Klare Kante zeigen
Von Daniel BehruziHartz IV und Agenda 2010, Ausweitung von Leiharbeit und
prekärer Beschäftigung, Privatisierung bei Bildung und
Gesundheit, steuerliche Umverteilung von unten nach oben –
man könnte meinen, schlimmer als in den vergangenen elf Jahren
mit Regierungsbeteiligung der SPD kann es nicht kommen. Doch vor
dem Hintergrund der tiefsten Krise seit Bestehen des
BRD-Kapitalismus wird es für Beschäftigte, Erwerbslose,
Jugendliche und Rentner unter Union und FDP schlimmer werden
– viel schlimmer. Diese Parteien sind angetreten, die
Krisenkosten auf die Masse der Bevölkerung abzuwälzen.
Die Gewerkschaften tun gut daran, sich auf eine massive
Konfrontation vorzubereiten.
Die Themen haben Wirtschaftsvertreter unmittelbar nach der Wahl
gesetzt: Eine »Steuerstrukturreform zur Stärkung der
Unternehmen« und »die gesetzliche Verankerung der
betrieblichen Bündnisse für Arbeit« forderte
Manfred Wittenstein vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau
(VDMA). Eine »Korrektur« der Unternehmens- und
Erbschaftssteuer sowie »eiserne Haushaltsdisziplin«
müsse es geben, so Hans Heinrich Driftmann vom Deutschen
Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Auch »liebgewonnene
Staatsausgaben«, zum Beispiel bei den Sozialtransfers,
müßten in Frage gestellt werden. Und so weiter und so
fort.
Die neue Regierung wird jetzt schnell dafür sorgen wollen, die
durch Milliardengeschenke an Konzerne und Banken sowie die
Krisenfolgen überschuldeten Staatshaushalte zu entlasten
– zum Beispiel durch eine erneute Erhöhung der
Mehrwertsteuer oder durch Lohnkürzungen im Rahmen der
Tarifrunde bei Bund und Kommunen. Eine Welle weiterer
Privatisierungen steht bevor. Die privaten Krankenhauskonzerne
sitzen schon in den Startlöchern, um sich die profitablen
Rosinen im Gesundheitswesen unter den Nagel zu reißen. Auch
sonst droht in diesem Bereich ein radikaler Umbruch: Die Reste der
paritätisch finanzierten Krankenversicherung und die
Grundversorgung der Menschen mit Gesundheitsleistungen stehen auf
dem Spiel. Die Kernbereiche gewerkschaftlicher Organisationsmacht
könnten durch Abschaffung des Tarifvorbehalts oder des
Kündigungsschutzes ebenfalls zum Ziel schwarz-gelber Attacken
werden – trotz anderslautender Versprechungen der
Bundeskanzlerin.
»Hin und wieder Ärger und Krawall« werde es geben,
wenn Angela Merkel ihren »zuletzt fairen Kurs gegenüber
den Arbeitnehmern« (!) verlasse, ließ IG-Metall-Chef
Berthold Huber am Wahltag wissen. Das klingt nach den üblichen
Dampfablaßaktionen am Samstag vormittag. Um die anstehenden
Verschlechterungen abzuwehren, wird indes deutlich mehr nötig
sein. Daß es möglich ist, auch mit parlamentarischen
Mehrheiten verabschiedete Gesetze durch betriebliche Proteste zu
kippen, hat sich hierzulande zuletzt 1996 gezeigt. Die von der
Kohl-Regierung beschlossene Kürzung der Lohnfortzahlung im
Krankheitsfall wurde durch eine Welle spontaner
Arbeitsniederlegungen in der südwestdeutschen Metallindustrie
binnen weniger Tage hinweggefegt. Möglichst breite, betriebs-
und branchenübergreifende Streiks sind für die
Gewerkschaften auch in den kommenden Konflikten das Mittel der
Wahl.
Einiges spricht dafür, daß die
Mobilisierungsbereitschaft der Gewerkschaftsspitzen unter
Schwarz-Gelb ein wenig ausgeprägter sein wird als bislang. Der
alte Bündnispartner SPD, dessen Stimmenanteile sich
während seiner neoliberalen Regentschaft nahezu halbiert
haben, dürfte versuchen, sich als verbal-kämpferische
Opposition zu regenerieren. Fatal wäre, wenn die stärker
gewordene Linkspartei sich hierbei als Steigbügelhalter zur
Verfügung stellt, wie sich in Äußerungen ihrer
Frontmänner Oskar Lafontaine und Gregor Gysi unmittelbar nach
der Wahl anzudeuten scheint.
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