Laufen lernen
Von Commander Shree StardustBU: Die Fotos dieser Beilage entstanden am 4.September bei der
antifaschistischen Blockade in Dortmund
»Ich bin dafür, den Ausfall zu wagen/ Zugbrücken
runter, den Rössern die Sporen / Lanzen voran und ans Ufer
sprengen / schon damit später, die fechtenden Enkel / unsre
verrückten Träume / besingen.« (Franz Josef
Degenhardt)
Ich lese in einer Lokalzeitung die Überschrift: »Dann
machen wir halt eine Sitzblockade!« Es geht dabei nicht um
einen Atomtransport oder einen Neonaziaufmarsch: Anwohner eines
Dorfes empören sich über den geplanten Bau einer
Straße durch die Ortsmitte.
Erfolg macht populär. Die Blockade sämtlicher
Zufahrtsstraßen zum Kongreßzentrum in Heiligendamm war
2007 eine taktische Sensation. Und als längst alles danach
aussah, als würde Heiligendamm ein einmaliger positiver
Ausreißer bleiben, gelang in Dresden die Übertragung der
Blockadetaktik auf urbanes Terrain.
Der Blockadesieg von Dresden war so überzeugend, daß
davon eine regelrechte Fanalwirkung ausgegangen ist. Dieses Fanal
wirkte vielleicht überall stärker als in Dresden selbst,
wo die Bündnislage auch für 2011 als harte, noch
ungeknackte Nuß im Magen liegt. Aber für das
Selbstbewußtsein und die Einigkeit der Gesamtbewegung war die
Brillanz dieses Blockadetages reiner Balsam. Es folgten die
Massenblockaden in Berlin-Prenzlauer Berg, Erfurt und jetzt
Dortmund. Nicht alles seither war glänzender Sieg. Aber eine
gewisse Tendenz zum Siegen hat sich herausgebildet.
Nun liegt es in der Natur der Taktik, daß die Halbwertzeit
jedweder Methode üblicherweise sehr gering ist. Man taktiert
ja nicht allein durch die Gegend. Die anderen spielen auch noch mit
– und machen sich seit Dresden Gedanken, wie sie eine
Wiederholung solcher Vorgänge unterbinden können.
Die unmittelbare Reaktion auf der politisch-publizistischen Ebene
bestand in dem Versuch, das gewaltfreie Blockieren zu einem
weiß Gott wie dramatischen Rechtsverstoß aufzublasen.
Dazu wurde Wolfgang Thierse, der in Berlin auf die denkbar
symbolischste Weise blockiert hatte, öffentlich angegriffen.
Die Debatte kam nicht weit. Die geltende Rechtsprechung macht es
überdies zu keiner allzu leichten Aufgabe, gewaltfreie
Blockaden zu kriminalisieren. Jedoch, es wird weiter versucht
werden.
Die Polizeikräfte haben auch reagiert. Sie tun dies in einer
Weise, die das Team in den grünen und neuerdings blauen
Trikots einmal mehr als mindestens so ideen- wie skrupellos
diskreditiert: Man wird halt brutal, knüppelt Jugendliche und
Frauen zusammen, reißt Leuten die Piercings aus den Ohren und
benimmt sich überhaupt in einer Weise, daß uns
filigranen Lusttaktikern menschliche Verachtung und soldatischer
Ekel hochsteigen. Man muß sich manchmal schon wirklich
schämen, für das Verhalten seiner Gegner.
Was jedenfalls in Dortmund von polizeilicher Seite geboten wurde,
sollte uns klar machen, daß die Taktik der Blockade zumindest
modifiziert werden muß. Unsererseits gewaltfreie
Sitzblockaden verlieren selbst und gerade für hartgesottene
Pazifisten schnell ihren Reiz, wenn man dabei von Polizeistiefeln
zusammengetreten wird.
Tatsächlich war die Taktik der Blockade in Dortmund bereits
modifiziert gegenüber jener von Dresden. Dort war ja kaum
glaublich, was unsere Seite da an gepflegtem Straßenschach
zelebrierte. Die Blockaden in Dortmund waren demgegenüber
weniger statisch, agiler, spontaner, schneller. Positiv formuliert.
Anders gesagt: In Dortmund war die Sache auf unserer Seite viel
chaotischer angelegt, und die Polizei räumte, was in Dresden
nicht gelang, einige Blockaden. Das zwingt automatisch dazu, sich
was anderes einfallen zu lassen.
Jetzt geht es darum, diese erzwungene Spontaneität in
organisierte und bewußte Bahnen zu überführen.
Natürlich bleibt das Ziel einer Blockade auch weiterhin,
daß sie ganz genau da stehenbleibt, wo wir sie – also
uns – hingestellt haben. Wobei ich anmerken möchte,
daß mir das Hinsetzen nie recht eingeleuchtet hat. Eine in
festen Ketten stehende Blockade ist nicht grundsätzlich
leichter zu räumen als eine sitzende. Stehend behält man
aber mehr taktische Optionen bei sich. Der Vorteil sitzender
Blockaden, ihr aufreizend harmloses Erscheinungsbild nämlich,
ist nur von Vorteil, wenn die zahlreiche Anwesenheit von
Medienvertretern oder echter Öffentlichkeit den Hauptschutz
der Blockade bildet.
In jedem Fall sind wir in eine wesentliche bewegtere Phase
eingetreten – und kein einziges taktisches Element sollte in
den Rang eines Dogmas oder auch nur einer unhinterfragten
Angewohnheit erhoben werden. Dies gilt auch für die Blockade
selbst. Ganz allgemein stellt sich die Frage, ob eine Blockade
immerzu eine schnurgerade Linie bilden muß. Sind hier nicht,
je nach konkretem Gelände, ganz andere Formationen
denkbar?
Sehen wir uns den Sieg in Dresden genauer an, so treten neben den
Massenblockaden die kleineren, schnelleren Einheiten, die zwischen
den Blockadepunkten agieren, als taktisch entscheidendes
Phänomen hervor. Diese Kombination mobiler und statischer
Elemente ist der Schlüssel zum Erfolg.
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