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Aus: literatur, Beilage der jW vom 01.12.2010

And I’m feeling blue

»Baby’s in Black«: Mit französischem Existentialismus gegen die deutsche Nachkriegstristesse: Arne Bellstorff zeichnet die Hamburger Lovestory zwischen der Fotografin Astrid Kirchherr und Stuart Sutcliffe, dem fünften Beatle
Von Franz Dobler
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Was für ein Jahr für die Beatles-Abteilung im Musikgeschäft! Was für eine unüberbietbare Ladung an Jubiläen und »un-ü-bah!-B (H)eat-bar (!) = kling -:- rattaratta!«, wie es schon Arno Schmidt für seinen Zettelkasten formuliert hatte. Fünfzig Jahre Bandgründung, fünfzig Jahre Beatles in Hamburg, der dreißigste Todestag von John Lennon, der siebzigste Geburtstag von John Lennon, der siebzigste Geburtstag von Stuart Sutcliffe und wohl noch ein paar heiße Dinger, die ich verpaßt habe.

Und ehe sich die Welt wieder ruhiger dreht, werden folgen: fünfzig Jahre seit der ersten Single mit Beteiligung der Beatles, der fünfzigste Todestag von Stuart Sutcliffe, fünfzig Jahre Beatles im Star Club, fünfzig Jahre, seitdem Pete Best gefeuert wurde, fünfzig Jahre Beatles in Fab-Four-Original-Besetzung, fünfzig Jahre Ringo Beatles-Mitglied. Ehe es dann mit fünfzig Jahren seit der ersten Beatles-Single und fünfzig Jahre seit dem ersten Beatles-Album und weiß Gott was noch richtig ernst werden wird.

Man muß kein verdammter Prophet sein, um die Pläne der Musikmagazine zu kennen. Ich aber kann in der Glaskugel vor mir sogar sehen, daß die süße Freifrau Stephanie zu Guttenberg an einem Büchlein über ihre persönlichen Beatles-Empfindungen schreibt; zugegeben, das Bild ist etwas verschwommen, könnte auch Müller-Westernhagen sein; mit fünf Aquarellen von Udo Lindenberg vielleicht?

Den Hamburger Comiczeichner Arne Bellstorf jedoch in diese Beatlemania-Tonne zu treten, wäre ungerecht. Sein Comic-Roman »Baby’s In Black – The Story of Astrid Kirchherr and Stuart Sutcliffe« widmet sich auf 200 Seiten nicht dem Zentrum der großen Geschichte, sondern vergrößert eine Fußnote aus der Zeit noch vor dem Hamburger Star-Club-Gastspiel 1962. Eine märchenhafte, tragische Liebesgeschichte. Gestaltet wie eine dieser melancholischen, von Nico vorgetragenen Balladen, die wie aus einem bösen Traum herüberklingen. Gezeichnet in Schwarz-Weiß.

Astrid Kirchherr hat die fünf unbekannten Beatles aus Liverpool 1960 kennengelernt. Ihr Freund Klaus Voormann hört die Band zufällig im Reeperbahn-Schuppen Kaiserkeller, ist gebannt von dem erneuerten Rock’n’Roll-Sound. Er schleift Astrid mit, und sie macht so große Augen, als wollte sie die Bühne, mindestens den Bassisten mit der Sonnenbrille aufsaugen, der zweifellos die junge Frau in Schwarz ebenso anstarrt wie vom Blitz getroffen. Fotografin Kirchherr macht die ersten professionellen, heute ikonographischen Beatles-Fotos, und sie und der »fünfte Beatle«, Bassist Stuart Sutcliffe, werden ein Paar. Keine zwei Jahre später stirbt der 22jährige Sutcliffe in Hamburg an inneren Blutungen.

Arne Bellstorf, mit dem Sondermann-Preis als »Bester Newcomer 2005« ausgezeichnet, hält sich dabei vor allem an das, was ihm Astrid Kirchherr erzählte, und das entspricht so ziemlich dem, was man in Beatles-Büchern über die Hamburger Zeit erfahren kann, wenn auch selten so detailreich.

»Baby’s In Black« schwelgt in Tristesse. Sie überlagert die Rock’n’Roll-Aspekte, die nur benannt, aber nicht ausgebreitet sind, und sie entsteht aus dem Ort, Deutschland. Symbolisiert in Astrids schwarzer Kleidung, durch die sie in der Halbstarken- und Halbwelt der Hamburger Beatschuppen zwischen all den Petticoat-Girls auffällt. In einem Interview beschrieb Astrid Kirchherr ihren Background als die Sehnsucht und Notwendigkeit, sich von der Elterngeneration zu unterscheiden, »wir kämpften darum, einen neuen Weg zu finden, um der Vergangenheit zu entkommen und der Schuld, die auf uns allen lastete«. Die Existentialisten waren Orientierung, ihr Denken und ihr Style waren nicht mit den Nazis zu verwechseln, waren nicht deutsch.

