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Aus: literatur, Beilage der jW vom 15.03.2012

Ein Pfeifen im Walde

Editorial
Von René Hamann
Bild 1

»Hmm… Bücher. Jede Menge Bücher.« Tja. Darum geht es wohl, jedes Jahr, jedes Mal aufs neue, wenn man es genau nimmt, sogar zweimal im Jahr, im Frühling und im Herbst, eine wintereinrahmende Veranstaltung, die sich ganz um das gedruckte Wort dreht. Wenn man so will, hat man es mit mindestens einem ganzen Wald zu tun, der in handlichen Formaten in mehreren Hallen zum Begucken und Begreifen gelagert ist.

Ich weiß noch, wie eine Freundin von mir, junge Mutter, von einer Arbeit schrieb, die sie hauptsächlich aus Nächstenliebe verrichtete. Ein älterer Herr, Erziehungswissenschaftler, aber von Herzen und mit Leidenschaft Archivar, Sammler, Freak, war beim Durchstöbern seiner Archive zusammengebrochen. Schlaganfall. Jetzt hat sie es übernommen, gewaltige Berge von Fotos, Alben, Büchern und zusammengehefteten Zeitungsartikeln zu sichten, zu sortieren und zu erfassen. Ihre Jobs in Leihbibliotheken hatten sich irgendwie dann doch rentiert.

Als der Mann dann wieder halbwegs ansprechbar war, wurde er mit ihrer Begeisterung traktiert. Diese ganzen Bücher! Und überhaupt! Sie würde ja auch Bücher schreiben und weitere Bücher planen wollen. Ich zitiere: »Und da habe ich erwartet, daß besonders er, der Hüter der 28000 Millionen Buchseiten, sich dafür auch begeistern könnte. Und dann war ich erstaunt und enttäuscht, als er nur sagte: Bücher? Mein Gott, mach doch nicht Bücher, es gibt doch schon so viele.«

Im Grunde könnte man jetzt über das Wesen der Inflation sprechen. Je mehr Bücher auf den Markt geworfen werden, desto weniger werden davon gelesen, zumindest relativ gesehen. Umso wichtiger wird die Vorauswahl, die Selektion, und damit auch die Arbeit des Kritikers. Denn Orientierung im Wald muß sein, sonst findet man am Ende nicht mehr heraus (wie in diesem Belgierwitz: Kind, der Wald macht dir Angst? Was soll ich erst sagen, ich muß schließlich den ganzen Weg allein wieder zurück).

Äh, tja, wo waren wir? Richtig, die Orientierung. Hier haben wir also eine neue Beilage. 24 Seiten beste Hinweise auf Bücher. Die zu lesen oder die zu übergehen sich lohnt. Die anderen haben wir vorerst mal liegen lassen, rechts liegen lassen, ganz à la »tritt sich fest«. Um Orientierung geht es auch in dem Comic, der diesmal der Bebilderung dient – gezeichnet und geschrieben von Guy Deslisle.

Guy Deslisle: Aufzeichnungen aus Jerusalem. Reprodukt Verlag, Berlin 2012, 336 Seiten, 29 Euro

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