Angriffsschwung verpufft
Von Rüdiger GöbelEdel ist die Bundesregierung, hilfreich und gut.
Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) will bis 2013 erreichen,
daß in Nordafghanistan 60 Prozent aller Schulkinder von
ausgebildeten Lehrern unterrichtet werden. Derzeit sollen es 25
Prozent sein. Zwei Millionen Afghanen sollen in der Region bis in
drei Jahren über Strom und Wasser verfügen statt heute
nur 900000. Bundesaußenminister Guido Westerwelle wiederum
gibt den Streetworker und stellt 50 Millionen Euro für
»Taliban-Aussteiger« zur Verfügung. Fehlen nur
noch Grünen-Freiwillige fürs Quartiersmanagement in
Kundus, und die Besatzer können endlich abziehen.
Frisch gebackene »Afghanistan-Veteranen« der
Bundeswehr korrigieren den politisch-korrekten
Kriegszweckoptimismus. Nach Achim Wohlgetan (»Endstation
Kabul«, »Operation Kundus«) hat nun Marc
Lindemann, Hauptmann der Reserve, in »Unter
Beschuß« seinen »Einsatz« am Hindukusch
Revue passieren lassen. Der ehemalige Nachrichtenoffizier
erklärt in seinem Buch, »warum Deutschland in
Afghanistan scheitert« – und fordert in der ihm eigenen
Konsequenz eine massive Aufstockung der Truppen. Lindemann war 2005
und 2009 in Kundus stationiert. Der heute 32jährige hat in den
umliegenden Dörfern Spitzel für die Besatzer angeworben
– und miterlebt, wie sich die Sicherheitslage für die
internationalen Truppen, und damit auch für die Einheimischen,
zunehmend verschlechtert hat. Jetzt will er endlich den Krieg
gewinnen. Dafür macht er mobil an der Heimatfront:
»Würden wir uns jetzt zurückziehen und Afghanistan
sich selbst und damit den Taliban überlassen, wären alle
bisher gebrachten Opfer umsonst gewesen. Es ist eben nicht das
Sterben an sich, was falsch ist. Es ist das sinnlose
Sterben!« Gleichzeitig konstatiert der Krieger a.D.
aber: »Es gibt keine tragfähige Strategie für das
deutsche Afghanistan-Abenteuer!« Wohin man auch blickt am
Hindukusch, »Ermüdung durch Erfolg- und
Aussichtslosigkeit«. Der »Angriffsschwung«
ist, so Lindemanns Armeesprech, »verpufft«. Erschwerend
komme hinzu: »Unsere Gesellschaft ist nicht bereit, einen
langen und verlustreichen Krieg zu führen.« Die
»Schuld« liege nicht beim Volk, sondern bei den
politisch und militärisch Verantwortlichen. »Die
jahrelangen Lügen über die Ziele und den Zustand in
Afghanistan haben die Chance darauf, der Bevölkerung die
Mission zu erklären, fast unmöglich gemacht.«
Hoffen läßt ihn Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU).
»Wie angenehm es doch ist, endlich einen Mann mit Anstand und
gutem Benehmen an der Spitze des Verteidigungsministeriums zu
haben.« Und als wäre Lindemann der Adjutant des
fränkischen Freiherrn, drischt er auf dessen
Amtsvorgänger aus Hessen ein. »Allein die Wahl der
Vokabeln, die der ehemalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung
auf seinem Truppenbesuch im März 2009 wählte, war eine
Unverschämtheit«, schreibt der Nachrichtenoffizier a.D.
Der CDU-Wehrminister sagte damals: »Ich habe den Eindruck,
daß die Dinge gut vorangehen.« In Wirklichkeit, so
Lindemann, gehe am Hindukusch seit langem nichts mehr gut
voran.
Lichtblick für Lindemann: Das von Oberst Georg Klein am 4.
September 2009 angeordnete Bombardement zweier Tanklaster und
umstehender Afghanen. Bis zu 142 Menschen, darunter viele
Zivilisten, wurden damals umgebracht. »Ob der Befehl zum
Angriff auf die Taliban in Übereinstimmung der ISAF-Regeln
stand oder nicht, sollen Juristen prüfen. Falls sich dann nach
vielen Monaten herausstellen sollte, daß Oberst Klein gegen
diese verstieß, als er jene angriff, die mordend und bombend
durch Afghanistan ziehen, wird mich das nicht beeindrucken. Dann
sind nämlich die Regeln falsch und nicht sein
Entschluß«, schreibt Lindemann,
Kapitelüberschrift: »Die Bundeswehr schlägt
zurück«. »Für mich und meine Kameraden aus
dem 18. Kontingent, mit denen ich den Angriff diskutierte, war die
Frage schon am frühen Morgen jenes 4. September beantwortet.
