Eisenkolonne« gestoßen war, einer Miliz der schweren
Jungs, die von den Anarchisten nach dem Putsch Francos aus den
Gefängnissen befreit worden waren. Die
»Eisenkolonne« war die radikalste und
kämpferischste von allen. Dieser lange verschollene Aufruf
gilt als eines der wenigen authentischen Dokumente aus dem
spanischen Bürgerkrieg, und ist einer der aufrichtigsten und
schönsten Texte, die aus dieser Zeit der Wirren geblieben
ist.
Jörg Fauser war der einzige professionelle Journalist, der die
Bedeutung dieser kleinen Schrift erkannte, und der einzige, der
eine Ader für diese Art von Literatur hatte, die von einer
großen verlorenen Sache zeugte, umweht von einem Hauch
Melancholie und geprägt von der Enttäuschung über
die verratene Revolution. Zwar gab es Enzensbergers »Der
kurze Sommer der Anarchie« und George Orwells »Mein
Katalonien«, die in der Aufklärung über den
spanischen Anarchismus und Bürgerkrieg eine große Rolle
spielten, aber hier gab es eine Stimme von ganz unten, die das
kurze und letzte Aufflackern dessen zum Ausdruck brachte, was
Walter Benjamin einmal emphatisch als »Freiheit«
bezeichnet hatte. Davon war Fauser fasziniert, und das unterschied
ihn von seinen Kollegen, die mit diesem Büchlein nicht viel
anzufangen wußten. Fauser ließ sich anstecken von
diesem »fanatisch Reinen«, der nichts akzeptieren
wollte, »was gegen unsere anarchistischen Ideale geht,
Ideale, die Wirklichkeit werden müssen«, denn die Sache,
um die es dem Underdog der Eisenkolonne ging, war etwas, womit
Fauser sich identifizieren konnte, denn in seinen Augen galt es,
auf der Seite der historischen Verlierer zu stehen, und nicht auf
der Seite der strahlenden Gewinner. Fauser schreckte deshalb auch
nicht davor zurück, den Lesern des Ausgehmagazins TIP 1981
eine gehörige Portion Pathos aufs
Frühstücksbrötchen zu schmieren: »Der
›Unkontrollierte‹ der Eisenkolonne aber liegt in den
dunkelsten Verliesen unserer kollektiven politischen Seele, und
manchmal, nachts, vor dem ersten Morgenrot, sollten wir uns an
seine Knochen erinnern, an die Macht, an die er verraten wurde, und
an die Fahnen, unter denen er vermodert ist.«
Dieser Aufsatz ist sicher nicht die bedeutendste journalistische
Arbeit Fausers, und sie ist nicht einmal besonders typisch für
ihn, aber in diesem Text gewinnt sein Anspruch, den er an die
Literatur hatte, vielleicht die schärfste Kontur: »Wenn
Literatur nicht bei denen bleibt, die unten sind, kann sie gleich
als Party-Service anheuern.« Gegen die Literatur der
Großschriftsteller und Großlangweiler jedenfalls
empfand er eine sympathische Abneigung, und er nutzte jede
Gelegenheit, sie kundzutun. Literatur mußte mehr zu bieten
haben, und was das ist, das breitet nun ein 1600 Seiten dicker
Ziegelstein aus, der das gesamte journalistische Werk chronologisch
versammelt – der letzte Band der im Alexander-Verlag
erschienenen verdienstvollen Fauser-Edition.
Nicht immer lohnt sich die Lektüre, und an manchen Artikeln
nagt der Zahn der Zeit, aber bei wenigen, die im Tagesgeschäft
arbeiten, würde wohl so eine Dichte der die Zeitläufte
überdauernden Texte entstehen. Vielmehr überrascht, wie
erfrischend Fauser selbst noch in seinen etwas weniger gelungenen
Arbeiten klingt.
Jörg Fauser war ein ungemein vielseitiger Autor, er schrieb
Gedichte, Hörspiele, Polemiken, Kolumnen, Erzählungen,
Reportagen, Romane, textete Songs für Achim Reichel,
experimentierte mit der Cut-Up-Methode und gab zusammen mit
Jürgen Ploog und Carl Weissner Gasolin 23 heraus, die
»schlitzohrigste, originellste und sinnlichste«
Literaturzeitschrift in der BRD, am besten aber, sieht man von
seinem grandiosen autobiographischen Roman »Rohstoff«
ab, war er als Journalist. In der essayistischen Form lag seine
Stärke, dort fand er zu seinem Selbstverständnis:
»Ich bin kein netter Mensch, sondern Schriftsteller, einer
der Dunkelmänner also, die beim ältesten
Verfassungsschutz der Welt angestellt sind, beim Verfassungsschutz
für Sprache und für Zweifel.«
Er war eine Ausnahme im Literaturbetrieb, zu dem er Distanz hielt
und der Distanz zu ihm hielt. Der ehemalige Junkie und große
Trinker hatte zu viel Elend gesehen und erlebt, als daß er
sich mit harmloser Softprosa hätte abgeben können, und
als er 1984 in Klagenfurt zum Wettlesen antrat, war es wie ein von
ihm inszeniertes großes Mißverständnis, denn
allein schon das Hawaiihemd, das er trug, dürfte für
Irritationen gesorgt haben. Nein, bis auf wenige Ausnahmen konnte
er mit der zeitgenössischen deutschen Literatur nichts
anfangen, und daran hätte sich vermutlich bis heute nicht viel
geändert, wäre er am Leben geblieben. Vermutlich
wäre er auch nicht über den Status eines »Helden
der Subkultur«, wie ihn Peter Henning in der Zeit genannt
hat, hinausgekommen, auch wenn demnächst bei Diogenes (nach
den Ausgaben bei Zweitausendeins und im Alexander Verlag) die
dritte Gesamtausgabe seiner Schriften erscheinen wird.
