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Aus: literatur, Beilage der jW vom 14.10.2009

Hitlers fähigster Todfeind

Hellmut G. Haasis setzt dem Arbeiter und Attentäter Georg Elser ein nicht nur literarisches Denkmal. Von Arnold Schölzel
Von Arnold Schölzel

Am 8. November 1939 explodierte um 21.20 Uhr im Münchner Bürgerbräukeller eine Bombe. 13 Minuten zuvor hatte Adolf Hitler mit der fast komplett versammelten Führung des Nazireichs vorzeitig den Saal verlassen. Unmittelbar hinter dem Rednerpult, an dem der deutsche Staats- und Regierungschef wie in jedem Jahr zu diesem Datum eine wirre Rede zur Erinnerung an seinen Putschversuch von 1923 gehalten hatte, war der Sprengstoff in einem Pfeiler verborgen gewesen. Die acht Menschen, die bei dem Attentat ums Leben kamen, waren außer der Aushilfskellnerin Maria Henle »alte Kämpfer« der deutschen faschistischen Bewegung. Bei der Apparatur handelte es sich um solides Handwerk. In 30 Nächten und in zumeist auf Knien geleisteter harter Arbeit hatte der schwäbische Schreiner Johann Georg Elser, geboren am 4.Januar 1903 in Hermaringen, das Explosivmaterial und den selbstgebauten doppelten Zündmechanismus im Boden einer Säule des Saals, der 1500 Personen faßte, untergebracht. Die noch nicht verschwundenen Schwellungen unter den Knien des Verhafteten waren ein Indiz im Beweismosaik, das Kriminalpolizei und Gestapo zusammentrugen.

Denn selbst als Elser vom Zoll in Konstanz am Abend des 8. November beim Versuch, unbemerkt in die Schweiz zu gelangen, festgenommen wurde und wegen konkreter Verdachtsmomente nach München gebracht worden war, tappte das gerade gebildete Reichssicherheitshauptamt noch einige Tage im Dunkeln. Hitler hatte die Parole ausgegeben, es sei nach Hintermännern zu suchen, und die seien entweder beim englischen Geheimdienst oder bei seinem im Schweizer Exil lebenden Nazigegner Otto Strasser oder bei beiden zusammen zu suchen. Nach schweren Folterungen gestand Elser, wurde als »Sonderhäftling« in der Berliner Zentrale der Gestapo, ab Ende 1940 oder Anfang 1941 im Konzentrationslager Sachsenhausen und schließlich 1945 im Konzentrationslager Dachau festgehalten. Er sollte nach dem »Endsieg« einen Prozeß bekommen. Am 5. April 1945 ordnete Hitler seine Ermordung an, am 9. April tötete ein SS-Mann Elser in Dachau durch einen Genickschuß.

Hellmut G. Haasis resümiert im vorletzten der 24 Kapitel seines Buches »Den Hitler jag ich in die Luft. Der Attentäter Georg Elser«: »Elsers Anschlag hinterließ zwei Schutthaufen: den ersten im Bürgerbräukeller, den zweiten in den Köpfen der Deutschen. Der geistige Trümmerberg konnte erst in den letzten sechzig Jahren allmählich abgetragen werden.« Mit letzterem ist gemeint, daß die Nazis auch nach 1945 angesichts der Legenden, die über Elser in Umlauf kamen, und angesichts der Ignoranz ihm und seiner Tat gegenüber von kommunistischer Seite den Gang der Dinge bestimmt hätten. Nach der Lektüre von Haasis’ Buch läßt sich konstatieren: Es spricht viel für diese These. Biographie, Attentat und die Nachkriegslegenden darüber sind nach Haasis miteinander verknüpft, nämlich durch die gemeinsame Überzeugung von Nazis und von Historikern nach 1945, daß die Tat von einem »einfachen« Arbeiter nicht allein hatte begangen werden können. Haasis setzt dem ein zentrales Zitat von Elser entgegen. Es stammt aus den Gestapo-Protokollen der Verhöre in Berlin, die in den 60er Jahren aufgefunden wurden. Der Attentäter erklärt darin zu seinen Motiven: »Die seit 1933 in der Arbeiterschaft von mir beobachtete Unzufriedenheit und der von mir seit Herbst 1938 vermutete unvermeidliche Krieg beschäftigten stets meine Gedankengänge. Ich stellte allein Betrachtungen an, wie man die Verhältnisse der Arbeiterschaft bessern und einen Krieg vermeiden könnte. Die von mir angestellten Betrachtungen zeitigten das Ergebnis, daß die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden könnten.« Haasis, der 1999 eine erste monographische Arbeit über Elser vorlegte, mußte im vergangenen Jahrzehnt erleben, daß im akademischen Bereich in besonders niederträchtiger Weise über den Schreiner hergezogen wurde. In der Frankfurter Rundschau durfte z.B. vor zehn Jahren ein in der DDR als Ökonom ausgebildeter und nun als »weit nach rechts hinaushängender« (Haasis) Moralphilosoph am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden fungierender Mensch namens Lothar Fritze losledern: Elser habe »seine Beurteilungskompetenz überschritten«. Haasis kommentiert: »Fritze hätte gleich sagen können: Der Schreiner sei zu dumm, um voraussehen zu können, wohin Hitler Deutschland und Europa führen werde, denn dazu müsse man zuerst einmal über Jahre Moralphilosophie studieren.«