Selbstverständlich war der Befehl zum Angriff korrekt!«
Oberst Klein habe »seine Soldaten durch die
gefährlichste Zeit, die je ein deutsches Kontingent«
erleben mußte, geführt, rechtfertigt Lindemann das
Massaker. »Es ist total unglaubwürdig, daß sich
Zivilisten zufällig am Ort des Angriffs aufhielten.« Der
ehemalige Nachrichtenoffizier betont, »der Feind in
Afghanistan« gebe sich nicht durch Uniform zu erkennen. Eine
»scharfe Trennlinie in diesem durchmischten Umfeld zu ziehen,
ist nicht möglich. Die Schuld daran tragen nicht wir, sondern
der Feind.« Und der gehört
»ausgeräuchert« und
»pulverisiert«.
Von dieser Landserprosa hebt sich der
»Afghanistan-Code« von Marc Thörner wohltuend ab.
Der Islamwissenschaftler und Rundfunkreporter legt mit seinem neuen
Buch eine fulminante Reportage über den ganzen Irrsinn des
Krieges am Hindukusch vor, in dem sich die NATO-Besatzer mit
Warlords, konservativen Mullahs und all jenen verbünden, die
die Bevölkerung scheinbar »im Griff« haben. Um
Freiheit und Demokratie, um Brunnen und Bildung geht es längst
nicht mehr, sollte es darum jemals bei dem westlichen Einmarsch
gegangen sein. Auf der Agenda steht Aufstandsbekämpfung, um
jeden Preis. Eine Aufstandsbekämpfung wie vor hundert Jahren,
in den nordafrikanischen Kolonien durch die Franzosen etwa.
Brunnenbauen und Gefangenenfolter inklusive, streng nach Lehrbuch.
Immer wieder geht Thörner vom Heute in die Geschichte. In
Exkursen referiert er Wurzeln und Werdegang des islamischen
Extremismus als Reaktion auf das koloniale Joch.
Wiederholt ist Thörner ins Kriegsgebiet gefahren. Akribisch
untersucht er den Justizskandal um den wegen Gotteslästerung
zum Tode verurteilten Pervez Kamaksh, Bruder des kritischen
afghanischen Journalisten Yaqub Ibrahimi; oder den nächtlichen
Sturmangriff von US-Spezialtruppen auf das Anwesen Sufi Manans, des
Ortsvorstehers von Imam Sahib, einer Kleinstadt, nur wenige
Kilometer vom deutschen Feldlager entfernt. Fünf
Hausangestellt wurden erschossen, Al-Qaida-Terroristen, wie das von
einheimischen Neidern auf die Spur gebrachte Überfallkommando
hartnäckig behauptet. Eine Lüge, wie so vieles in der
Operation grenzenlose Freiheit. Thörner macht die NATO-PR
nackt: Berichte über Ziviltote werden in aller Regel
zunächst zurückgewiesen, wenn es sich gar nicht mehr
vermeiden läßt, wird ein Untersuchungsteam eingesetzt,
nach Monaten werden dann irgendwann die Vorwürfe
eingeräumt. »Strategische Information« heißt
die Salamitaktik im Fachjargon nun.
Wenn in den kommenden Wochen wieder einmal die »neue
Afghanistan-Strategie« beschworen wird, derzufolge die
Besatzer fortan in engeren Kontakt mit der Bevölkerung treten,
sei jedem das Kapitel über das »Provincial
Reconstruction Team« ans Herz gelegt. Thörner bekam von
der NATO die Gelegenheit, mit einem Trupp afghanische
Lokalratsabgeordnete zu besuchen, um sich »vor Ort ein
Bild über die Interaktion zwischen der afghanischen
Verwaltung und der Operation Enduring Freedom zu
verschaffen«. Am Ende würde er sehen, versicherte ihm
der für die Presse zuständige Offizier, »daß
OEF, anders als ihr Ruf es sagt, weniger kämpft als
aufbaut«.
Nicht ohne Witz beschreibt Thörner seine
»Expedition« im Osten Afghanistans: »Bei der
Sicherheitseinweisung rund um den Führungshumvee wurden die
vielfältigen Gefahren eines Guerillakrieges heraufbeschworen:
Straßenbomben, Hinterhalte, Angriffe mit Panzerfäusten.
