Der Anfang der Arbeit
Von René Hamann»Man merkt nie, was schon getan wurde, man sieht immer nur, was noch zu tun bleibt.« Marie Curie
Da bauten wir also ihr neues Bücherregal auf. Morgens um acht Uhr war der Holzlieferant gekommen, das Hochtragen des Materials war leider nicht inklusive, also fing der Heimwerkertag schon in aller Frühe an. Natürlich hatte ich schon beim Anblick der Kartonstapel, im Grunde ja schon beim Umzug, über das Gewicht von Büchern nachgedacht.
»Besitz bindet«, den Satz hatte ich mal irgendwo gelesen, Besitz ist und macht schwer, dachte ich weiter. Lauter Gründe für die Anschaffung eines E-Book-Readers! Aber meine Freundin konnte es kaum erwarten, die Goethe-Gesamtausgabe in Leder (Geschenk zum Master von ihren Eltern) in ihr neues Regal zu stellen. (Nebenbei nennt sie auch den blauen Marx/Engels ihr eigen, und die rare DDR-Ausgabe der Werke von Stalin, deren Editionsgeschichte bemerkenswert ist: Die Reihe wurde mit Band 13 im Zuge der Entstalisierung eingestellt, die übrigen drei Bände sind nie erschienen).
Wie sich nach mühevoller Plackerei herausstellte, reichte das Holz nicht. Sie hatte einfach zu viele Bücher für ihr neues, selbstgezimmertes Regal! Die Krimis wurden also in die Küche exportiert; und tatsächlich gab es zwei Kartons mit Ausschuß (darunter einiges von Monika Maron und Margriet de Moor, warum auch immer sie überhaupt Bücher von denen hatte), auf die sich wahlweise Freundinnen, die BSR oder irgendwelche Antiquariate freuen durften.
Währenddessen tobte im Netz der Streit ums Urheberrecht, es war Mai. Die meisten Beiträge waren kulturkonservativ, reaktionär und dumm. Das bourgeoise Verständnis von Kultur, nämlich als soziale Distinktionsmarkierung (die, spann ich weiter, im Regal zur handgreiflichen Instanz wurde) gegenüber der Bildungsferne, und seltsamerweise seltener als Mittel zur allgemeinen Aufklärung und damit gesellschaftlicher Emanzipation, sah und sieht sich zunehmend bedroht.
Gleichzeitig etabliert sich der Blog als neues Journal im Sinne von Zeitung und Tagebuch: »Der urheberrechtliche Eigentumsbegriff muß von einem Literarischen Weblog als … offener Quelle unterlaufen werden. Das unterläuft freilich die Wohlfahrt des Künstlers genauso: Er beraubt sich, indem er Kunst als Allgemeingut begreift, der Grundlagen seiner ökonomischen Existenz«, wie A.N. Herbst fabuliert (wobei statt »beraubt« im Original »begibt« steht).
Wo führt das alles hin? »Regale in Aufruhr«, wie Rainald Goetz einmal titelte. Vorerst führt alles erst einmal nur zu einer weiteren Beilage. Hier ist sie. Gemacht für den Sommer. Und immer noch aus echtem Holz geschnitzt. Wie das Regal meiner Freundin.
Die Abbildungen dieser Beilage stammen aus dem schnieken Band von David King: Russische revolutionäre Plakate. Bürgerkrieg und bolschewistische Periode, sozialistischer Realismus und Stalin-Ära, übersetzt von Peter Sondershausen. Mehring Verlag, Essen 2012, 144 S., 29,90 Euro
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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