Als die englischen Rocker mit den neuen deutschen Fans zum ersten Mal an einem Tisch sitzen und sich beschnuppern, sagt John Lennon verblüfft: »You ever seen such a strange bunch of Germans?«

Das sind nicht die Krauts, die er oder Paul mit Nazigruß provozieren können, wie sie mit geradezu ängstlichen Gesichtern ihr Interesse für Sartre oder Cocteau erklären. Und sie fallen den Beatles auf, weil sie die Einzigen sind, die bei ihren Auftritten klatschen. Obwohl Astrid nur Chansons oder moderne Klassik hört, aus einer gutbürgerlichen Schicht kommt und diese rauhen Kerle erstaunt, aber ohne Dünkel wahrnimmt. Während sich das typische Rock’n’Roll-Publikum unbeeindruckt zeigt, Hauptsache Lärm und Action, Tanzen, Baggern, Schlägereien. Die Action, von der Zeichner Bellstorff zu Recht annimmt, daß sie zur Genüge bekannt ist, und die für die Liebe von Astrid und Stuart keine Rolle spielte.

Stuart Sutcliffe ist in seiner Szene ebenso Außenseiter. Als John Lennons bester Freund und Kommilitone an der Kunstakademie wurde er genötigt, den Baß zu übernehmen. Lennon wollte ihn in der Band haben, bei den Quarrymen, in Hamburg, überall. Er bewundert Stu, den Künstler und Denker, der bald »James Dean von Hamburg« genannt wird. Wie er da beim Rocken ruhig steht mit der Sonnenbrille. Stu schert es nicht, daß die musikalischen Genies sticheln, weil er nicht mithalten kann.

»Er hat seinen Verstärker einfach ganz leise eingestellt und irgendwelche Klänge fabriziert. Das war gar nicht schlecht. Aber die meiste Zeit wußte er nicht, in welcher Tonart wir spielten«, erzählte Paul McCartney dem Lennon-Biograph Ray Coleman.

Sutcliffe fehlt das Talent von John und Paul und ihr bedingungsloser Wille zum Erfolg. Sie spielen sechs Stunden pro Abend und Nacht und wochenlang, und sie würden auch das Doppelte abreißen. Keine Band hat ein härteres Training absolviert, mit einem Bassisten, dessen wahre Leidenschaft die Malerei ist, die davon natürlich verdrängt wird. Erst die Liebe zu Astrid bestärkt Stu, die Band zu verlassen, um seinen eigenen Weg und mit ihr in Hamburg zu verfolgen. Größer konnte die Kluft nicht sein: Am Tag, als Stus Stipendium von der Kunstakademie erhöht wird, hält er die Single von Tony Sheridan & The Beat Brothers in der Hand, seine Kumpels sind zum ersten Mal auf einem Tonträger, und er sagt zu Astrid, daß das mit dem Stipendium doch besser sei als eine Single mit Sheridan.

Sie haben nicht viel Zeit, die beiden Kinder, die da zueinander gefunden haben. Man denkt eigentlich nie dran, aber Arne Bellstorff betont es, wie jung sie alle waren, er malt sie kindlich, mit Fleckchen auf den Bäckchen. Große, staunende Augen, die immer zu fragen scheinen, wie das ist mit der Welt und dem Leben. Kids, im Kontrast dazu, mit einer seltsamen Ernsthaftigkeit. Ein Paar, das eine eigene Welt in der Welt bildet. Das blonde Baby in Black, das triste Wetter, kahle Bäume und ein paar zu Boden segelnde Blätter, Rauchschlieren, die die meisten durchziehen, und alles in dokumentarischem Schwarz-Weiß … Das frühe Ende der Liebesgeschichte ist von Anfang an zu spüren, ehe Worte wie Kopfschmerzen und Schwächeanfälle auftauchen und die Bilder des besessen malenden Stu dunkler werden. Nur das reale Ende hat Bellstorff nicht gemalt: Astrid ist bei Stu im Krankenwagen, als er stirbt. Hier sehen wir nur einen Krankenwagen. Am Ende von einigen Seiten, in denen die Sprechblasen keine Worte enthalten, ist alles gesagt und gezeigt – aber dieser letzte Akt des Zusammenseins fehlt.

Beides, die reale Lovestory von Astrid und Stu und Bellstorffs Comicroman, ergibt ein gleichstarkes Gegenstück zur kreischenden, mörderischen, drogengetränkten und erbarmungslos an die Wand rasenden Lovestory von Sex Pistols’ Sid Vicious und Groupie Nancy Spungen. Die alle Klischees erfüllt, weil ihre Prota­gonisten alle Klischees verfolgten. Sich nicht ins Meer der Klischees zu begeben, allein schon das macht »Baby’s In Black« zu etwas Besonderem.

Arne Bellstorff: Baby’s In Black. The Story of Astrid Kirchherr and Stuart Sutcliffe. Reprodukt, Berlin 2010, 210 Seiten, 20 Euro. Die Ausstellung zum Buch ist derzeit im Museum Beatlemania in Hamburg zu sehen.

Alle Illustrationen dieser Beilage haben wir oben genanntem Band entnommen. Sie erscheinen mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

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