Akkumulation von Sprengstoff
Von Arnold SchölzelFür den 12. und 13. März dieses Jahres hatten die
Marx-Engels-Stiftung Wuppertal und die Tageszeitung junge
Welt zu einer Konferenz in die jW-Ladengalerie
eingeladen. Die Veranstaltung trug den Titel »Lenins und
unserer Imperialismus« und widmete sich vor allem den
ökonomischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte im
Weltkapitalismus. Etwa 80 Interessenten verfolgten die neun
Referate, von denen fünf in dieser Beilage – zum Teil
erheblich gekürzt – veröffentlicht werden.
Jörg Miehes Beitrag basiert auf einem von ihm an die
Referenten der Konferenz vorab versandten Positionspapier, das
für die Publikation redaktionell ebenfalls stark gekürzt
wurde. Längere Fassungen wird die Zeitschrift Marxistische
Blätter veröffentlichen. Wichtig erscheint der Hinweis,
daß alle Texte vor Beginn der neusten imperialistischen
Feldzüge gegen Libyen und Cote d’Ivoire
(Elfenbeinküste) entstanden sind. Diese Kriege sind auf ihre
Weise eine Bestätigung von manchem, das hier formuliert
wurde.
Beide Aggressionen erhärten: Was beim Untergang der
Sowjetunion als »Friedensdividende« propagiert wurde,
als »Ende der Geschichte« in einer Welt des
Liberalismus und der parlamentarischen Demokratie, ist umgeschlagen
in eine Anzettelung von Kriegen weltweit und in Permanenz. Erdacht,
propagandistisch vorbereitet und befohlen werden sie fast
ausschließlich in den Hauptstädten jener Staaten, die
sich selbst als Hüter von Menschenrechten, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit preisen. Was diese Staaten vom Völkerrecht
halten, demonstrieren sie seit 1989, als wenige Tage nach der
Grenzöffnung in Berlin Panama von den USA überfallen
wurde: Sie pfeifen darauf.
Im Innern dieser Länder folgt eine Maßnahme zur
Beseitigung demokratischer Standards, zur Einschränkung
persönlicher Freiheiten und zur Unterbindung von Opposition
auf die andere. Nirgendwo gelang es in den vergangenen 20 Jahren,
die Massenarbeitslosigkeit in nennenswertem Maße
einzuschränken, im Gegenteil. Die Finanzkrise, die 2007 in den
USA begann und in eine Weltwirtschaftskrise mündete, war
offenbar Auftakt zu einer längeren Depressionsperiode der
kapitalistischen Weltwirtschaft. In zahlreichen Ländern
erreichte die Erwerbslosigkeit neue Rekordhöhen, selbst der
sogenannte Aufschwung der deutschen Wirtschaft war allein
möglich durch die Etablierung eines Niedriglohnsektors und
einer immensen Ausdehnung von Leiharbeit. Wirtschaftlich und
politisch geht es um ein Ziel: Senkung des Werts der Ware
Arbeitskraft. Wobei kein Industrieland über Jahrzehnte die
Reallöhne so senken konnte wie die Bundesrepublik. Begleitet
wird das alles durch eine neue Blüte irrationaler,
imperialistischer Ideologie – Stichwort Sarrazin.
Politökonomische Hintergründe dieser Erscheinungen werden
in den Beiträgen dieser Beilage ausgeleuchtet. Der Zwang zur
Akkumulation immenser Finanzbeträge, um in der weltweiten
Konkurrenz bestehen zu können, die dadurch gegebene
erhöhte Krisenanfälligkeit, der Aufbau von Spannungen
– sozialen im Innern und geostrategischen Konfrontationen
gegenüber den sogenannten Schwellenländern, insbesondere
China – führt unmittelbar zur Akkumulation von sozialem
und politischem Sprengstoff in der Welt.
Zugespitzte Widersprüche bedeuten aber auch, daß die
Grenzen dieses Systems immer wieder deutlich, d. h. bewußt
werden. Die Bilanz seit 1991 besagt daher auch: Rascher als zu
erwarten war, ist der heutige Imperialismus an vielen Stellen der
Welt wieder in seinen Handlungsmöglichkeiten beschränkt.
Von Lateinamerika über Afrika bis nach Asien hat er sich mit
Veränderungen im internationalen Kräfteverhältnis
auseinanderzusetzen, die nicht auf seiner Tagesordnung
standen.
Das »Schöne am Imperialismus« sei, so formulierte
es bei der Konferenz im März der Vorsitzende der
Marx-Engels-Stiftung, Lucas Zeise: »Es knackt im
Gebälk.« Der Verlauf der jüngsten Krise zeige aber
auch, daß er nicht von allein stürze, man müsse
etwas dafür tun. Dieser Maxime folgen die hier
veröffentlichten Texte.
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