Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: literatur, Beilage der jW vom 18.03.2010

Wie von Maikäfern

Vor neunzig Jahren begann Hugo Ball mit der Arbeit an seiner Montage »Michael Bakunin. Ein Brevier«. Jetzt erstmals erschienen, bietet es reichlich Zündstoff
Von Robert Mießner
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Ende 1914, als Hugo Ball längst keine patriotischen Illusionen mehr über den Ersten Weltkrieg hatte, schrieb der spätere Mitbegründer des Dadaismus aus Berlin an seinen Vetter August Hofmann in München: »Ich lese hier Kropotkin, Bakunin, Mereschkowski (›Der Zar und die Revolution‹) und muß sagen, das ist sehr interessante Lektüre.« Ball wollte es nicht dabei belassen. Im selben Brief kündigte er an: »Hier geht ein neues Leben los: anarcho-revolutionär (so heißt mans glaub ich).« Zwei Monate später schon, am Abend des 12. Februar 1915, veranstalteten Ball und Richard Huelsenbeck, auch er sollte einer der Dada-Pioniere werden, im Berliner Architektenhaus eine »Gedächtnisfeier für gefallene Dichter«. Sie erinnerten an Ernst Stadler (»Fahrt über die Kölner Rheinbrücke bei Nacht«), Ernst Wilhelm Lotz (»Aufbruch der Jugend«), Walther Heymann (»Nehrungsbilder«) und den Franzosen Charles Péguy. Den französischen Schriftsteller nahmen sie im zweiten Kriegsjahr bewußt ins Programm und machten es sich mit dieser Entscheidung bei der Presse nicht leichter. Ball gedachte auf dem Abend seines Freundes Hans Leybold, mit Franz Jung und Ball Herausgeber der Münchener Zweiwochenschrift Revolution. Zu den Beiträgern der expressionistisch-frühdadaistischen Zeitschrift gehörten Johannes R. Becher, Max Brod, Balls spätere Frau Emmy Hennings, Jakob van Hoddis, Erich Mühsam und viele mehr. Als im November 1913 Georg Groß, der »Psychoanalytiker der Münchener Boheme«, als Anarchist verhaftet, nach Österreich verschafft und auf Betreiben seines Kriminalistenvaters psychiatrisiert wurde, brachte die »Revolution« eine Sondernummer heraus.

Ball, obwohl nicht im klassischen Sinne Politiker, ist damals bereits mit anarchistischem Gedankengut in Berührung gekommen: »Gegen das Gesäß, gegen die Verdauung und gegen das Finanzherz« war die Tendenz der Zeitschrift, erinnert sich Ball. Und: »Jeglichen Fanatismus im Gegensatz zu jeglichem Traum- und Innenleben. Jegliche Anarchie im Gegensatz zu jeglichem Bonzentum.« Ball mußte einfach irgendwann auf Bakunin stoßen, den russischen Revolutionär, der im Dezember 1848 an Georg Herwegh schrieb: »Nirgends ist der Bourgeois ein liebenswürdiger Mensch, aber der deutsche Bourgeois ist niederträchtig mit Gemütlichkeit. Selbst die Art dieser Leute, sich zu empören, ist empörend.« Aus der Lektüre sollte für Ball ein mehrjähriges Projekt werden. Bakunin hatte zur damaligen Zeit im deutschsprachigen Raum zwar einen Ruf, sein Denken und seine Werke waren aber erst in geringem Umfang zugänglich. Ball schickte sich an, das zu ändern. Den Plan dazu hatte er bereits in Berlin entwickelt. Nachdem er im Mai 1915 mit Emmy Hennings in die Schweiz emigriert war und der Intellektuelle Ball tatsächlich Bohemien geworden war (nicht aus Attitüde, es blieb ihm ökonomisch keine andere Wahl), verschaffte ihm der Schweizer Arzt, libertäre Sozialist und Schriftsteller Fritz Brupbacher Material und gibt ein Arbeitszimmer in seinem Haus frei. Was Ball, nicht ahnend, daß er für die Schublade arbeiten und einmal zum Katholizismus konvertieren würde, da zusammenstellte, wurde weniger eine Biographie im herkömmlichen Sinne, sondern eine Montage aus Stimmen von und über Bakunin.