Die literarischen Fixsterne im Universum Jörg Fausers zogen
ihre Bahnen in der angloamerikanischen Kultur. Befreundet war
Fauser mit Charles Bukowski, mit dem er u.a. ein ellenlanges
Playboy-Interview führte und an dem er die »ungeschminkt
realistische Literatur mit hohem Unterhaltungsniveau«
schätzte. Dashiell Hammett feierte er, weil der mit seinen
Krimis »das bis dato von den angelsächsischen
›Damen beiderlei Geschlechts‹ (Raymond Chandler)
dominierte (...) Genre dorthin geführt hat, wo es
hingehört, in das ›Dickicht der
Städte‹«. Fauser schrieb Hymnen u.a. auf Raymond
Chandler, Eric Ambler, Chester Himes, John le Carré, Len
Deighton, Graham Greene, Ross Thomas, Jack Kerouac, James Dean,
Hunter S. Thompson und George Orwell.
Die wichtigste Funktion eines Schriftstellers, hatte Orwell gesagt,
ist die Geschichtsschreibung, d.h. wer Geschichte beschreiben will,
sollte an ihr teilnehmen, nicht jedoch als Mitglied einer Partei,
sondern, wie Orwell es formulierte, als »Partisan am Rande
der regulären Armee«. Und als Partisan erinnerte Fauser
immer wieder an die »Ausgeflippten«, die »von den
Gleisen des Fortschritts« abgekratzt wurden, an die
»Bewohner der Randzonen« und der »Müllhalden
der Bewußtseinsindustrie«, denn wem sonst als den
Verzweifelten in der Abenddämmerung lohnte es sich, ein
literarisches Denkmal zu setzen?
Die Beat Generation in Amerika hatte eine Revolutionierung der
amerikanischen Literatur in Gang gesetzt, sie hatte mit dem
Lebensgefühl, das Kerouac, Burroughs, Ginsberg u.a. in ihren
Büchern zum Ausdruck brachten, die Revolte der Jugendlichen in
den Sechzigern mit vorbereitet, während in Deutschland noch
der tiefe Schlaf der Provinzialität geschlafen wurde, und
überall die stocksteife Ordnung der literarischen
Postnaziära herrschte, und da hatte Fauser keinen leichten
Stand. Daß es da auf der anderen Seite des Atlantiks noch ein
paar Leute gab, die neue Maßstäbe setzten und zeigten,
daß es auch anders ging, war für Fauser gerade deshalb
wichtig, weil die Beat-Autoren für ihre Literatur mit ihrem
Leben einstanden, und als Neal Cassady im Februar 1968 irgendwo in
Mexiko tot an einem Eisenbahngleis gefunden wurde, da war klar,
daß der Strudel aus Alkohol, Wahnsinn, Verzweiflung und
Lebensgier, den Fauser als das Milieu großer Literatur ansah,
manchmal eben die Leute mit sich reißt. Wie ihn selbst auch,
als er an seinem 43. Geburtstag auf der A 94 bei München vor
einen Laster lief und dadurch zur Legende wurde. Und über die
läßt sich kein schöneres Epitaph finden als das,
das Fauser über Philip Marlowe geschrieben hat: »Ein
Mann, lädiert und skeptisch und melancholisch, mit vielen
Wassern gewaschen, aber immer noch ehrlich, ein Mann auf der Suche
nach der verborgenen Wahrheit, macht sich auf den
Weg...«
Jörg Fauser: Der Strand der Städte. Gesammelte journalistische Arbeiten 1959–1987. Alexander Verlag Berlin, Band 8 der Fauser-Edition, Berlin 2009. Mit einem Vorwort von Matthias Penzel und einem Gespräch mit Werner Mathes. 1600 Seiten, 49,90 Euro
Die Bilder dieser Beilage zeigen Jörg Fauser und stammen aus dem Archiv des Alexander Verlags, Berlin, der sie jW freundlicherweise zur Verfügung stellte.
literatur erscheint als Beilage der Tageszeitung junge Welt im Verlag 8. Mai GmbH, Torstraße 6, 10119 Berlin. Redaktion: Conny Lösch (V. i. S. d. P.); Anzeigen: Silke Schubert; Gestaltung: Michael Sommer. Die nächste Beilage literatur erscheint am 14.Oktober.
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