And I’m feeling blue
Von Franz DoblerWas für ein Jahr für die Beatles-Abteilung im
Musikgeschäft! Was für eine unüberbietbare Ladung an
Jubiläen und »un-ü-bah!-B (H)eat-bar (!) = kling
-:- rattaratta!«, wie es schon Arno Schmidt für seinen
Zettelkasten formuliert hatte. Fünfzig Jahre
Bandgründung, fünfzig Jahre Beatles in Hamburg, der
dreißigste Todestag von John Lennon, der siebzigste
Geburtstag von John Lennon, der siebzigste Geburtstag von Stuart
Sutcliffe und wohl noch ein paar heiße Dinger, die ich
verpaßt habe.
Und ehe sich die Welt wieder ruhiger dreht, werden folgen:
fünfzig Jahre seit der ersten Single mit Beteiligung der
Beatles, der fünfzigste Todestag von Stuart Sutcliffe,
fünfzig Jahre Beatles im Star Club, fünfzig Jahre,
seitdem Pete Best gefeuert wurde, fünfzig Jahre Beatles in
Fab-Four-Original-Besetzung, fünfzig Jahre Ringo
Beatles-Mitglied. Ehe es dann mit fünfzig Jahren seit der
ersten Beatles-Single und fünfzig Jahre seit dem ersten
Beatles-Album und weiß Gott was noch richtig ernst werden
wird.
Man muß kein verdammter Prophet sein, um die Pläne der
Musikmagazine zu kennen. Ich aber kann in der Glaskugel vor mir
sogar sehen, daß die süße Freifrau Stephanie zu
Guttenberg an einem Büchlein über ihre persönlichen
Beatles-Empfindungen schreibt; zugegeben, das Bild ist etwas
verschwommen, könnte auch Müller-Westernhagen sein; mit
fünf Aquarellen von Udo Lindenberg vielleicht?
Den Hamburger Comiczeichner Arne Bellstorf jedoch in diese
Beatlemania-Tonne zu treten, wäre ungerecht. Sein Comic-Roman
»Baby’s In Black – The Story of Astrid Kirchherr
and Stuart Sutcliffe« widmet sich auf 200 Seiten nicht dem
Zentrum der großen Geschichte, sondern vergrößert
eine Fußnote aus der Zeit noch vor dem Hamburger
Star-Club-Gastspiel 1962. Eine märchenhafte, tragische
Liebesgeschichte. Gestaltet wie eine dieser melancholischen, von
Nico vorgetragenen Balladen, die wie aus einem bösen Traum
herüberklingen. Gezeichnet in Schwarz-Weiß.
Astrid Kirchherr hat die fünf unbekannten Beatles aus
Liverpool 1960 kennengelernt. Ihr Freund Klaus Voormann hört
die Band zufällig im Reeperbahn-Schuppen Kaiserkeller, ist
gebannt von dem erneuerten Rock’n’Roll-Sound. Er
schleift Astrid mit, und sie macht so große Augen, als wollte
sie die Bühne, mindestens den Bassisten mit der Sonnenbrille
aufsaugen, der zweifellos die junge Frau in Schwarz ebenso anstarrt
wie vom Blitz getroffen. Fotografin Kirchherr macht die ersten
professionellen, heute ikonographischen Beatles-Fotos, und sie und
der »fünfte Beatle«, Bassist Stuart Sutcliffe,
werden ein Paar. Keine zwei Jahre später stirbt der
22jährige Sutcliffe in Hamburg an inneren Blutungen.
Arne Bellstorf, mit dem Sondermann-Preis als »Bester Newcomer
2005« ausgezeichnet, hält sich dabei vor allem an das,
was ihm Astrid Kirchherr erzählte, und das entspricht so
ziemlich dem, was man in Beatles-Büchern über die
Hamburger Zeit erfahren kann, wenn auch selten so
detailreich.
»Baby’s In Black« schwelgt in Tristesse. Sie
überlagert die Rock’n’Roll-Aspekte, die nur
benannt, aber nicht ausgebreitet sind, und sie entsteht aus dem
Ort, Deutschland. Symbolisiert in Astrids schwarzer Kleidung, durch
die sie in der Halbstarken- und Halbwelt der Hamburger Beatschuppen
zwischen all den Petticoat-Girls auffällt. In einem Interview
beschrieb Astrid Kirchherr ihren Background als die Sehnsucht und
Notwendigkeit, sich von der Elterngeneration zu unterscheiden,
»wir kämpften darum, einen neuen Weg zu finden, um der
Vergangenheit zu entkommen und der Schuld, die auf uns allen
lastete«. Die Existentialisten waren Orientierung, ihr Denken
und ihr Style waren nicht mit den Nazis zu verwechseln, waren nicht
deutsch.
