Los Voluntarios
Von Gerd SchumannTrotz Honduras’ Putschisten und deren Schlag gegen den in
ALBA-Gestalt institutionalisierten Antiimperialismus: Der
historische Hinterhof der USA existiert nicht mehr. Die Vierte
Flotte mag vor den weiten Küsten des Subkontinents kreuzen.
Würde sie landen, bekäme sie es mit den Völkern zu
tun. Der berühmte Satz Fidel Castros, wonach »diese
Revolution nicht von anderen zerstört werden« kann,
»sondern nur durch unsere Schwächen und
Ungleichheiten«, gilt heute nicht mehr nur für Kuba
– trotz der niemals schlafenden Konterrevolution und der
niemals zu unterschätzenden nationalen Bourgeoisien, die die
Tendenz zur lateinamerikanischen Integration stoppen wollen.
Ein schwerer Fehler, den die nicaraguanische Revolution –
bereits mit dem Rücken zur Wand – beging, war es, gegen
die US-gestützten Contra-Banden Mitte der achtziger Jahre auch
Wehrpflichtige in den Dschungel zu schicken. Das Prinzip der
Freiwilligkeit, das die Revolution zur Sache von Kopf und Herz
macht, hätte die Überlegenheit der neuen, sandinistischen
Gesellschaft im Kampf gegen den alten, militaristischen
Söldnergeist der Gringos manifest werden lassen. »Meine
Generation wurde zum Kriegführen gezwungen« – so
der Sohn von Carlos Fonseca, des ersten kommunistischen
Sandinisten. 1990 wählte das kriegsmüde Volk Nicaraguas
die Befreiungsbewegung ab.
1200 Männer und Frauen hatte Fidel Castro streng konspirativ
1952/53 im ersten Jahr der Batista-Diktatur um sich gesammelt,
Voluntarios (Freiwillige), bereit zu allem. 150 wählte er aus
für den wagemutigen, ja, abenteuerlich anmutenden Angriff auf
die Moncada-Kaserne von Santiago de Cuba, Trutzburg der Diktatur im
Osten der Insel. Die Freiwilligen stürmten im Morgengrauen des
26. Juli 1953 gegen die Kasernenmauern – und scheiterten.
Aber sie hätten siegen können. Wie die nach ihnen
benannte Bewegung des 26. Juli, die unter Führung Fidels und
seiner Comandantes Camilo Cienfuegos, Raúl Castro, Juan
Almeida und Ernesto Guevara am 1. Januar 1959 die Diktatur
stürzte – fünf Jahre, fünf Monate und
fünf Tage nach dem Angriff auf die Kaserne.
Kubas Revolution handelt von Freiwilligkeit. Steven Soderberghs
Film »Revolucion« erzählt davon, Ches kubanisches
Tagebuch auch. Und zum Moncada-Sturm gehört die Episode,
daß eine Gruppe Studenten aussteigen wollte, als es ernst
wurde – und aussteigen durfte. Historische Fotos von 1961
zeigen Schlangen von Zivilisten, die sich auf dem Malecon in
Havanna Waffen abholen, um damit die Invasoren aus Miami in der
Schweinebucht zu schlagen. Wir sehen Männer und Frauen, die
die bewaffneten CIA-Banditen in den zentralkubanischen Bergen bis
1965 vertreiben, Internationalisten aus Kuba in Angola, Che Guevara
und seine Leute im Kongo, dann 1967 den toten Revolutionär
aufgebahrt in Bolivien, ausgestellt mit nacktem Oberkörper.
Und wir hören von Ärzten und Lehrern, von Kubanern als
Helfer in aller Welt, heute. Sie wissen, was sie riskieren, und tun
es trotzdem. Weil ihnen bewußt ist, daß es notwendig
ist, und nicht, weil sie dazu gezwungen werden.
Die moralische Integrität der Revolution sorgte dafür,
daß die schwerste Wirtschaftskrise, die der socialismo
tropical durchmachen mußte, bewältigt wurde – um
die 1990er-Wende herum nach dem Ende des europäischen
Sozialismus, der über viel zuwenige Freiwillige verfügte
und über zuviele Bürokraten und Kleinbürger. Diese
besiegelten den Untergang der bipolaren Welt. Die Karibikinsel
überstand sogar die folgende Zeit des Unilateralismus, als der
US-Imperialismus seine ökonomisch führende Rolle
kriegerisch zu festigen suchte.
Das war einmal, und doch dringt die von der Wallstreet
ausgelöste Finanzkrise in jeden Winkel der Welt, und die
besonders betroffenen Länder des einstigen Trikont versuchen,
sich noch enger dagegen zusammenzuschließen. Kuba, über
Jahrzehnte roter Leuchtturm der Hoffnung für Lateinamerika,
öffnete den Weg zur Integration der Underdogs: Im Kampf gegen
die US-Herrschaft seit einem halben Jahrhundert, gegen das globale
Diktat Washingtons nach 1990, und heute, unter dem Vorzeichen der
Krise. Die Chancen stehen gut, der Süden verbündet sich,
ALBA existiert.
Doch bleibt die Ökonomie abhängig vom reichen Norden, die
Weltmarktpreise für Zucker und Nickel fielen in den Keller.
Die Gefahr, daß sich die kubanische Gesellschaft selbst
zerstört, begleitet das Land auch im einundfünfzigsten
Jahr der Revolution.
Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen den Staaten des
kapitalistischen Imperiums, das bisher Billionen Dollars gedruckt
hat, um sein parasitäres Bankensystem zu retten, und einem
sozialistischen Land ist der, daß es keine Krisenprofiteure
gibt. Und daß Bevölkerung und Volksmacht gemeinsam
versuchen, aus dem Schlamassel herauszukommen. Freiwillig. Alle
oder keiner!
kuba erscheint als Beilage der Tageszeitung junge Welt im Verlag 8. Mai GmbH, Torstraße 6, 10119 Berlin. Redaktion: Gerd Schumann (V.i.S.d.P.); Anzeigen: Silke Schubert; Gestaltung: Michael Sommer.
Alle Zitate Fidel Castros auf den Marginalien stammen aus: Fidel Castro: »Mein Leben«, Im Gespräch mit Ignacio Ramonet. Aus dem Spanischen von Barbara Köhler; Rotbuch Verlag, Berlin 2008
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