Nun ist von Hofphilosophen eines Freistaates, in dem das Nazireich per Gedenkstättengesetz als läßliche Sünde, die DDR aber als weltgeschichtliches Verbrechen gilt, nichts anderes zu erwarten. Die »Abwehr gegen den Widerstand von unten«, wie Haasis Kapitel 23 überschreibt, ist allerdings weit über die spezifisch sächsische Naziverzärtelung hinaus bundesdeutsches und westliches Allgemeingut. Es geht um das, was der italienische Philosoph Domenico Losurdo »vertikalen Rassismus« einer selbsternannten Elite in für sie schwierigen Zeiten genannt hat.

Als Arbeiter hat Elser keine Traktate, keine Artikel, keine Bücher hinterlassen. Das macht es Haasis nicht leicht, die Entwicklung seines working class-hero zu skizzieren. Er macht das mit viel Phantasie, in Einzelheiten manchmal nicht überzeugend und teilweise redundant, aber in der Gesamttendenz überzeugend und restlos spannend. Der Plot ist weniger das Attentat, sondern die hierzulande als langweilig geltende Frage: Wieso kann ein politisch nicht geschulter Arbeiter so klar denken? Haasis beantwortet das plausibel. Stern, Spiegel und Focus interessierten sich folgerichtig nicht für seine neuen Einsichten. Die Antwort lautet nach Haasis: ein Arbeiter kann das, wenn er z. B. in einer trostlos bigotten, durch Alkohol und Armut zerrütteten Familie den Humor eines Karl Valentin entwickelt, wenn er die Härte eines Konspirateurs ausbildet, aber Geselligkeit liebt, der wortkarg ist, aber redselig, wenn er über sein Handwerk spricht, wenn er nicht durch Tiraden, sondern durch klare Gesten auffällt: Die Hakenkreuzfahne nicht grüßen, bei Radioübertragungen von Hitlerreden rausgehen, auch wenn es gefährlich ist. Elser gehörte dem Rotfrontkämpferbund an, wählte nach eigenem Bekunden stets KPD, fand Kontakt zu einem ortsbekannten Kommunisten, mit dem er sich über die Notwendigkeit, daß Hitler verrecken müsse, schnell einig wurde und arbeitete systematisch daran, dem Verrecken nachzuhelfen. Elser ist der in der sogenannten Unterschicht, von dem ein Thilo Sarrazin nichts ahnt und gegen den Kanzler oder Kanzlerin, bundesdeutsche Medien und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft alle Höllenhunde loslassen, sollte er als Typus auftauchen. Haasis meint: »Eigentlich ist nicht so sehr Elser das Rätsel, eher ist ein Rätsel die Neigung der Massen zum Krieg und zu einer unsolidarischen Gesellschaftsordnung. Insofern ist dieser Elser auch unseren heutigen Zuständen noch weit voraus.«

Solche Apotheose, ausgedrückt auch in Haasis’ Superlativ »Hitlers fähigster Todfeind«, schmälert nicht das Verdienst dieser Studie, die mehr ist als eine Biographie. Sie schildert das Entstehen von Widerstandsbewußtsein unter Umständen, in denen Widerstand als so exotisch galt wie heute, allerdings weitaus mehr kostete. Ausgerechnet der Reichschef der Nazi-Kripo Arthur Nebe, ein Massenmörder, der selbst nach dem 20. Juli 1944 hingerichet wurde, prophezeite: »Jawohl, der Mann wollte ganz einfach nicht den Krieg... Gerade deswegen werden die feinen Leute nichts von ihm wissen wollen, auch nicht hinterher... Sie haben übrigens ganz recht damit; sie handeln völlig instinktsicher. Der paßt nicht zu ihnen.«

Haasis hebt immer wieder hervor, daß auch die marxistische Geschichtsschreibung wenig von Elser wissen wollte. Ob das, wie er meint, an einem »Tabu« oder weltpolitischen Konstellationen lag – am 8. November 1939 war der Freundschafts- und Beistandspakt zwischen dem »Dritten Reich« und der Sowjetunion erst wenige Wochen alt –, oder an Vorbehalten, weil Elser nicht Mitglied der KPD war, oder an der Verleumdung, er sei Instrument der SS gewesen, was auch von Mithäftlingen wie Martin Niemöller hartnäckig behauptet wurde, sei dahingestellt. Haasis stellt jedenfalls zu recht die Frage, warum sich kein marxistischer Historiker in Ost oder West jahrzehntelang mit Elser befaßt hat.



Hellmut G. Haasis: Den Hitler jag ich in die Luft - Der Attentäter Georg Elser. Edition Nautilus, Hamburg 2009, 384 Seiten, 18 Euro

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