Als die englischen Rocker mit den neuen deutschen Fans zum ersten
Mal an einem Tisch sitzen und sich beschnuppern, sagt John Lennon
verblüfft: »You ever seen such a strange bunch of
Germans?«
Das sind nicht die Krauts, die er oder Paul mit Nazigruß
provozieren können, wie sie mit geradezu ängstlichen
Gesichtern ihr Interesse für Sartre oder Cocteau
erklären. Und sie fallen den Beatles auf, weil sie die
Einzigen sind, die bei ihren Auftritten klatschen. Obwohl Astrid
nur Chansons oder moderne Klassik hört, aus einer
gutbürgerlichen Schicht kommt und diese rauhen Kerle erstaunt,
aber ohne Dünkel wahrnimmt. Während sich das typische
Rock’n’Roll-Publikum unbeeindruckt zeigt, Hauptsache
Lärm und Action, Tanzen, Baggern, Schlägereien. Die
Action, von der Zeichner Bellstorff zu Recht annimmt, daß sie
zur Genüge bekannt ist, und die für die Liebe von Astrid
und Stuart keine Rolle spielte.
Stuart Sutcliffe ist in seiner Szene ebenso Außenseiter. Als
John Lennons bester Freund und Kommilitone an der Kunstakademie
wurde er genötigt, den Baß zu übernehmen. Lennon
wollte ihn in der Band haben, bei den Quarrymen, in Hamburg,
überall. Er bewundert Stu, den Künstler und Denker, der
bald »James Dean von Hamburg« genannt wird. Wie er da
beim Rocken ruhig steht mit der Sonnenbrille. Stu schert es nicht,
daß die musikalischen Genies sticheln, weil er nicht
mithalten kann.
»Er hat seinen Verstärker einfach ganz leise eingestellt
und irgendwelche Klänge fabriziert. Das war gar nicht
schlecht. Aber die meiste Zeit wußte er nicht, in welcher
Tonart wir spielten«, erzählte Paul McCartney dem
Lennon-Biograph Ray Coleman.
Sutcliffe fehlt das Talent von John und Paul und ihr
bedingungsloser Wille zum Erfolg. Sie spielen sechs Stunden pro
Abend und Nacht und wochenlang, und sie würden auch das
Doppelte abreißen. Keine Band hat ein härteres Training
absolviert, mit einem Bassisten, dessen wahre Leidenschaft die
Malerei ist, die davon natürlich verdrängt wird. Erst die
Liebe zu Astrid bestärkt Stu, die Band zu verlassen, um seinen
eigenen Weg und mit ihr in Hamburg zu verfolgen. Größer
konnte die Kluft nicht sein: Am Tag, als Stus Stipendium von der
Kunstakademie erhöht wird, hält er die Single von Tony
Sheridan & The Beat Brothers in der Hand, seine Kumpels sind
zum ersten Mal auf einem Tonträger, und er sagt zu Astrid,
daß das mit dem Stipendium doch besser sei als eine Single
mit Sheridan.
Sie haben nicht viel Zeit, die beiden Kinder, die da zueinander
gefunden haben. Man denkt eigentlich nie dran, aber Arne Bellstorff
betont es, wie jung sie alle waren, er malt sie kindlich, mit
Fleckchen auf den Bäckchen. Große, staunende Augen, die
immer zu fragen scheinen, wie das ist mit der Welt und dem Leben.
Kids, im Kontrast dazu, mit einer seltsamen Ernsthaftigkeit. Ein
Paar, das eine eigene Welt in der Welt bildet. Das blonde Baby in
Black, das triste Wetter, kahle Bäume und ein paar zu Boden
segelnde Blätter, Rauchschlieren, die die meisten durchziehen,
und alles in dokumentarischem Schwarz-Weiß … Das
frühe Ende der Liebesgeschichte ist von Anfang an zu
spüren, ehe Worte wie Kopfschmerzen und
Schwächeanfälle auftauchen und die Bilder des besessen
malenden Stu dunkler werden. Nur das reale Ende hat Bellstorff
nicht gemalt: Astrid ist bei Stu im Krankenwagen, als er stirbt.
Hier sehen wir nur einen Krankenwagen. Am Ende von einigen Seiten,
in denen die Sprechblasen keine Worte enthalten, ist alles gesagt
und gezeigt – aber dieser letzte Akt des Zusammenseins
fehlt.
Beides, die reale Lovestory von Astrid und Stu und Bellstorffs
Comicroman, ergibt ein gleichstarkes Gegenstück zur
kreischenden, mörderischen, drogengetränkten und
erbarmungslos an die Wand rasenden Lovestory von Sex Pistols’
Sid Vicious und Groupie Nancy Spungen. Die alle Klischees
erfüllt, weil ihre Protagonisten alle Klischees
verfolgten. Sich nicht ins Meer der Klischees zu begeben, allein
schon das macht »Baby’s In Black« zu etwas
Besonderem.
Arne Bellstorff: Baby’s In Black. The Story of Astrid Kirchherr and Stuart Sutcliffe. Reprodukt, Berlin 2010, 210 Seiten, 20 Euro. Die Ausstellung zum Buch ist derzeit im Museum Beatlemania in Hamburg zu sehen.
Alle Illustrationen dieser Beilage haben wir oben genanntem Band entnommen. Sie erscheinen mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
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