Nicht ausgelassen wurde die Frage des Verwundetentransportes ebenso
wie die des Entsatzes; geklärt auch, wann
Luftunterstützung angefordert werden könne. Am
Lagerausgang faßte der martialische Konvoi Munition, rasselte
aus dem Schutzbereich, Funksprüche flogen hin und her,
Beobachtungen wurden ausgetauscht, die MG-Schützen im Ausguck
spähten gespannt in alle Richtungen aus, kurbelten sich
unternehmungslustig herum, es sah aus wie ein Raid, eine Attacke
gegen Aufständische mit geballter Feuerkraft. Vor meinem
geistigen Ohr erklangen die Signale der Kavallerie-Trompeten
– ob man vorher noch schnell einen Stützpunkt der
Aufständischen anzugreifen gedenke, fragte ich den Major.
Nein, erwiderte er, das sei die normale Vorbereitung für einen
Konvoi zum Provincial Coordination Center. Kaum hat er das gesagt
– erst 500 Meter waren zurückgelegt – fuhr die
gepanzerte Schlange bereits wieder in den sicheren Hafen eines
anderen Schutzbereiches ein. Eine Etappe auf dem Ziel? Nein, keine
Etappe, brüllte Major Fishback durch den Fahrtlärm, dies
sei das Ziel: das sogenannte Provincial Coordination Center, ein
Neubau mit afghanisch-islamischen Stilelementen, über dessen
Eingang ein Monumental-Porträt von Präsident Karsai
hing.« Nach einer Stunde ergebnisloser Gespräche
Aufbruch, aus Sicherheitsgründen, Aufständische
könnten einen Angriff vorbereiten. »Dann rasselte der
gesamte gepanzerte Konvoi wieder die 500 Meter zur Basis
zurück, die Tore schwangen auf, die Soldaten winkten einander
zu. Es sah aus, als kehrte eine Abteilung Kämpfer aus einer
siegreichen Schlacht heim.«
Um überhaupt bestehen zu können, stellen sich Bundeswehr
und andere Besatzer hinter skrupellose Warlords, deren Milizen,
Honoratioren und Gemeindechefs. Die regieren die Distrikte des
Nordens wie ihre eigenen kleinen Fürstentümer, betreiben
Waffen- und Drogenhandel. Sie morden, vergewaltigen, ohne daß
sie jemand zur Verantwortung zieht. »Die Deutschen machen sie
stark. Andernfalls hätten Atta, Dostum und ihre Gefolgsleute
keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Die Menschen hassen
sie. Erst durch die ISAF können sie sich ihre Verbrechen
erlauben«, zitiert Thörner seinen afghanischen Kollegen
Ibrahimi. Bieten die Taliban den Terrorisierten Hilfe an, wird die
in der Not angenommen, auch wenn man nicht unbedingt gegen die
westlichen Truppen ist.
Immer deutlicher zeichnet sich für den Autoren ab: Der
islamische Extremismus, zu dessen Bekämpfung die NATO-Truppen
in Afghanistan offiziell stationiert sind, hat sich erst durch die
Zusammenarbeit von Aufstandsbekämpfern und lokalen Machthabern
entwickelt. Und diese unheilige Allianz verhindert, daß sich
islamische Gesellschaften demokratisieren und sich
schließlich der ausländischen Dominanz entziehen. Wer
den neuen Kolonialkrieg am Hindukusch, die Diskrepanz zwischen
Bombenrealität vor Ort und heimischer
Friedens-und-Aufbau-Propaganda entschlüsseln will, kommt am
»Afghanistan-Code« nicht vorbei. Die
Guttenberg-Fanfeldpost »Unter Beschuß« immerhin
verdeutlicht, wie weit sich soldatisches Denken schon von
Grundgesetz und Völkerrecht absetzt.
Marc Lindemann: Unter Beschuß. Warum Deutschland in Afghanistan scheitert. Econ-Verlag. 288 Seiten, 18,95 Euro
Marc Thörner: Afghanistan-Code. Eine Reportage über Krieg
und Fundamentalismus. Edition Nautilus. Ca. 160 Seiten, ca. 16
Euro. Erscheint Ende Februar 2010
Die Möglichkeiten erkunden, die in der freiwilligen Beschränkung auf einfachste Mittel liegen – das hat sich der britische Fotograf und Musiker Wolf Howard vorgenommen, dessen Lochkamera-Fotografien die vorliegende Beilage illustrieren.
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