»Michael Bakunin. Ein Brevier«, jetzt von Hans Burkhard Schlichting und Gisela Erbslöh herausgeben und mit einem beeindruckendem Kommentar und Nachwort versehen, gliedert sich in zwei Teile. Der erste umfaßt die Jahre 1815 bis 1849, der zweite die von 1849 bis 1866. Ball beginnt mit dem »Fragment einer Selbstbiographie«, in der sich der Empörer ankündigt. Bakunin über sich selbst: »Ich war mehr skeptisch, als gläubig, oder vielmehr indifferent. Ich glaube, Indignation und Revolte waren wohl die ersten Gefühle, die sich energischer in mir entwickelten.« Nach einer kurzen militärischen Laufbahn und einer philosophischen Zeit in Moskau, Bakunin wurde ausgewiesener Hegel-Kenner, ging er nach Berlin. In einem Brief an seinen Freund und Förderer Alexander Herzen schreibt er aus der preußischen Hauptstadt: »Berlin ist eine gute Stadt – vortreffliche Musik, billiges Leben, sehr anständiges Theater, in den Konditoreien viele Zeitungen, und ich lese sie alle der Reihe nach, mit einem Worte alles gut, sehr gut.« Ein Ärgernis aber gibt es: »Die Deutschen sind schreckliche Philister. Wäre der zehnte Teil ihres reichen geistigen Bewußtseins ins Leben übergegangen, so wären sie herrliche Leute. Bis jetzt aber sind sie, ach, ein höchst lächerliches Volk …«. »Philister« sollte eine von Bakunins Lieblingsschmähungen werden. Arnold Ruge, Mitbegründer der »Halleschen Jahrbücher für deutsche Kunst und Wissenschaft« und nach Ausbruch der Märzrevolution 1848 Breslauer Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung, erinnert sich an eine Leipziger Begegnung mit Bakunin. Ruge, in einem politischen Meeting sitzend, erhielt die Nachricht, Bakunin wolle ihn sprechen. »Laß Deine Philister im Stich«, riet er ihm, und: »Komm, alter Freund, trinken wir eine Flasche Champagner! Es wird ja doch nichts draus. Ein Redeübungsverein mehr, weiter nichts.« Er fügte hinzu: »Glaub du nur nicht, daß ihr Sachsen die Philister gepachtet habt. Paris schwärmt davon wie von Maikäfern.« Bakunin hatte sich 1844 in Paris niedergelassen, mit Karl Marx heftig diskutiert, mit Pierre-Joseph Proudhon Freundschaft geschlossen und an der Februarrevolution 1848 teilgenommen.

Das permanente, von der Generation Balls aufgegriffene Sticheln gegen den Bürger als solchen war Bakunin kein Selbstzweck. Geistiges Bewußtsein ins Leben überführen, der kurze Halbsatz aus dem Brief an Herzen, das war es, worum es dem russischen Adelssohn ging. Unbedingt dazu gehörte für ihn die Revolution. 1866, hinter Bakunin lag der Versuch, Deutsche und Slawen zum gemeinsamen Kampf gegen die herrschende Unordnung aufzurufen, eine die Gesundheit zermürbende Kerkerhaft in Rußland, die Flucht über Yokohama, San Francisco, Panama-Stadt und Boston und mehr als eine politische Enttäuschung, schrieb er an Herzen und Nikolaj Ogarjow: »Ich weiß, daß Euch das Wort Revolution verhaßt ist, aber was ist zu tun, Freunde? Ohne Revolution ist es weder Euch noch irgendeinem andern möglich, einen Schritt vorwärts zu machen. Um doppelt so praktisch zu sein, habt Ihr Euch eine unmögliche Theorie einer sozialen Umwälzung ohne eine politische ausgedacht, eine Theorie, die in jetziger Zeit ebenso unmöglich ist wie eine soziale Revolution ohne eine politische, beide Umwälzungen gehen Hand und bilden eigentlich ein Ganzes.« Das längere Schreiben schickte er aus Italien, wo Bakunin in Auseinandersetzung mit Giuseppe Mazzini und Giuseppe Garibaldi seine für Ball wichtige Kritik des Patriotismus und seine anarchistische Theorie entwickelte. Es war in Italien, daß sich Bakunin das erste Mal selber als Anarchist bezeichnete.

Leider endet Balls Sammlung mit dem Statut der »Fraternité internationale«, Bakunins »Internationaler Brüderschaft«. Wer sich über seine zunehmenden Konflikte mit Karl Marx und Friedrich Engels, mit der Zeit in der Internationalen Arbeiterassoziation und seinem Ausschluß auf deren Kongreß in Den Haag 1872 befassen möchte, sollte zu Arthur Lehnings »Unterhaltungen mit Bakunin« greifen, aber sein ganzes abenteuerliches Leben abdecken. Die Differenz zur Marxschen Richtung wird aber bereits in Balls Sammlung deutlich. Dem Buch war wenig Glück beschieden, obwohl ohne die umfangreichen Arbeiten daran Balls »Zur Kritik der deutschen Intelligenz« kaum entstanden wäre. Nach anfänglichem Publikationsinteresse von René Schickele und Erich Reiss konnte Hugo Ball keinen Verleger finden. Nach seinem frühen Tod vermittelte Hermann Hesse, Ball war sein Biograph geworden, Emmy Hennings einen Kontakt zum Berliner Malik-Verlag. Auch dieser Versuch blieb erfolglos. Emmy Ball-Hennings in einem Brief: »Rasputin und Lenin sind mehr Trumpf in Deutschland.«


»My head is a bubble with interesting trouble« lautet der Titel, unter dem Fehmi Baumbach Einblick in ihre »wunderbare Welt der aufgeklebten Gedankenblitze« gewährt, die gerade eben als Bildband im Ventil Verlag erschienen sind. Sämtliche Illustrationen stammen aus diesem Band, den Rebecca Spilker auf Seite 24 vorstellt.

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